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Rede zur Lage der EU: Migration, Klima, Corona: Wie realistisch ist von der Leyens Europa-Plan?

Rede zur Lage der EU

Migration, Klima, Corona: Wie realistisch ist von der Leyens Europa-Plan?

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    Mit Verve sprach die deutsche EU-Kommissionspräsidentin in ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament über ihre Konzepte für eine funktionsfähige, solidarische und ökologische Union.
    Mit Verve sprach die deutsche EU-Kommissionspräsidentin in ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament über ihre Konzepte für eine funktionsfähige, solidarische und ökologische Union. Foto: Francisco Seco, dpa

    Als Ursula von der Leyen an diesem Mittwochmorgen an das Rednerpult des Europäischen Parlaments in Brüssel trat, wusste sie, dass die Erwartungen unerfüllbar hoch sind. Migration, Klima, Russland, Belarus, Coronavirus – zu allen Themen wurden von ihr klare Ansagen erwartet. Mitten in einer der tiefsten Krisen dieser Gemeinschaft. „Ein Virus, tausend Mal kleiner als ein Sandkorn, hat uns gezeigt, dass unser Leben an einem seidenen Faden hängt“, sagte sie wenige Augenblicke später. „Es hat uns unsere Verletzlichkeit vor Augen geführt.“

    Nur wenige Europa-Abgeordnete – die meisten saßen wegen der Reisebeschränkungen zu Hause am Computer – erlebten in den folgenden 90 Minuten eine große Rede. Die EU-Parlamentarier waren größtenteils auf ihrer Seite, nicht aber die, auf die es in den nächsten Monaten letztlich ankommt – die Staats- und Regierungschefs. Und so verkleidete der liberale belgische Abgeordnete Guy Verhofstadt sein Kompliment für von der Leyens Programm mit der Bitte, sie möge die Rede doch bitte wiederholen – vor den Staatenlenkern. Die Gelegenheit wäre da: Die EU-Chefs kommen in der nächsten Woche wieder zusammen.

    Von der Leyen arbeitet in ihrer Rede eine ganze Palette brisanter Themen ab

    Von der Leyen ließ kein heißes Eisen aus. Beim Klimaschutz forderte sie statt der bereits beschlossenen Reduzierung der CO2-Emissionen bis 2030 um 40 Prozent einen Abbau um „mindestens 55 Prozent“. Das sei „ehrgeizig, machbar und gut für Europa“. Als Lehre aus der Pandemie will sie mehr Kompetenzen der EU für eine „Gesundheitsunion“, um für „künftige Krisen besser gewappnet zu sein“. Den Umbau der Wirtschaft auf eine klimaneutrale Produktion bezeichnete sie als „Bauplan unserer Zukunft“. Um Gebäude entsprechend zu sanieren, forderte sie eine „europäische Renovierungswelle“.

    Eine „digitale Dekade“ soll zum Aufbruch Europas in das digitale Zeitalter werden – inklusive europäischer Cloud und eines modernen Umgangs mit persönlichen Daten: „Jedes Mal, wenn eine Webseite uns auffordert, eine neue digitale Identität zu erstellen, haben wir keine Ahnung, was mit den Daten geschieht“, sagte sie. Eine „sichere europäische Identität“ soll das verbessern. Sie verurteilte die polnische Bewegung gegen Lesben, Schwule und Transgender, schickte den Menschen in Belarus das Signal: „Wir stehen auf eurer Seite.“

    Bei der Migration erinnerte sie „an die gemeinsamen Werte“. So sei „die Rettung von Menschen in Seenot keine Option, sondern eine Pflicht“. Asyl- und Rückführungsverfahren will sie miteinander verknüpfen. Details zu einem neuen gemeinsamen Asylrecht folgen in der kommenden Woche. Eines sei jedoch klar: „Alle müssen mitmachen.“

    Rede zur Lage der EU enthält auch persönliche Worte für die Pflegekräfte und Ärzte

    Es gab aber auch die anderen, sehr persönlichen Passagen dieses Auftritts. Von der Leyen begann mit einem Dank an die Pflegekräfte und Ärzte, die sich um kranke und ältere Menschen in der Pandemie gekümmert haben. Und sie endete mit einem Dank an „die Millionen von jungen Menschen, die für eine intaktere Umwelt auf die Straße gehen“. Für einen Moment schien diese Gemeinschaft mit dem für von der Leyen typischen Schlusssatz „Es lebe Europa“ um eine strahlende Rede reicher zu sein.

