Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Rassismus: Warum das Wort Rasse aus dem Grundgesetz verschwinden soll

Rassismus

Warum das Wort Rasse aus dem Grundgesetz verschwinden soll

    • |
    Der dritte Artikel des Grundgesetzes auf der Scheibe eines Berliner Bundestags-Bürohauses.
    Der dritte Artikel des Grundgesetzes auf der Scheibe eines Berliner Bundestags-Bürohauses. Foto: Reiner Zensen, Imago Images

    Es erinnert an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte: Im Rassenwahn der Nationalsozialisten wurden sechs Millionen europäische Juden ermordet. In der monströsen Vorstellung einer „Rassenhygiene“ ermordeten die Nationalsozialisten und ihre Helfer ebenso hunderttausende behinderte Menschen und hunderttausende Sinti und Roma. Als der Parlamentarische Rat 1949 geprägt von den Verbrechen des Nationalsozialismus und den Erfahrungen der Weimarer Republik den Entwurf für das Grundgesetz vorlegte, war nicht nur der heute bekannteste Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ eine Konsequenz aus der NS-Schreckensherrschaft.

    In Artikel drei heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Doch das Wort „Rasse“ soll jetzt aus dem Absatz verschwinden, wenn auch nicht ersatzlos. Die Spitzen der Bundesregierung haben sich Anfang des Monats darauf verständigt, einen Entwurf für eine Grundgesetzänderung auszuarbeiten.

    "Rasse" ist laut Justizministerin ein gefährlicher und falscher Begriff

    Bundesjustizministerin Christine Lambrecht will die Grundgesetzänderung nun zügig umsetzen: „Als unsere Verfassung 1949 geschrieben wurde, nahm man den Begriff auf, um sich klar von der Nazi-Rassenideologie zu distanzieren“, sagt die SPD-Politikerin unserer Redaktion. „Die Verwendung des Begriffs kann aber aus heutiger Sicht zu Missverständnissen führen und wird deshalb zu Recht kritisiert“, betont sie.

    „Es besteht völlige Einigkeit darüber, dass es keine unterschiedlichen Menschenrassen gibt“, erklärt die Justizministerin. „Wo von verschiedenen Rassen die Rede ist, leben heute vor allem Vorurteile und rassistische Hetze auf. Deshalb haben wir uns in der Bundesregierung darauf geeinigt, das Grundgesetz an dieser Stelle zu überarbeiten.“

    Bundesjustizministerin Christine Lambrecht will das Wort Rasse aus dem Grundgesetz streichen.
    Bundesjustizministerin Christine Lambrecht will das Wort Rasse aus dem Grundgesetz streichen. Foto: Michael Sohn, dpa

    Lambrecht betont allerdings, dass der Begriff nicht ersatzlos aus der Verfassung gestrichen werden soll. „Das Grundgesetz muss vor Rassismus schützen, ohne dabei von ,Rasse‘ zu sprechen“, fordert sie. „Wichtig ist, dass dabei der gleiche Schutz wie bisher gewährleistet ist und die Betroffenen dies nicht als Verschlechterung empfinden. Ich setze mich weiter für eine möglichst baldige Änderung ein.“

    Gentechnik hat Rassentheorie widerlegt

    Es wird erwartet, dass Lambrecht zusammen mit dem ebenfalls zuständigen CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorlegt. „Das Vorhaben ist aus meiner Sicht richtig und sehr in Ordnung“, sagte Seehofer jüngst der Süddeutschen Zeitung. Die Grünen schlagen vor, das Wort „Rasse“ zu entfernen und den Satz, „Niemand darf wegen...“ mit den Worten abzuschließen „...seiner religiösen und politischen Anschauungen oder rassistisch benachteiligt oder bevorzugt werden“.

