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Regierung: Angela Merkels Jamaika: Alles umsonst

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Angela Merkels Jamaika: Alles umsonst

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    Au Backe, das ging schief! Angela Merkel wenige Stunden, nachdem die FDP die Sondierungsgespräche für gescheitert erklärt hat.
    Au Backe, das ging schief! Angela Merkel wenige Stunden, nachdem die FDP die Sondierungsgespräche für gescheitert erklärt hat. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    In dem Augenblick, als alles vorbei ist, verliert selbst die sonst so nüchterne und kontrollierte Angela Merkel die Beherrschung und zeigt Gefühle. Mit Tränen in den Augen, so erzählen Teilnehmer der letzten Sondierungsrunde, habe sie im Kreis der Verhandlungsdelegationen von CDU und CSU auf die Entscheidung der FDP reagiert, die Verhandlungen für beendet zu erklären. Da ist es kurz vor Mitternacht, und der Versuch einer schwarz-gelb-grünen Jamaika-Koalition ist gescheitert. „Angela Merkel war berührt und tief bewegt“, sagt ein führender Unionspolitiker am Montag gegenüber unserer Redaktion. „Das ging nahe ans Herz.“

    Den Beifall der Parteifreunde, die ihr für den vierwöchigen Dauereinsatz in den Verhandlungen danken, nimmt sie mit einer Mischung aus Wehmut und Enttäuschung entgegen. Denn in diesem Moment ist klar: All ihre Bemühungen, politisches Neuland zu betreten und ein in der Geschichte der Bundesrepublik völlig neuartiges Bündnis aus Konservativen, Liberalen und Grünen zu schmieden, waren umsonst. Acht Wochen nach der Bundestagswahl steht die Kanzlerin, die seit der Konstituierung des neugewählten Bundestags nur noch geschäftsführend im Amt ist, wieder bei Null. Und niemand weiß, wie diese Geschichte ausgehen wird.

    Man weiß nur: An Rücktritt habe sie in all den Stunden nicht gedacht – sagt sie zumindest später in der ZDF-Sendung „Was nun, Frau Merkel?“ Und dass sie, sollte es wirklich zu Neuwahlen kommen, wieder als Kanzlerkandidatin antreten will. Schließlich wird sie gefragt, ob sie glaube, im kommenden Jahr noch Kanzlerin zu sein. Sie antwortet: „Ich werde mich bemühen.“

    Nach einigen Stunden Schlaf und einer kurzen Denkpause hat Angela Merkel die Fassung wiedergewonnen. Für Trauerarbeit hat die 63-Jährige ohnehin keine Zeit, das Rad dreht sich weiter. Ein für den Mittag geplantes Treffen mit ihrem niederländischen Amtskollegen Mark Rutte wird kurzfristig abgesagt. Der Bundespräsident hat gerufen. Um zwölf fährt Merkel ins Schloss Bellevue, um Frank-Walter Steinmeier aus erster Hand über das Scheitern der Sondierungen zu berichten und mit ihm den weiteren Verlauf zu besprechen.

    Angela Merkel steht mit leeren Händen da

    Ein schwerer Gang für Angela Merkel. Sie kommt mit leeren Händen, zugleich liegt ihr weiteres politisches Schicksal in der Hand Steinmeiers. Er allein entscheidet, wen er dem Bundestag als Kanzlerkandidaten vorschlägt und ob er nach einem dritten Wahlgang entweder eine Regierung ohne Mehrheit akzeptiert oder den Bundestag auflöst und Neuwahlen ansetzt. Eindringlich und mit ernster Miene appelliert er an alle Parteien, sich in dieser Situation nicht zu verweigern. „Ich erwarte von allen Gesprächsbereitschaft, um eine Regierungsbildung in absehbarer Zeit möglich zu machen“, sagt der Präsident. Er werde daher in den kommenden Tagen mit den Vorsitzenden der Parteien und den anderen Verfassungsorganen Gespräche führen.

