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Rechtsextremismus: Mehr als ein Randphänomen

Rechtsextremismus

Mehr als ein Randphänomen

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    „Rechtsextremismus ist nicht ausschließlich ein Phänomen des politischen Randes.“Ralf Melzer, Friedrich-Ebert-Stiftung
    „Rechtsextremismus ist nicht ausschließlich ein Phänomen des politischen Randes.“Ralf Melzer, Friedrich-Ebert-Stiftung

    Wie die Gefahr des Rechtsextremismus in Deutschland unterschätzt wurde, hat die aufgedeckte Mordserie der sogenannten Zwickauer Zelle gezeigt. Ralf Melzer von der Friedrich-Ebert-Stiftung, die sich mit Rechtsextremismus auseinandersetzt, ist überzeugt: Man hätte ahnen müssen, dass so etwas passieren kann. „Man muss damit rechnen, dass das nicht die letzten Morde waren.“

    Seit der deutschen Wiedervereinigung wurden 183 Menschen mit ausländerfeindlichem Hintergrund ermordet. Diese Zahl nennt die Amadeu-Antonio-Stiftung. Bei der Stiftung geht man allerdings davon aus, dass die Dunkelziffer noch höher liegt. In vielen Fällen seien Morde und ihre Motive nicht vollständig aufgeklärt worden.

    Melzer spricht von einer „periodischen Aufgeregtheit“, die man im Augenblick in Politik und Gesellschaft erlebe. Dabei wünsche er sich eine dauerhafte Sensibilisierung für diese Problematik.

    Denn Rechtsextremismus sei alles andere als ein Randproblem, sagt Melzer. Man finde ihn nicht nur in entsprechenden Bewegungen oder Parteien. Rechtsextremismus sei vielerorts im Alltag verankert, meint Melzer. Das Alltägliche bilde sogar den Nährboden für „solche fürchterlichen Auswüchse“.

    Zahlen empirischer Untersuchungen seien Beleg für eine zunehmende rassistische und antidemokratische Einstellung in Deutschland. Laut einer Umfrage hatten im vergangenen Jahr 8,2 Prozent der deutschen Bevölkerung ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“, berichtet Melzer. In der repräsentativen Studie wurden 2500 Menschen unter anderem befragt, ob sie eine Diktatur befürworten oder gegen Ausländer sind. Der Grad der Zustimmung der Teilnehmer habe dann zu diesem Ergebnis geführt.

    An dieser Stelle ließe sich dagegenhalten, dass die NPD „nur“ in den Landtagen Mecklenburg-Vorpommerns und Sachsens vertreten ist. Doch Melzer warnt ausdrücklich vor einem solchen Rückschluss. Das Wahlverhalten der Deutschen sei nicht zwangsläufig das Spiegelbild ihrer politischen Einstellungen. „Das wäre eine gefährliche Verengung der Wahrnehmung.“ Zwischen der Einstellung und dem Wahlverhalten liege oft ein riesiger Unterschied.

    Rechtsextremismus sei nicht ausschließlich ein Phänomen des rechten politischen Randes. „Er kommt sogar in der Mitte der Gesellschaft vor“, sagt Melzer. Menschen mit latent rechtsextremen Einstellungen fänden sich auch in linken Parteien oder unter Gewerkschaftsmitgliedern.

    Ähnliches gebe es europaweit. Melzer hält auch die Rechtspopulisten von der französischen Partei Front National für extremistisch – selbst wenn sie inzwischen salonfähig geworden seien. „Damit befreit sich der Rechtsextremismus aus seiner Schmuddelecke“, urteilt der Experte von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der Front National habe sich mit der neuen Parteispitze einen scheinbar moderneren und sympathischeren Anstrich verpasst. Parteichefin Marine Le Pen sei den Wählern viel besser vermittelbar, als es ihr Vater Jean-Marie Le Pen jemals war, meint Melzer.

    Der Front National ist laut Melzer nur ein Beispiel von vielen. Rechtspopulistische Parteien gäben vor, Lösungen für Probleme zu haben, mit denen die Menschen in Zeiten der Globalisierung konfrontiert sind. Ihre Antworten auf komplexe Fragen seien dabei aber ziemlich schlicht. Gesucht würden Sündenböcke. „Die Mechanismen sind nicht neu. Aber es ist erschreckend, dass sie immer noch funktionieren“, sagt Melzer.

    Rechtspopulisten bedienten sich dabei auch links. „Sie annektieren linke emanzipatorische Begriffe wie soziale Gerechtigkeit und deuten sie völkisch-nationalistisch um.“ Dabei gerierten sich die Rechtspopulisten als die einzigen Wahrer der Gerechtigkeit. „Hochgefährlich“, findet Melzer. Er befürchtet, dass mit einer Verschärfung der Finanzkrise und der damit einhergehenden sozialen Unsicherheit die Fremdenfeindlichkeit zunehmen werde.

    Für Thomas Krüger hat sich aus dem Rechtsextremismus in Deutschland rechter Terror herauskristallisiert. „Man kann sagen, der rechte Terror ist bei uns angekommen“, sagt der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Die rechtsextreme Szene in Deutschland werde immer professioneller. Rechtsextreme agierten längst nicht mehr im luftleeren Raum. Im Gegenteil. Man kenne sich untereinander.

    Krüger spricht von einem großen Netzwerk, das vor allem in ländlichen Gegenden verankert sei. Insbesondere, und das ist nicht neu, in den ostdeutschen Bundesländern. Dort, wo viele Menschen nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung schnell abwandern und weniger gut Ausgebildete zurückbleiben.

    Rechtsextreme halten über das Internet Kontakt. „Die Kontaktbörsen sind die sozialen Netzwerke“, sagt der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Internetnutzer werden beispielsweise auf Youtube oder Facebook geködert. Geändert habe sich auch das äußere Erscheinungsbild. Die Extremisten seien nicht mehr zwangsläufig optisch erkennbar. Damit wolle man für die breite Masse kompatibler werden. Ob Kleidung oder Musik – die Rechtsextremen adaptierten inzwischen viel aus dem linksautonomen Spektrum. Zudem gebe es unter den Rechtsextremen eine neue intellektuelle Elite, sagt Thomas Krüger. Er bezeichnet die rechtsextreme Szene als ein stark getriebenes Milieu, das sich immer weiter organisiert.

    Ralf Melzer von der Friedrich-Ebert-Stiftung bestätigt diese Veränderung. Als Beispiel nennt er die neuen Bewegungen wie etwa „Pro NRW“ oder „Pro Köln“. Diese würden vor allem das aktuelle Thema Islamisierung aufgreifen – auf eine „undifferenzierte Art und Weise“. Melzer spricht von einer „Pseudomodernisierung“. Zwar hätten die Rechtsextremen ihren Stil geändert, der Kern jedoch sei gleich geblieben.

    Sowohl Thomas Krüger von der Bundeszentrale für politische Bildung als auch Ralf Melzer von der Friedrich-Ebert-Stiftung fordern Unterstützung für die Arbeit gegen Rechtsextremismus – und zwar dauerhaft. Zudem verlangt Ralf Melzer von der Politik: „Wir brauchen ein Klima, in dem solches Gedankengut nicht existieren kann.“ Damit meint er nicht nur die Bundespolitik. Auch in einem Kreistag dürfe Rechtsextremismus nicht akzeptiert werden.

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