Es ist ein Interview, das vermutlich mehr Fragen aufwerfen als beantworten dürfte. Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy bestreitet, pädophil zu sein. Nach eigenen Worten ist er ein Gegner von Kinderpornografie. "Kindesmissbrauch ist verwerflich und ist zu bestrafen. Diesen habe ich weder begangen noch unterstützt", sagte der 44-Jährige dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Sein Fall hatte im Februar die erste große Krise in der schwarz-roten Koalition ausgelöst.
Sebastian Edathy: Männlicher Akt mit langer Tradition in der Kunstgeschichte
Edathy verteidigte zugleich, dass er Nacktaufnahmen von Kindern und Jugendlichen gekauft hat. "Man muss daran keinen Gefallen finden, man darf es aber." Wenn jemand das nicht gut finde, "kann ich das verstehen", sagte er. In der Kunstgeschichte habe der männliche Akt aber eine lange Tradition, auch der Kinder- und Jugendakt.
Der Innenpolitiker, gegen den wegen des Verdachts auf Besitz von Kinderpornografie ermittelt wird, hält sich laut "Spiegel" an einem geheimen Ort in Südeuropa auf.
Edathy lehnte eine Entschuldigung ab. Die gekauften Nacktbilder seien nicht illegal. "Ich muss und werde mich für mein Privatleben nicht entschuldigen oder rechtfertigen. Niemand, der sich im privaten Bereich rechtskonform verhält, muss das." Der Schutz der Privatsphäre sei elementar für einen Rechtsstaat.
Edathy bezeichnet sich als "in Deutschland verfemt"
Edathy beklagte, er sei in Deutschland gewissermaßen verfemt. "Es ist eine völlig surreale Lage, in der ich bin: Meine Arbeit, meine Privatsphäre und mein Zuhause - alles das ist erst mal weg." Ihm fehle gegenwärtig die Fantasie zu sagen, "was ich wann aus meinem Leben machen kann".
Der Soziologe und Sprachwissenschaftler, dessen Vater in den 60er Jahren aus Indien nach Deutschland kam, hatte Anfang Februar aus gesundheitlichen Gründen nach 15 Jahren sein Bundestagsmandat niedergelegt. Er ist unverheiratet und hat keine Kinder. Bekannt wurde der Innenpolitiker als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses.
Im Zusammenhang mit der Edathy-Affäre ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft inzwischen gegen den als Bundesminister zurückgetretenen CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich. Es geht um möglichen Geheimnisverrat. Er hatte im Oktober 2013 während der Koalitionsverhandlungen - als damaliger Innenminister - SPD-Chef Sigmar Gabriel darüber informiert, dass der Name Edathy bei Ermittlungen im Ausland aufgetaucht war.
Darüberhinaus gibt es auch massive Kritik an der niedersächsischen Justiz und am Bundeskriminalamt. Den Behörden wird vorgehalten, die Ermittlungen monatelang verschleppt zu haben.
Edathy: Rückkehr nach Deutschland gescheitert
weil die Behörde den Namen des früheren SPD-Abgeordneten zunächst nicht auf der Kundenliste eines kanadischen Anbieters von Kinderporno-Material erkannt hatte.
Chronologie: Die Affäre Edathy
2012: Die kanadische Polizei informiert das Bundeskriminalamt über deutsche Kunden eines kanadischen Online-Shops, der auch Kinderpornografie vertreibt. Im Oktober 2012 gibt das BKA die Daten zur Auswertung an die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt.
Oktober 2013: BKA-Chef Jörg Ziercke informiert den Staatssekretär des damaligen Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU). Der sagt SPD-Chef Gabriel, dass im Rahmen von Ermittlungen im Ausland der Name Edathy aufgetaucht sei. Gabriel erzählt Fraktionschef Steinmeier davon.
5. November 2013: Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, erfährt in einem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Celle erstmals von dem Verdacht.
Anfang Januar 2014: Edathy meldet seiner Fraktion seine Krankschreibung. Ende November 2013 hatte der innenpolitische SPD-Fraktionssprecher Michael Hartmann Oppermann bereits darüber informiert, dass Edathy gesundheitliche Probleme habe.
22. Januar 2014: Edathys Anwalt sucht das Gespräch mit Oberstaatsanwalt Thomas Klinge. Dabei wiederholt er, was sein Mandant gerüchteweise gehört habe. "Die Filme seien allerdings nicht pornografisch gewesen, Herr Edathy besitze sie auch nicht mehr", sagt der Anwalt nach Darstellung Jörg Fröhlichs.
28. Januar 2014: Die Staatsanwaltschaft entscheidet, Ermittlungen einzuleiten, die zunächst verdeckt laufen.
7. Februar 2014: Edathy legt nach 15 Jahren sein Bundestagsmandat nieder. Als Motiv nennt er gesundheitliche Gründe.
10. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover lässt Edathys Wohnungen im niedersächsischen Rehburg und in Berlin sowie Büros durchsuchen. Offenbar stoßen sie dabei nur auf wenig Material.
