Wenn Olaf Scholz Mitte dieser Woche nach Washington fliegt, tut er das voraussichtlich zum letzten Mal in seiner Funktion als Bundesfinanzminister. Denn während er mit den Kollegen aus der Gruppe der 20 wichtigsten Industrieländer in der US-Hauptstadt über die künftige weltweite Währungs- und Geldpolitik spricht, geht es in Berlin um sein politisches Schicksal: Landet Scholz trotz seines Siegs bei der Bundestagswahl doch noch auf der Oppositionsbank? Oder tritt der 63-Jährige seine nächste Reise in die USA als Bundeskanzler an, um Präsident Joe Biden seine Aufwartung zu machen?
Ersteres ist nicht ausgeschlossen, letzteres keineswegs sicher. Denn ins Berliner Bundeskanzleramt führt ein ganz anderer Pfad als ins Weiße Haus in Washington. Der US-Präsident wird seit jeher per Mehrheitswahl bestimmt, im deutschen Verhältniswahlrecht ist es deutlich komplizierter. Im Gegensatz zum Gewinner einer Wahl im Zweiparteiensystem der USA, der auch bei einem sehr knappen Ausgang alles bekommt, muss der deutsche Wahlsieger Scholz jetzt erst einmal eine Regierungskoalition schmieden. Doch in der immer bunteren Parteienlandschaft wird die Mehrheitsbildung zunehmend kniffliger.
Ampel-Koalition: Knifflige Fragen sind noch offen
Der Sozialdemokrat Scholz setzt auf ein Bündnis seiner SPD mit Grünen und FDP und die Gespräche, die dazu führen sollen, gehen jetzt in eine wichtige Phase. Schon an diesem Freitag könnte bei den drei beteiligten Parteien die Entscheidung fallen, in förmliche Koalitionsverhandlungen einzusteigen. Doch noch gibt es zwischen den Gesprächspartnern erhebliche ideologische und inhaltliche Differenzen. Jeder will für sich und seine Anhänger möglichst viel herausholen. In den Punkten Klimaschutz, Steuern und Schulden scheinen die Unterschiede sogar kaum zu überbrücken.
Die Woche, von der sich Scholz den Durchbruch erhofft, beginnt um neun Uhr auf dem Berliner Messegelände. Dort ist die Runde schon in der Vorwoche zu den ersten Dreier-Gesprächen zusammengekommen. Getagt wird aber nicht wieder im futuristischen City Cube, sondern in einer anderen modernen Halle, die an der Spree aus einem kuriosen Grund bekannt ist: Anders als viele andere Bauprojekte in der Hauptstadt, darunter der Großflughafen BER, ist die „Hub27“ vor zwei Jahren wie geplant nach 20-monatiger Bauzeit und innerhalb des Kostenrahmens von 75 Millionen Euro fertiggestellt worden. Im Umfeld der Teilnehmer des Gesprächs, bei dem es ja letztlich auch um Zeit und Geld geht, wird das als gutes Omen gewertet.
Zehnstündige Gespräche über gemeinsames Regierungsprojekt
Gleich am Montag sollen in dem zehnstündigen Treffen einige der ganz großen Brocken aus dem Weg geräumt werden. Wo die jeweiligen roten Linien verlaufen, haben alle mehrfach deutlich gemacht. Die SPD will unbedingt einen Mindestlohn von zwölf Euro einführen und bei den Sozialausgaben nachbessern, die Grünen drängen auf ambitionierten Klimaschutz. Bestreiten wollen SPD und Grüne die geplanten Zusatzausgaben mit neuen Schulden und höheren Steuern für Reiche. Beides aber lehnt die FDP kategorisch ab, wie ihr Chefstratege Marco Buschmann am Wochenende noch einmal beteuerte. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse dürfe nicht aufgeweicht werden, sagte er. Allerdings haben sich die beiden kleineren Parteien schon zuvor untereinander abgestimmt. Annalena Baerbock und Robert Habeck von den Grünen trafen sich mit FDP-Chef Christian Lindner und dessen General Volker Wissing. Bis auf das berühmte „Selfie“ drang aber nichts nach draußen. Die Geheimhaltung funktioniert bisher in der Ampel-Runde – bei den Gesprächen von Grünen und FDP mit der Union über die mögliche Bündnis-Alternative namens „Jamaika“ dagegen wurden Inhalte an Medien durchgestochen.
Gelingt eine Einigung bei den Finanzen?
Zu Wochenbeginn wird in großer Runde sondiert – die SPD mit sechs, Grüne und FDP mit jeweils zehn Teilnehmern. Wie sich abzeichnet, geht es zunächst um den Versuch, den grundlegenden Widerspruch in der Finanzpolitik aufzulösen. Denn auf diesem Feld gebe es noch keine Einigung, wie Grünen-Chef Habeck vor den Gesprächen im Deutschlandfunk sagte. Stellungnahmen am Abend waren nicht geplant. Am Dienstag trifft sich die Runde erneut.
Die Stunde der Generalsekretäre schlägt voraussichtlich am Mittwoch und Donnerstag, wenn Scholz in Washington weilt. Lars Klingbeil (SPD), Michael Kellner (Grüne) und Volker Wissing (FDP) könnten dann im kleinen Kreis die ganz große Linie festklopfen, wie eine Ampel trotz aller noch strittigen Punkte gelingen kann. Alle Parteien wollen dann gegen Ende der Woche über die Zwischenergebnisse beraten. Gerade in der SPD ist dabei durchaus mit kontroversen Diskussionen zu rechnen. Der linke Parteiflügel, der am liebsten mit Grünen und Linkspartei paktiert hätte, will der wirtschaftsnahen FDP nicht zu weit entgegenkommen. Doch selbst Kevin Kühnert, Wortführer der jungen SPD-Linken, zeigt sich zuversichtlich, dass sich SPD, Grüne und FDP noch in diesem Jahr auf einen Koalitionsvertrag einigen werden. „Davon gehe ich sehr fest aus“, sagte er der ARD. So könnte am Freitag – dann wieder in großer Runde – die Entscheidung fallen, ob Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden. Olaf Scholz ist dann auch wieder aus den USA zurück. Und seinem großen Ziel, mit Joe Biden bald von Regierungschef zu Regierungschef plaudern zu können, vielleicht schon ein ganzes Stück näher.