    Aber die Abgeordneten haben gelernt, dass die Kommissionspräsidentin gerne viel verspricht, es dann aber sehr lange dauern kann, bis wirklich konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt werden – und dass man sich die sehr genau ansehen sollte. Die sozialdemokratische Umweltpolitikerin Delara Burkhardt und die Umweltorganisation Greenpeace haben das beispielsweise bei den neuen Klimazielen getan und festgestellt, dass es sich um eine „ambitionierte Mogelpackung“ handelt. Der Grund: Die Kommission will die Menge an CO2, die von den Wäldern und der Landwirtschaft der Atmosphäre entzogen werden, von ihrem Reduktionsziel 55 Prozent erst noch abziehen. Dann blieben lediglich 51 oder 52 Prozent, aufgrund weiterer Tricks sogar nur 45 Prozent übrig. Das wären gerade mal fünf bis sieben Prozentpunkte mehr als bisher. Fazit der SPD-Politikerin: „sehr enttäuschend.“

    Gegner spricht von „wirtschaftspolitischem Harakiri“

    Dagegen beklagte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in einer Stellungnahme, die Ziele würden zügig angehoben, bei den notwendigen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft sei aber „vieles noch Wunschdenken“. Lüder Gerken, Chef des Centrums für europäische Politik in Freiburg, sprach sogar offen von „wirtschaftspolitischem Harakiri“.

    Tatsächlich hat die Kommissionspräsidentin ihren eigentlichen Kampf erst noch vor sich. Bei den Autobauern fürchtet man gerade nichts mehr als eine nochmalige Senkung der Höchstgrenze für CO2-Emissionen, die je gefahrenem Kilometer aus dem Auspuff kommen. Angeblich gibt es Pläne der EU-Kommission, in denen von einer Halbierung der heutigen Grenzwerte bis 2030 die Rede ist. Würde darauf, wie vor allem von Deutschland gefordert, verzichtet, müssten die fehlenden Anteile am europäischen Ziel von anderen Branchen aufgebracht werden. Deren Reaktion ist leicht vorstellbar. Hinzu kommt, dass auch die Mitgliedstaaten noch nicht wirklich einig sind. Polen verweigert bisher weiter seine Unterstützung für einen klimaneutralen Umbau bis 2050. Aus anderen EU-Ländern kommt noch weiter gehende Kritik: Schließlich sei die sogenannte Klimaneutralität gar keine echte Lösung, weil man den CO2-Ausstoß nur auf die Menge senken wolle, die dann von Bäumen, Pflanzen und der Agrarwirtschaft kompensiert werde.

    Von der Leyen räumt ein: „Wir müssen schneller und besser werden“

    Von der Leyen hielt am Mittwoch dagegen. Ihr Haus habe „alle Sektoren gründlich untersucht, um zu sehen, wie schnell wir handeln können – verantwortlich und von Fakten geleitet“. Diese sogenannte Folgenabschätzung habe ein klares Ergebnis ergeben: „Wir müssen schneller sein und unsere Sache besser machen.“

    Von der Leyens Rezeptur für diese Rede, die seit 2009 einmal pro Jahr gehalten wird und eine kleine Kopie der Ansprache amerikanischer Präsidenten „Zur Lage der Nation“ ist, waren Aufbruch und Entschlossenheit. Das ergab auch Sinn, zumal Kleinmut noch nie eine Therapie für besondere Krisen war. Es blieb das größte Problem dieser Gemeinschaft unerwähnt: die Uneinigkeit zwischen den Mitgliedstaaten.

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