Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Rederecht im Bundestag: Der schwierige Umgang mit Abweichlern

Rederecht im Bundestag

Der schwierige Umgang mit Abweichlern

    • |
    Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms von der FDP sagte, er sehe keine Begründung für die Änderung der Geschäftsordnung.
    Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms von der FDP sagte, er sehe keine Begründung für die Änderung der Geschäftsordnung. Foto: dpa

    Berlin „Wir verpassen niemandem einen Maulkorb.“ Als Vorsitzender des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ist Thomas Strobl dafür verantwortlich, dass der Bundestag sich möglichst effizient organisiert und jeder der 620 Abgeordneten zu seinem Recht kommt. Umso mehr wundert der 52-Jährige sich, welche Wellen ein Gesetzentwurf aus seinem Ausschuss gerade schlägt. Ein Bericht der Süddeutschen Zeitung, nach dem Union, SPD und FDP das Rederecht von aufmüpfigen Abgeordneten einschränken wollen, ist aus Strobls Sicht nämlich vor allem eines: „Eine gewaltige Fehlinterpretation.“ Auch in Zukunft könne der Bundestagspräsident ohne den Segen der Fraktionen Parlamentariern mit abweichenden Meinungen wie dem Euro-Rebellen Frank Schäffler von der FDP das Wort erteilen.

    „Im Prinzip ändert sich fast gar nichts“, sagt Strobl im Gespräch mit unserer Zeitung. Hinter der Formulierung, nach der der Präsident Abweichler wie Schäffler und dessen CDU-Kollegen Klaus-Peter Willsch nur noch „im Benehmen“ mit den Fraktionen ans Pult lassen darf, verbirgt sich danach keineswegs eine Art Redeverbot. „Benehmen“, heißt es in Strobls Entwurf wörtlich, „bedeutet nicht Einverständnis oder gar Zustimmung, sondern in erster Linie die Beteiligung der Fraktionen durch Information.“ Im Klartext: Wenn Bundestagspräsident Norbert Lammert der Ansicht ist, ein Skeptiker wie Schäffler müsse gehört werden, kann dessen Fraktionschef Rainer Brüderle diesen Auftritt auch in Zukunft nicht verhindern.

    Bisher bewegt Lammert sich in einer Grauzone. Bei der Debatte über den Rettungsschirm EFSF im September hatte er sich auf einen Kommentar zur Geschäftsordnung des Bundestages berufen, nach dem einem redewilligen Abweichler „in jedem Fall“ das Wort zu erteilen ist. Diese Rechtsauffassung allerdings ist in den Fraktionen umstritten.

    „Da kann sich künftig ja jeder Abgeordnete vordrängen“, tobte Volker Kauder damals, der Fraktionschef der Union. „Wenn alle reden, die eine von der Fraktion abweichende Meinung haben, dann bricht das System zusammen.“ Der Grüne Christian Ströbele dagegen lobte Lammert für eine „weise Entscheidung“ und pochte auf Gleichbehandlung: In den Beratungen über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr verweigert seine Fraktion ihm regelmäßig einen Platz auf der grünen Rednerliste. Die geplante Neuregelung, versichert Strobl, gebe dem Bundestagspräsidenten für solche Fälle nun „ein Stück mehr Sicherheit“. Er kann Abweichler danach, wenn er es für richtig hält, drei Minuten lang zu Wort kommen lassen, er muss es aber nicht.

    Wer im Parlament redet, bestimmen ansonsten die Fraktionen. Abhängig von ihrer Stärke und der geplanten Dauer der Debatte teilt das Bundestagspräsidium ihnen ein bestimmtes Kontingent an Redeminuten zu. Die Auftritte von Willsch und Schäffler rechnete Lammert damals zwar nicht auf die Redezeiten von Union und FDP an. Mit jeweils fünf Minuten allerdings räumte er ihnen fast so viel Raum ein wie der gesamten Grünen-Fraktion, die insgesamt nur auf 13 Minuten kam.

    Bisher können Abgeordnete nach einer Abstimmung zwar ebenfalls schon eine kurze Erklärung abgeben. Dann allerdings sind die Kameras der Fernsehsender häufig schon abgebaut und die Pressetribünen im Bundestag schon wieder verwaist. Außerdem wird dieses Instrument nach Ansicht der anderen Fraktionen vor allem von der Linkspartei geradezu inflationär missbraucht. Durch die ständige Abgabe solcher Erklärungen, kritisiert Strobl, habe die Linke ihre ursprüngliche Redezeit teilweise schon vervielfacht. Nun allerdings wehre sich das Parlament gegen diesen Missbrauch: Persönliche Erklärungen sollen nur noch schriftlich abgegeben werden, lediglich in Ausnahmefällen soll der Parlamentspräsident einem Abgeordneten das Wort erteilen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden