Prügelnde Sicherheitskräfte, brennende Autos, zertrümmerte Schaufenster, Tränengasschwaden in der Hauptstadt: Was sich derzeit in den USA abspielt, erinnert Regierungen und Kommentatoren im Nahen Osten an die Zustände in ihrer eigenen Region. Bürgerrechte und Demokratie – das fordern die USA gerne von den Staaten in Nahost. Doch nun können diese den Spieß umdrehen und Amerika als Heuchler an den Pranger stellen.
Die Fernsehbilder aus amerikanischen Städten und der von Präsident Donald Trump befohlene Einsatz der Armee auf den Straßen des Landes kratzen am Image einer toleranten Demokratie, das die USA von sich selbst entwerfen. Eine Eliteeinheit der US-Armee, die nach Washington verlegt werden soll, war vor Monaten noch zur Abwehr pro-iranischer Demonstranten in der irakischen Hauptstadt Bagdad im Einsatz.
Mullah-Regime tötete - und warnt vor "Gewalt gegen das eigene Volk"
Angesichts der Dauerkrise zwischen den USA und dem Iran ist es kein Wunder, dass die Regierung in Teheran besonders schnell und kritisch auf die Unruhen in den USA reagiert. Das Mullah-Regime, das vor Monaten hunderte Demonstranten niederschießen ließ, ruft Washington auf, mit der „Gewalt gegen das eigene Volk“ aufzuhören. Die Welt sei solidarisch mit dem amerikanischen Volk im Widerstand gegen die „Unterdrückung“ durch die Regierung, sagte Außenamtssprecher Abbas Musawi.
Außenminister Dschawad Sarif verglich die Gewalt der amerikanischen Polizei gegen die Demonstranten mit Trumps Iran-Politik des „maximalen Drucks“. Trump will Teheran zu Zugeständnissen in der Atomfrage zwingen und erhöht seit zwei Jahren mit immer neuen Wirtschaftssanktionen den Druck auf den Iran. Das sei eine „Knie-auf-Hals-Technik“ wie beim Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis, durch den die Unruhen in den USA ausgelöst wurden, kommentierte Sarif.
Auch Syrien lässt sich die Chance nicht entgehen, die amerikanische Politik anzuprangern. Der Krieg von Staatspräsident Baschar al-Assad gegen die Opposition, der in den vergangenen neun Jahren fast eine halbe Million Menschen tötete, ist aus Sicht der Regierung und ihrer Anhänger ein Abwehrkampf gegen eine internationale Verschwörung. Als die syrische Regierung bei Ausbruch der Unruhen 2011 die Armee eingesetzt habe, sei sie von den USA scharf kritisiert worden – jetzt geschehe in den USA dasselbe, schrieb der Parlamentsabgeordnete Fares Schebabi auf Twitter. „Man stelle sich vor, eine Koalition verschiedener Staaten und Terrorgruppen würde amerikanische Demonstranten bewaffnen und bezahlen, damit sie den amerikanischen Staat zerstören“, fügte Schebabi hinzu. „Genau das ist in Syrien passiert.“
Erdogan kritisiert USA - und lässt Taksim-Platz gewaltsam räumen
Selbst beim Nato-Partner Türkei gibt es Kritik an der US-Regierung. Präsident Recep Tayyip Erdogan geißelte die „unmenschliche Mentalität“ der amerikanischen Polizei sowie „Rassismus und Faschismus“ in den USA. Sein Land werde auch weiter für die Menschenrechte eintreten, erklärte Erdogan – während er in Istanbul den zentralen Taksim-Platz von bewaffneten Polizisten abriegeln ließ, um Kundgebungen zum Jahrestag der Gezi-Proteste zu unterbinden.
Erdogans Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun beklagte einen Angriff amerikanischer Polizisten auf einen Produzenten des türkischen Auslandssenders TRT World. „Die Pressefreiheit ist das Rückgrat der Demokratie“, twitterte er. Nach Angaben der Journalisten-Gewerkschaft TGS sitzen in der Türkei derzeit 85 Berichterstatter im Gefängnis. Auf dem Pressefreiheits-Index der Organisation Reporter Ohne Grenzen rangiert die Türkei auf Platz 154 von 180 Staaten.
Satiriker Sharro sieht Trump "in seinem Präsidentenpalast isoliert"
Satirische Kommentare in den sozialen Medien spießen Parallelen zwischen der Reaktion der Trump-Regierung auf die Proteste in den USA und dem Verhalten orientalischer Despoten auf. Er fühle sich an den Arabischen Frühling von 2011 erinnert, der mehrere autoritäre Regime im Nahen Osten hinwegfegte, schrieb der Blogger Karl Sharro über Trump.
„Die Situation in den Vereinigten Staaten, einem ethnisch gespaltenen Land südlich von Kanada mit einem großen Atomwaffenarsenal, ist angespannt“, notierte Sharro in einer Parodie des Stils westlicher Nahost-Beobachter. Trump erscheint bei Sharro als „umstrittener Regimechef, der in seinem Präsidentenpalast isoliert ist“.
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