Das Hans-Dietrich-Genscher-Haus hat in den letzten Jahren mehr Schatten denn Licht erlebt. Am Montag erstrahlte die FDP-Zentrale in einem ganz neuen Glanz, nach Jahren der Opposition und des finanziellen Mangels ist eine Regierungsbeteiligung deutlich näher gerückt. Im Anschluss an gut zweieinhalbstündige Beratungen der Parteispitze verkündete der Vorsitzende Christian Lindner das Ergebnis: Die Liberalen sind für die Aufnahme von Koalitionsgespräche mit SPD und Grünen. Die Gremien, Lindner betonte es ausdrücklich, gehen diesen Schritt einstimmig mit. Wohl Ende der Woche soll es losgehen.
Es werden schwierige Gespräche werden. Die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner hätten sich „vor der Bundestagswahl nicht gesucht, um es diplomatisch auszudrücken", wie Lindner erklärte. Auch in Zukunft werde es „deutliche Bewertungsunterschiede“ geben, die man überbrücken müsse. Es liege gleichzeitig aber auch eine Chance darin, wenn sich drei Parteien „aus unterschiedlichen Perspektiven“ der Zukunft des Landes annähmen.
Roth erwartet anstrengende Gespräche
Beim anderen potenziellen Juniorpartner in der nächsten Bundesregierung fällt die Lageeinschätzung ähnlich aus. „Natürlich werden die nächsten Wochen in dem Ringen um eine zukunftsverantwortliche Politik intensiv, anstrengend und auch schwierig sein“, sagte die Grünen-Abgeordnete und Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth unserer Redaktion und ergänzte: „Aber wenn ich dann einen kleinen Moment innehalte und überlege, dass diejenigen, die sich über Jahre hinweg gegen Modernisierung und Demokratisierung gesperrt haben – die Blockierer und ewig Vorgestrigen –, dass die nach 16 Jahren in die wohlverdiente Opposition gehen, dann lohnt es sich, diese Mühe auf sich zu nehmen.“
Für die Gelben wie die Grünen geht es nach Jahren in der Opposition – die FDP flog gar 2013 für vier Jahre aus dem Bundestag - um eine völlig neue Politikperspektive. Es locken Ministerien und Plätze auf der Regierungsbank. Lindner klammerte zwar die Herausforderungen in der aktuellen politischen Konstellation nicht aus, betonte vor allem aber die Chancen, die in dem Bündnis liegen. Roth, die zur Verhandlungsmannschaft gehört, sprach von einem „historischen Moment“ für ihre Partei. „Die Grünen können zum zweiten Mal auf Bundesebene Verantwortung übernehmen. Wir können das in einer anderen Konstellation, in einer anderen Größenordnung tun als damals, und das hat die Sondierungen auch mitgeprägt“, sagte sie.
Habeck oder Lindner: Wer wird Finanzminister?
Inhalte müssen durchgesetzt werden. Es geht zudem um Personalfragen, der eine oder die andere hat schon innerlich die neuen Räume im Ministerium bezogen und sieht sich im Dienstwagen mit Chauffeur durch Berlin fahren. Aus der FDP heraus wurde Christian Lindner als neuer Finanzminister ins Spiel gebracht. Er selbst äußerte sich dazu nicht. Claudia Roth sprach angesichts der Äußerungen der FDP-Funktionäre Wolfgang Kubicki und Marco Buschmann von einer „Dissonanz, die den Sound, der bisher wirklich gut war, stört“ und ergänzte: „Solche Töne braucht es eigentlich nicht und sie machen es auch nicht einfacher“. Roth betonte, dass bisher über die Ressorts und ihre Zuschnitte nicht gesprochen worden sei.
Forderungen von außen erhöhen den Druck. Bioland, ein seit 1971 bestehender Verband von Erzeugern, Herstellern und Händlern landwirtschaftlicher Produkte, hat beispielsweise die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck in einem Brief aufgefordert, sich das Agrarressort zu greifen. „Ein von den Grünen geführtes Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung/Verbraucher spielt bei den aktuellen Herausforderungen eine zentrale Rolle auch für den Umbau der gesamten Wirtschaft“, heißt es in einem Brief, der unserer Redaktion vorliegt.
Die Union feuerte aus dem Schützengraben
Roth versteht Forderungen dieser Art. „Die einen sagen, wir müssten auf das Landwirtschaftsministerium dringen, andere sagen, das Entwicklungsministerium müsse es sein oder wir müssten jetzt mal das Wirtschaftsministerium übernehmen. Ich verstehe das Anliegen und natürlich sind die Forderungen von Bioland und anderen berechtigt, die auf eine nachhaltige Landwirtschaft setzen.“ Das sei im Sondierungspapier auch so aufgenommen worden. Die Grünen-Abgeordnete bekräftigt aber auch: „Erst einmal verhandeln wir jetzt über die Inhalte, die Ressortaufteilung folgt zum Schluss.“
Die Gespräche bisher waren, folgt man den Äußerungen der Sondierungsgruppen, vertrauensvoll und harmonisch. Was keine Selbstverständlichkeit ist, wie Roth deutlich machte. „In dieser Dreierkonstellation kommen wir von großer Entfernung aufeinander zu, wir haben uns im Wahlkampf gegenseitig nichts geschenkt“, erklärte sie und betonte, wie „herausragend und maßgeblich“ es bisher gewesen sei, „dass es diese geschützten Räume gab, in denen Vertraulichkeit vereinbart und auch gehalten wurde“.
An die Gespräche mit der Union hingegen hat Roth keine gute Erinnerung. „Das war in den Treffen mit CDU und CSU krass anders – da hat man aus dem unionsinternen Schützengraben versucht, das zu hintertreiben“, sagte sie. Wenn die positiven Erwartungen bei SPD, Grünen und FDP in Erfüllung gehen, wird sich Roth in diese Schusslinie nicht mehr begeben müssen.