    Einen Anstoß zur Debatte gaben 2019 Spitzenforscher aus Zoologie und Anthropologie der Universität Jena und des angeschlossenen Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte, als sie zum hundertsten Todestag ihres Begründers, dem „deutschen Darwin“ Ernst Haeckel, mit dessen Rassenlehre abrechneten. In der „Jenaer Erklärung“ legten die Forscher umfassend dar, warum keine Rassen unter Menschen existieren: „Es gibt im menschlichen Genom unter den 3,2 Milliarden Basenpaaren keinen einzigen fixierten Unterschied, der zum Beispiel Afrikaner von Nicht-Afrikanern trennt. Es gibt – um es explizit zu sagen – somit nicht nur kein einziges Gen, welches ,rassische‘ Unterschiede begründet, sondern noch nicht mal ein einziges Basenpaar.“

    Hören Sie sich darüber hinaus auch unseren Podcast mit Stadträtin Lisa McQueen zum Thema Rassismus an:

    Hautfarbe spiegele hauptsächlich eine biologische Anpassung an den Grad der Sonneneinstrahlung wider. „Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung“, betonen die Forscher. „Der Nichtgebrauch des Begriffes Rasse sollte heute und zukünftig zur wissenschaftlichen Redlichkeit gehören.“

    Forscher: "Rassen sind eine Erfindung des Rassismus"

    In der Debatte geht es jedoch nicht um Anpassung an einen neuen Stand der Wissenschaft. Schon zur Zeit der Geburt des Grundgesetzes 1949 hatten die UN darauf hingewiesen, dass „Rasse“ für einen sozialen Mythos stehe, der ein enormes Ausmaß an Gewalt verursache.

    „Es ist wichtig, dass der Begriff Rasse aus dem Grundgesetz gestrichen wird, Rassen sind eine Erfindung des Rassismus“, betont auch der Rassismus-Forscher Karim Fereidooni. „Die Einteilung in weiße, gelbe, rote und schwarze Menschen war schon immer rassistisch, weil der weiße Mensch dabei auf der Entwicklungsstufe über den anderen rangierte“, betont der Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Diese Irrlehre habe in Deutschland eine jahrhundertealte Tradition.

    Die unrühmliche Rolle von Kant und Hegel

    „Das mag heute erstaunlich klingen, aber dieser vermeintlich ,wissenschaftliche‘ Rassismus wurde im Zeitalter der Aufklärung erfunden“, erklärt Fereidooni. Das 18. Jahrhundert sei nicht nur die Zeit der Deklarierung der Menschenrechte, sondern auch das Zeitalter der Kolonialisierung Afrikas gewesen. „Man konnte nicht auf der einen Seite ausrufen, alle Menschen sind frei, gleich, Brüder und Schwestern, und auf der anderen Seite der Welt Menschen versklaven, weshalb man Rassen als Legitimationstrick erfunden hat, um diesen Widerspruch aufzulösen“, sagt der Forscher. „Philosophen wie Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel stellten Rassentheorien auf, in denen sie Menschen nach Hautfarben in eine Rangfolge brachten und weiße über schwarze Menschen stellten. Mit der Erfindung der Rassen wollte man den Genozid der weißen Menschen an schwarzen Menschen in Afrika rechtfertigen.“

    Kant sei mit Aussagen wie „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Rasse der Weißen“ keineswegs nur einem Zeitgeist gefolgt, sondern habe offiziell als anerkannter Wissenschaftler der Politik aus Fürsten- und Königshäusern philosophische Begründungen geliefert, Afrika brutal auszubeuten. „Schon damals gab es von anderen Philosophen den Widerspruch, dass es keine Rassen unter Menschen gibt“, sagt Fereidooni.

    „Rassismus ist eine Fantasie in den Köpfen weißer Menschen über Menschen of Color und schwarze Menschen“, erklärt der Forscher. „Und weil diese Fantasie seit über 500 Jahren in unseren Köpfen existiert und von Generation von Generation weitergetragen wird, haben es wissenschaftliche Erkenntnisse so schwer, das zu verändern.“ Deshalb würden auch heute vermutlich 80 Prozent der Menschen auf der Welt zustimmen, es gebe menschliche Rassen, die durch unterschiedliche Hautfarben repräsentiert würden. „Die Grundgesetzänderung ist ein wichtiges Zeichen in die breite Bevölkerung hinein, dass wir alle wandlungs- und lernfähig sind“, sagt der Bochumer Rassismusforscher. „Wir können unser Schicksal selber in die Hand nehmen und uns von rassistischen Dingen der Vergangenheit trennen.“

    Lesen Sie dazu auch:

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden