Eine Kabinettsliste, mit der alle Koalitionäre leben können, entsteht nicht über Nacht. Zuerst müssen die Ministerien möglichst gerecht zwischen den Parteien verteilt werden, dann muss jede Partei für sich entscheiden, wen sie für ministrabel hält und wen nicht – und am Ende braucht jedes Ressort noch mindestens einen parlamentarischen Staatssekretär oder eine Staatssekretärin.
So gesehen sind die Ampelparteien bei der Zusammenstellung ihres Kabinetts schon ziemlich weit gekommen. Nur die SPD, so scheint es, zögert noch. Nach allem, was bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe bekannt war, dürfte die neue Bundesregierung in etwa so aussehen:
Habeck, Lindner, Buschmann: Wer sicher Minister in der Ampel-Koalition wird
Wie die Zeiten sich ändern. Im Herbst 2003 bestätigte ein SPD-Parteitag Olaf Scholz in Bochum mit mickrigen 52 Prozent so gerade noch als Generalsekretär, obwohl er nicht einmal einen Gegenkandidaten hatte. Keiner im Saal hätte damals einen Cent darauf gewettet, dass dieser Mann einmal Bundeskanzler werden würde. Nun aber ist der 63-Jährige am Ziel, als vierter Sozialdemokrat nach Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Chef des Kanzleramts wird einer seiner engsten Vertrauten, der bisherige Finanzstaatssekretär Wolfgang Schmidt.
Christian Lindner musste liefern – und er hat geliefert, nämlich eine Regierungsbeteiligung. Als Finanzminister will der FDP-Vorsitzende so etwas wie die Stimme der ökonomischen Vernunft und der Schuldenbremser im Kabinett sein. Ein herausforderndes Amt – die finanziellen Begehrlichkeiten bei den Koalitionspartnern sind groß.
Vom Kanzleramt durfte sie nur kurz träumen – zu tief war der Absturz nach ihren verschwiegenen Nebeneinkünften und der Buch-Affäre. Abgeschrieben wie einst Guttenberg? Als Außenministerin übernimmt Annalena Baerbock eines der repräsentativsten Ämter im Kabinett. Seit Guido Westerwelle und Heiko Maas weiß man jedoch, dass darin keine Popularitätsgarantie wie zu seligen Genscher-Zeiten mehr eingebaut ist.
Am liebsten wäre Grünen-Chef Robert Habeck ja Finanzminister geworden, nun soll er als eine Art grüner Superminister in einem neu zugeschnittenen Ministerium die Energiewende und den Klimaschutz vorantreiben, die beiden wichtigsten Anliegen seiner Partei. Gegen die Wirtschaft wird das kaum gelingen, umso wichtiger ist der Dialog mit ihr. Gleichzeitig wird Habeck auch der neue Vizekanzler.
Volker Wissing ist einer der wenigen Grünen und Liberalen mit Regierungserfahrung im neuen Kabinett. Der FDP-General war schon Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz und gebietet nun über einen Etat von mehr als 40 Milliarden Euro. Kein Ressort kann mehr investieren als seines.
Marco Buschmann gehört in der FDP nicht zu den beliebtesten Spitzenfunktionären – aber zu den einflussreichsten. Als rechte Hand von Parteichef Lindner hat der Jurist aus Gelsenkirchen die Liberalen erst durch die mageren Jahre in der außerparlamentarischen Opposition gelotst und dann die Geschäfte ihrer Bundestagsfraktion geführt. Jetzt steigt er zum Justizminister auf.
Bettina Stark-Watzinger war gesetzt in der FDP, sie ist die einzige Frau in ihrer Ministerriege. Die Vorsitzende der hessischen FDP hat sich bisher vor allem als Haushalts- und Finanzpolitikerin einen Namen gemacht und wechselt nun in ein nicht minder schwieriges Feld: Die Bildungspolitik ist in erster Linie Ländersache.
Christine Lambrecht und Hubertus Heil: Wer wahrscheinlich ein Ministerium bekommt
Für den Bundestag hat Christine Lambrecht nicht mehr kandidiert – in der Bundesregierung dürfte sie trotzdem bleiben. Die SPD-Frau aus Hessen könnte vom Justiz- ins Innenministerium wechseln. Innere Sicherheit, Migration. In einer Koalition mit den Grünen nicht ohne Konfliktpotenzial.
Die personifizierte Kontinuität: Hubertus Heil ist Arbeitsminister – und bleibt es wohl auch. Der Sozialdemokrat aus Niedersachsen ist seit vielen Jahren ein ebenso unauffälliger wie zuverlässiger Arbeiter im Weinberg der Bundespolitik. An ihm ist für keinen Genossen ein Vorbeikommen.
Diese Ministerposten der Ampel-Koalition sind noch offen
Wer für die Grünen das Umwelt-, das Familien- und das Landwirtschaftsministerium übernimmt, war bis gestern Abend noch unklar – die Beratungen der Parteigremien dauerten noch an. Als Favoritin für das Familienministerium galt bis dahin die bisherige Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt, ihr Kollege Anton Hofreiter musste seinen Traum vom Verkehrsministerium nach der Verteilung der Ressorts zwar jäh begraben, war aber auch als möglicher Landwirtschaftsminister im Gespräch. Für den fünften Ministerposten wurden vor allem die ostdeutsche Abgeordnete Steffi Lemke und der ehemalige Parteichef Cem Özdemir gehandelt.
Bei den Sozialdemokraten war die Lage bis zum Abend noch unübersichtlicher. Wer am Ende welches Ministerium übernimmt, allen voran das in der Pandemie besonders wichtige Gesundheitsministerium, wollen Scholz und die beiden Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans erst in den kommenden Tagen klären. Als halbwegs sicher gilt, dass die gegenwärtige Umweltministerin Svenja Schulze auch im neuen Kabinett sitzen wird – in welchem Ressort auch immer. Neu geschaffen und von den Sozialdemokraten besetzt wird ein eigenes Ministerium für das Dauerthema Bauen und Wohnen. Bisher ist dafür das Innenministerium von Horst Seehofer (CSU) zuständig.
Letzter Termin für die Personalien der SPD ist der 4. Dezember, wenn ein kleiner Parteitag über das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen und die Ministerliste abstimmen wird. Außerdem bekomme die Genossen noch drei Staatsministerinnen und Staatsminister im Kanzleramt. Der vierte Posten dort, nämlich der für Kultur und Medien, geht an die Grünen.
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