11. Februar 2014: Edathy weist in einer Erklärung den Verdacht auf Besitz von Kinderpornografie zurück. Einen Tag später erhebt er Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft: Die Razzien in seinen Wohnungen und Büros seien unverhältnismäßig und widersprächen rechtsstaatlichen Grundsätzen.
13. Februar 2014: SPD-Fraktionschef Oppermann gibt bekannt, dass Sigmar Gabriel bereits im Oktober vom damaligen Innenminister Friedrich über mögliche Ermittlungen gegen Edathy informiert worden sei.
14. Februar 2014: Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Fröhlich, gibt Einzelheiten zu den Ermittlungen bekannt. Danach geht es um den Kauf von Bildern mit nackten Jungen zwischen neun und 13 Jahren. Das liege im Grenzbereich zur Kinderpornografie, so Fröhlich. Zu dem Tipp von Friedrich an Gabriel sagt er: "Wir sind fassungslos."
14. Februar 2014: Friedrich erklärt, er wolle im Amt bleiben, bis über ein Ermittlungsverfahren entschieden ist. Nur wenige Stunden später tritt er als Agrarminister zurück.
18. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover leitet ein Verfahren gegen unbekannt wegen des Verdachts auf Geheimnisverrats ein. Ein Behörden-Brief kam unverschlossen sechs Tage nach Versand an. Er sollte den Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) über den Fall Edathy informieren. Es ist bekannt, dass sich ein Anwalt Edathys schon im November nach möglichen Ermittlungen erkundigt hat.
24. Februar 2014: Gegen Edathy wird ein SPD-Parteiordnungsverfahren eingeleitet.
2. Mai 2014: Es wird vom Landeskriminalamt Niedersachsen berichtet, dass sich Edathy strafbares kinderpornografisches Material über seinen Bundestag-Laptop beschafft habe. Die Staatsanwaltschaft schweigt.
17. Juli 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover klagt den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy wegen des Besitzes von kinderpornografischen Fotos und Videos an.
29. August 2014: Edathy scheitert mit seiner Beschwerde wegen der Durchsuchung seiner Wohnung und seines Abgeordnetenbüros beim Bundesverfassungsgericht.
18. November 2014: Das Gericht lässt die Anklage gegen Edathy zur Hauptverhandlung zu.
23. Februar 2015: Am Landgericht Verden startet der Prozess gegen Edathy. Er endet nach nur rund 90 Minuten. Staatsanwaltschaft und Verteidigung wollen bis zur nächsten Sitzung erneut über eine Einstellung sprechen.
2. März 2015: Das Gericht stellt das Verfahren ein. Zuvor hat Edathy eine Erklärung verlesen lassen, in der er die Anklagevorwürfe einräumt. Zwar muss er 5000 Euro zahlen, aber er ist nicht vorbestraft.
1. Juni 2015: Edathy muss seine SPD-Mitgliedschaft drei Jahre ruhen lassen. Das entscheidet das Schiedsgericht des SPD-Bezirks Hannover. Für einen von der Parteispitze beantragten Parteiausschluss sieht das Gremium keine ausreichende Grundlage.
Im "Spiegel"-Gespräch machte der Ex-Abgeordnete deutlich, dass er gern nach Deutschland zurückkehren würde. Ein Versuch sei aber bereits gescheitert. Er habe nach Hause reisen wollen, um einige persönliche Angelegenheiten zu regeln. "Ein Nachbar wies mich darauf hin, dass sich vor dem Haus drei Autos mit Journalisten und zwei mit Neonazis befinden würden. Ich habe auf die Fahrt dann verzichtet", sagte Edathy.
Vorwürfe erhob er auch gegen seine Partei. Das von SPD-Chef Sigmar Gabriel angestrebte Ordnungsverfahren sei unhaltbar, bevor die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover abgeschlossen seien. Er halte es für problematisch, "wenn die Kategorie des moralischen Verhaltens im privaten Bereich für ein Ausschlussverfahren leitend sein soll".
SPD-Führung verhält sich laut Sebastian Edathy skrupellos
Edathy bedauerte, dass die SPD-Parteiführung bislang nicht in einem Satz seine Arbeit im Bundestag gewürdigt habe. "Das ist taktisch unproblematisch, wenn man hinreichend skrupellos ist."
Erneut bestritt er, Beweismittel beiseite geschafft zu haben. Sein verschwundener Bundestags-Laptop, von dem er nach seiner Erinnerung auch die fraglichen Nacktbilder bestellt habe, sei gestohlen worden - auf einer privaten Zugreise aus Nordrhein-Westfalen nach Amsterdam bei einem längeren Aufenthalt in Bad Bentheim. dpa/AZ