    „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, sagt FDP-Chef Christian Lindner in der Nacht und verabschiedet sich.
    „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, sagt FDP-Chef Christian Lindner in der Nacht und verabschiedet sich. Foto: Michael Kappeler, dpa

    So lange nicht entschieden ist, wie es weitergeht, bleiben Angela Merkel und die bisherigen Minister von CDU, CSU und SPD geschäftsführend im Amt. Doch ihre Kompetenzen sind begrenzt und ihre Möglichkeiten eingeschränkt. Entsprechend groß ist die Enttäuschung in der Union über das Verhalten der anderen Parteien. „Gründe für das Scheitern von Jamaika gibt es etliche“, sagt beispielsweise der stellvertretende Unions-Fraktionschef Georg Nüßlein (Neu-Ulm) unserer Redaktion. „Etwa das unprofessionelle Verhandeln der Grünen mit unklaren Zuständigkeiten, immer neuen Vorschlägen und ständig wechselnden Partnern. Oder die Überlegung der FDP, die – frisch im Bundestag – nicht gleich in einem unsicheren Bündnis alle Wähler verprellen wollte.“ In der CDU und der CSU gilt es als große Leistung der beiden Chefs Angela Merkel und Horst Seehofer, die Positionen der Schwesterparteien geschlossen und entschlossen gegenüber Liberalen und Grünen vertreten zu haben.

    Den Vorwurf der FDP, Merkel habe das Scheitern von Jamaika zu verantworten, da es ihr in den vierwöchigen Verhandlungen zu keinem Zeitpunkt gelungen sei, eine gemeinsame tragfähige Grundlage für diese Koalition zu schaffen, weisen die Unionsgranden mit Entschiedenheit zurück. Die CDU-Chefin habe vielmehr „professionell“ verhandelt, habe stets auf die kleinen Parteien Rücksicht genommen, ohne die Interessen der Union aus dem Blick zu verlieren. „Es ist uns als CDU und CSU gelungen, bis zum Ende der Sondierungsgespräche die Geschlossenheit zu wahren und dabei unsere Kernanliegen nicht aus der Hand zu geben“, lobt Fraktions-Vize Nüßlein die eigene Verhandlungsleitung.

    Das Schwarze-Peter-Spiel ist in vollem Gange

    Wer also ist schuld am Scheitern? Am Montag ist das Schwarze-Peter-Spiel in vollem Gange. Sind’s tatsächlich die Liberalen, wie es in der Union und bei den Grünen heißt, die kurz vor Mitternacht einfach aufgestanden und gegangen sind?

    Es ist fünf vor zwölf, als Christian Lindner vor der baden-württembergischen Landesvertretung seine Erklärung vorliest, die den Schlussstrich unter das Projekt Jamaika-Koalition zieht: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Alles, was CDU, CSU, FDP und Grüne in harten, von lauten Nebengeräuschen begleiteten gut vierwöchigen Sondierungen besprochen haben, ist damit wertlos.

    Dabei soll der Sonntag endgültig den Durchbruch bringen. Und noch unmittelbar vor dem Auszug der FDP-Delegation heißt es übereinstimmend von Teilnehmern der Union und der Grünen, habe es aus ihrer Sicht keinerlei Anzeichen für ein Scheitern der Gespräche gegeben. Das selbst gesteckte Ziel, bis 18 Uhr alle Unstimmigkeiten auszuräumen, ist zwar längst um etliche Stunden überschritten. Doch im Verhandlungssaal kursiert der Witz, dass doch nach Jamaika-Zeit verhandelt werde: Auf der fernen Karibikinsel sei es ja zu diesem Zeitpunkt erst Nachmittag. Und als spät in der Nacht das Essen ausgeht, schickt Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) seinen Fahrer zur nächsten Tankstelle, um Erdnüsse und Kartoffelchips zu besorgen. Ein Gesprächsteilnehmer beschreibt die Stimmung vor dem großen Knall als „gelöst, positiv und von einer gespannten Erwartung erfüllt“. Eine Einigung habe buchstäblich in der Luft gelegen.

