Vom Palazzo Chigi, dem Sitz des italienischen Ministerpräsidenten, ist es nur ein Katzensprung zum Palazzo Montecitorio, dem Sitz der Abgeordnetenkammer. Zum Palazzo Madama, wo die zweite Kammer tagt, der Senat, ist es nicht viel weiter. Die neueste Regierungskrise in Rom wird in einem dieser Palazzi entschieden: „Palazzo“ steht in Italien auch bildlich für das politische Machtzentrum. Wenn Premierminister Giuseppe Conte im Amt bleiben will, führt früher oder später kein Weg an den Palazzi vorbei.
Am Mittwochabend waren zwei Ministerinnen der Klein-Partei Italia Viva von Ex-Premier Matteo Renzi aus Contes Kabinett zurückgetreten. Renzi willigte zwar ein, einige wichtige Corona-Maßnahmen wie ein Hilfspaket für die Gastronomie noch mit zu verabschieden. Für andere Pläne aber hat die seit September 2019 bestehende Links-Regierung nun keine Mehrheit mehr. Der parteilose Conte, bis 2018 Professor für Privatrecht in Florenz, der von der Fünf-Sterne-Bewegung nominiert wurde und sich einst als „Anwalt des Volkes“ bezeichnete, braucht also neue Partner. Eine Rückkehr zur Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung, Sozialdemokraten, Italia Viva und einer weiteren Links-Partei scheint ausgeschlossen. Conte hatte bereits am Dienstag wissen lassen, dass ein Rücktritt der Renzi-Ministerinnen den endgültigen Bruch mit dem Ex-Premier und seiner Partei bedeuten würde. Renzi warf Conte hingegen Verletzung demokratischer Regeln vor.
Regierungskrise in Italien: Conte hat schon Flexibilität bewiesen
Nun will Conte vereinzelte Parlamentarier zu einer Gruppe neuer Unterstützer zusammenbringen: „Responsabili“, Verantwortliche, werden diese parlamentarischen Nothelfer traditionell genannt. Bei diesem politischen Drahtseilakt muss er auf die Geduld von Staatspräsident Sergio Mattarella hoffen. Er ist der Regisseur im Hintergrund, der auf Stabilität und Aktionsfähigkeit der Exekutive drängt. Nach Beratungen mit Mattarella am Donnerstag kündigte Conte für nächste Woche Erklärungen im Parlament an.
Conte, einst selbsterklärter Wähler der Linken, hat seine Flexibilität bereits unter Beweis gestellt. Ab 2018 stand er einer Populisten-Regierung mit der rechten Lega Matteo Salvinis vor und unterzeichnete dessen Anti-Einwanderungs-Dekrete. Ein Jahr später wechselte die Regierungsmehrheit, Conte blieb Ministerpräsident, diesmal mit einer Links-Koalition. Nun hofft der 56-Jährige auf ein drittes Mandat, ihm fehlt dazu noch ein Partner.
Conte fehlt eine Hausmacht
In Italien ist Conte der beliebteste unter den insgesamt unbeliebten Politikern. Was ihm als parteifremdem Akteur fehlt, ist eine eigene Hausmacht. Der Ministerpräsident ist von der in Auflösung begriffenen Fünf-Sterne-Bewegung abhängig. 2018 wurde die Grillo-Bewegung mit 33 Prozent stärkste Partei, bei Neuwahlen würde sie wohl kaum mehr die Hälfte bekommen.
Conte und die Sterne sind also eine Schicksalsallianz, die sich im Parlament auf die Suche nach neuen Verbündeten macht. Gelingt dieser Versuch nicht, könnte Staatspräsident Mattarella eine Übergangsregierung einsetzen, die das Land bis zu Neuwahlen führt. Nach heutigem Umfragestand würde eine Rechtskoalition um die von Matteo Salvini geführte Lega den Sieg davon tragen.
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