Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Radioaktiver Abfall: Ein Besuch in Gorleben: Strahlende Aussichten

Radioaktiver Abfall

Ein Besuch in Gorleben: Strahlende Aussichten

    • |
    Streit um Gorleben
    Streit um Gorleben Foto: DPA

    Schön ist es, im Wendland. Die langen, würdigen Alleen, die gemähten Stoppelfelder, die roten Backsteinhäuser, die Kiefernwälder, der Wind, vielleicht vom Meer her, die Elbe, die hier schon sehr breit ist. Eine Landschaft weit vom Schuss. Die Erde ist salzig. Im Wendland duftet es immer ein wenig nach Kartoffelfeuer. Oder nach Apfelbäumen. Die Orte heißen Lüchow, Lemgow und Gartow. Dannenberg auch. Und: Gorleben.

    Es ist der Tag danach. Der Tag, nachdem verkündet wurde, was die einen "das anspruchsvollste energiepolitische Programm" nennen, "das es bislang gegeben hat". Die anderen sprechen davon, dass "die Bundesregierung die Sicherheit der Deutschen an vier Stromkonzerne verkauft hat". Nur in Gorleben spricht an diesem Morgen kaum jemand darüber. Was daran liegt, dass fast niemand unterwegs ist im Siebenhundert-Seelen-Dorf. Irgendwie hatte man anderes erwartet.

    Denn den ganzen Morgen lang ist schon auf Radio Fritz vom Bundesumweltminister zu hören. Norbert Röttgen will sich jetzt um den Atommüll kümmern. Um den, den es schon gibt. Und den, der noch anfällt in den acht bis 14 Jahren, die die Atomkraftwerke dieses Landes noch länger laufen werden. Röttgen konnte sich zwar mit seinen Vorstellungen zur Laufzeitverlängerung nicht durchsetzen, aber "die Entsorgungsfrage", die will der Minister jetzt "lösen".

    Jetzt. Da hätte man spontane Empörung erwartet. Denn Gorleben ist ja nicht irgendein Dorf. Gorleben ist der Symbol-Ort der Atomkraftgegner schlechthin. Im Kiefernwald in Richtung Lüchow steht das Zwischenlager für hochradioaktiven Atommüll. Und unweit davon, in Spuckweite sozusagen, gibt es das "Bergwerk zur Erkundung des Salzstockes Gorleben". Da soll das strahlende Zeugs für die nächsten Millionen Jahre rein. Zu lesen war, dass sich die Atomkraftgegner rüsten in diesen Tagen und sich recken wie an einem neuen Morgen. Neue Schlachten seien zu schlagen. Bald schon. Aber in Gorleben lärmt allenfalls der vorbeifahrende Traktor. Symptomatisch für die Unaufgeregtheit des Augenblicks steht ein Satz. Zu hören ist er in der Bäckerei Kühne bei einem Filterkaffee: "Da wollen wir doch erst mal sehen."

    Wollen wir doch mal sehen. Das klingt nur beim ersten Hinhören abgeklärt. Vor allem klingt da ein lang erprobter Widerstandswille mit. Erprobt seit 1977. Seit den Zeiten, als Ernst Albrecht Ministerpräsident von Niedersachsen war, ist Gorleben als mögliches Endlager für die Brennelemente aus den Atomkraftwerken umstritten. Die Entscheidung für Gorleben wird gerade von einem Ausschuss des Bundestages untersucht. Seit 1977 sind einige Bundesregierungen gewählt und abgewählt worden. Viele Castoren sind seither im Zwischenlager angekommen. Viele erbitterte Versuche hat es gegeben, sie aufzuhalten.

    Jetzt gerade ist Röttgen Umweltminister. Dass er die vor zehn Jahren unter Rot-Grün gestoppte Erkundung des Salzstockes im Oktober wieder aufnehmen will, ist zwar schon länger bekannt. Aber die Dringlichkeit hat sich seit dem "Atomkompromiss" erhöht. Wissen muss man: Es gibt in Deutschland, nein auf der ganzen Welt kein Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Nirgends. Es gibt viele vorübergehende Lagerorte, es gibt viel Müll, aber es gibt keine Lösung.