    Mehr zum Aus der Jamaika-Sondierungen lesen Sie hier:

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    In diesen Stunden gilt es scheinbar nur noch, einen Kompromiss im ganz großen Reizthema festzuklopfen. Das Hauptaugenmerk der Verhandlungsführer richtet sich zum vermeintlich letzten Mal auf den Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus. Nach der Devise „Nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist“ hängt an diesem Thema das große Ganze – glauben zumindest CDU, CSU und Grüne. Alle anderen wichtigen offenen Fragen, heißt es aus den Reihen von Union und Ökopartei, sind entweder bereits gelöst oder stehen kurz davor.

    Beim Familiennachzug gibt es in der Nacht tatsächlich Bewegung. Weil sich gerade CSU und Grüne in dieser Frage in den vergangenen Wochen scheinbar unversöhnlich gegenübergestanden waren, kommt es zum Gespräch in kleiner Runde. Die Spitzen von Christsozialen und Grünen sollen unter Vermittlung von Angela Merkel den lähmenden Streit endlich beilegen.

    Es zeichnet sich ein Kompromiss ab. Die Grünen akzeptieren den von der Union geforderten unverbindlichen Richtwert von nicht mehr als 200000 Flüchtlingen pro Jahr. Der Familiennachzug für Flüchtlinge wird für ein weiteres Jahr ausgesetzt und ist dann im Rahmen des Richtwerts möglich. Jamaika scheint also den Durchbruch geschafft zu haben.

    Doch dann geschieht das, was in der Union und bei den Grünen für Entsetzen sorgt. Noch bevor die FDP-Delegation über den neuen Sachstand informiert werden kann, verlässt sie die baden-württembergische Landesvertretung.

    Die FDP sagt: Die Grünen waren‘s. Und die Grünen sagen...

    Alle Beobachter haben den Konflikt zwischen der CSU und Grünen als wahrscheinlichste Bruchstelle des Experiments gesehen, und nun ist es die FDP, die die Träume von der bunten Koalition platzen lässt. Die Liberalen selbst machen dafür vor allem die Grünen verantwortlich. Der Konflikt mit der Ökopartei habe sich am Ende als unüberwindbar erwiesen.

    Der baden-württembergische Landesvorsitzende Michael Theurer, Mitglied des liberalen Sondierungsteams, spricht gegenüber unserer Redaktion von mehr als hundert Punkten, in denen es noch keine Einigung gegeben habe – trotz vierwöchigen Ringens. Mit den Grünen sei niemals eine Vertrauensbasis zustande gekommen. Am Sonntagmorgen habe ein Zeitungsinterview von Jürgen Trittin zusätzlich den Eindruck erweckt, es bestehe bei den Grünen keinerlei Respekt vor dem Verhandlungspartner FDP.

    Theurer widerspricht energisch „dem Eindruck, der jetzt verbreitet wird, dass die Sondierungsgespräche kurz vor dem Durchbruch standen. Das entspricht einfach nicht den Tatsachen.“ Ob beim Abbau des Solidaritätszuschlags, in der Energiepolitik, bei Bildung oder Digitalisierung – von einem liberalen Aufbruch sei in den Sondierungsgesprächen nichts zu spüren gewesen, sagt er. Dafür habe die FDP „bis zuletzt mit Herzblut gekämpft“.

    Im Gegensatz dazu heißt es bei den Grünen, in den vorausgegangenen Tagen seien die Sondierungen längst zu echten Koalitionsverhandlungen geworden. In vielen Bereichen hätten sich die Ergebnisse fast unverändert in einen Koalitionsvertrag übernehmen lassen. Es herrscht der Eindruck, die FDP habe den Traum von Jamaika mit kaltem Kalkül platzen lassen. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagt mit Blick auf die Liberalen: „Mit jeder weiteren Einigung wurde die Panik eher größer als geringer. Deshalb kann man durchaus den Verdacht haben, dass die weniger gestalten wollten, sondern mehr Sorge vor der Verantwortung hatten.“

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