    Wollen wir also doch mal sehen. Das könnte auch Ralf Schmitt sagen. Aber der darf nicht. Und wenn, würde er so einen Satz ganz anders meinen. Der Mann ist Geologe und zugleich "Leiter Öffentlichkeitsarbeit" in der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH, Standort Gorleben. Er und seine Kollegen sind beauftragt, den Salzstock Gorleben zu erkunden. In 840 Metern Tiefe erklärt Schmitt sehr differenziert und ausführlich, warum Gorleben als Endlager geeignet sein könnte. Und warum vielleicht nicht.

    Alles, was der "Leiter Öffentlichkeit" sagt, darf allerdings nicht zitiert werden. Denn öffentliche Äußerungen zum Thema bitte nur über das Bundesamt für Strahlenschutz.

    Zu sehen sind die weißlichen Gänge eines Salzbergwerkes im Scheinwerferlicht. Es ist warm hier unten. Um die 25 Grad. Die Luft ist trocken. Zu sehen sind verschiedene Schichten von Salz. Zu sehen ist, wie sich an manchen Stellen verschiedene Salzformationen ineinandergeschoben haben im Laufe der Jahrmillionen. Zu lernen ist, dass in einem Salzstock, der als Endlager in Frage kommen soll, "Wegsamkeit" unter allen Umständen zu vermeiden ist. Das heißt, am Ende muss es als gewiss gelten, dass kein Wasser fließt - und zwar die nächsten Millionen Jahre nicht. In der Asse ist das jetzt schon der Fall. Aus dem maroden Atommüll-Lager, einem ehemaligen Salzbergwerk bei Wolfenbüttel, müssen 126 000 Fässer mit leicht- und mittelradioaktiv strahlendem Müll geholt werden.

    An Erkenntnissen aus Gorleben mitzunehmen ist: Alles ist vorläufig. Der Salzstock ist noch nicht erkundet. Auf die Frage, ob es denn nicht die richtige Entscheidung der damaligen rot-grünen Bundesregierung gewesen sei, einen Ausstieg zu beschließen, wenn nach Jahrzehnten der Erkundung noch immer kein Endlager existiert, gibt es natürlich keine Antwort. Nicht sein Job, so was zu beantworten, sagt Schmitt.

    Dabei müht man sich beim Bundesamt für Strahlenschutz besonders um Transparenz. Das sagt zumindest sein Vertreter Arthur Junkert, der auch mit auf Tour im Erkundungsbergwerk war. Jetzt steht er draußen am Eingang. Jemand hat auf das Tor gesprayt: "Abschalten jetzt". Eine schöne Kulisse für ein kurzes Gespräch über die Probleme, die die Atomenergie so mit sich bringt. Noch mal also.

    War es nicht richtig, aus der Atomkraft auszusteigen, wenn es keine dauerhafte Lösung für den hochradioaktiven Müll gibt? Junkert: "Ich kann das nicht beantworten. Das ist eine politische Entscheidung." Und ist es angesichts der Tatsache, dass es keine Endlager gibt, nicht unverantwortlich, die Laufzeiten zu verlängern? Junkert: "Erst mal ist es ja noch gar nicht sicher, dass die Laufzeiten sich wirklich verlängern. Noch ist es nicht Gesetz. Ob Gorleben als Endlager geeignet ist oder nicht, ist noch offen." Wann wäre Gorleben ausreichend erkundet? Junkert: "Das ist sehr schwierig zu sagen. Bis zu einem Eignungsnachweis wird es grob noch etwa 15 Jahre dauern." Bis wann braucht man definitiv ein Endlager, weil auch der wiederaufbereitete Müll nicht mehr in den Zwischenlagern bleiben kann? Junkert: "Das Ziel war immer, dass man bis 2035 ein Endlager für hochradioaktiven Müll hat." Was passiert, wenn sich in drei bis vier Jahren herausstellen sollte, dass Gorleben gar nicht als Endlager geeignet ist? Junkert: "Dann muss man neu suchen. Aber es stimmt schon: Man hat zu wenig angepackt. Fachlich und rechtlich wünschenswert wäre eine alternative Suche an mehreren Standorten zugleich."

    Was eine "alternative Suche" betrifft, da ist sogar Andreas Graf von Bernstorff mit dem Bundesamt einer Meinung. Er sitzt in einem der Zimmer seines Schlosses. Das liegt in Gartow, gar nicht weit von Gorleben. Der Graf besitzt Teile des Salzstockes, in dem, wenn es nach ihm geht, am besten nie Atommüll eingelagert wird. Dafür kämpft er seit Jahren. Gewaltfrei, wie er betont. Von Bernstorff ist der lebende Beweis dafür, dass die Konfliktlinien zwischen Atomkraftgegnern und Befürwortern nicht ganz so einfach verlaufen wie allzu gerne angenommen. Von Bernstorff ist wohl das absolute Gegenteil der Strickpulli-Träger oder An-die-Schienen-Ketter. Von Bernstorff, Cordhose, Sakko, Halstuch, gut sitzender Seitenscheitel, früher CDU-Mitglied, sagt: "Man sollte keine Entscheidung treffen, die mehr Müll verursacht, wenn man kein Endlager hat. Man hat kein Endlager. Und wenn Herr Röttgen sagt, dass er dieses Problem jetzt lösen möchte, dann kann ich ihn nicht ernst nehmen."

    Das können viele in Gorleben und im umliegenden Wendland längst nicht mehr. Die Widerständigen der ersten Stunden treffen sich an einschlägig bekannten Orten. Einer ist die Kneipe Wiese in Gedelitz. Fragt man nach dem Weg dorthin, weist einem ein freundlich-rundbäuchiger Rentner den Weg. Beim Anfahren, während die Autoscheibe sich gerade wieder zu schließen beginnt, hört man noch: "Ob Sie da jetzt welche antreffen, oder ob die gerade wieder im Untergrund verschwunden sind, kann ich Ihnen nicht sagen."

    Tina Wiese sitzt nicht im Untergrund, sondern in einer Ecke ihrer Kneipe. Der Hof hinter dem Gebäude sieht nicht unbedingt so aufgeräumt aus, wie man sich einen adretten deutschen Garten so denkt. In der Kneipe, auf einem Tisch, liegt ein aufgeklapptes Kindermalbuch, hinter dem Tresen stapeln sich leere Flaschen. Eine Tapete zeigt Jagdutensilien. Zugleich beschleicht einen das Gefühl, das alles schon gesehen zu haben. Ja, sagt Tina Wiese, Maria Furtwängler habe sich in ihrer Rolle als Kommissarin Charlotte Lindholm mal hierherverirrt. Der Tatort hieß Salzleiche.

    Tina Wiese hat ein offenes Gesicht und eine angenehme Stimme. Sie ist Mutter von zwei Kindern. Während ihrer Ausbildung zur Goldschmiedin hat sie eine Zeit in Kaufbeuren gelebt. Aber das Wendland ist ihre Heimat. Und da will sie nicht weg. Wegziehen, das wäre wie aufgeben. "Ich bin mit dem Widerstand groß geworden." Ihr Mann und ihr Schwiegervater sind es auch.

    Ihr Mann ist Maschinenbau-Ingenieur, der sich auf Biogasanlagen spezialisiert hat. Ihr Cousin aber arbeitet als Wachmann im Zwischenlager. Nein, das schwarze Schaf der Familie sei er deshalb nicht. "Es gibt ja nicht viele Jobs hier", sagt Wiese. Was sie von der Regierung hält? "Der trauen wir nicht. Die hat nicht die Macht. Die Macht, die haben die Energiekonzerne. Das zeigt doch die Laufzeitverlängerung."

    Und worin besteht diese Macht? Tina Wiese weiß darauf keine Antwort. Das Gespräch stockt. Vorurteile gibt es hüben wie drüben. Wo sie denn den Atommüll hinschaffen würde? Irgendwo muss er ja hin. Tina Wiese antwortet: "Es würde ja schon mal einem menschlichen Maß entsprechen, wenn jemand sagen würde, wir versuchen, erst mal was für 100 Jahre zu finden."

    Und nun? Norbert Röttgen sagt, der Ausgang der Entscheidung zu Gorleben sei völlig offen.

    Die offizielle Sprachregelung des Bundesumweltministeriums lautet: "Die Kernkraft wird als Brückentechnologie gebraucht."

    Die Opposition hält Gorleben für ungeeignet.

    Nach Alternativen sucht man derzeit nicht.

    2035 wohl muss der Müll aus dem Gorleber Zwischenlager raus.

    Im November kommt der nächste Castor aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague.

    Wenn die Geologen zur Erkundung in den Gorleben-Schacht fahren, dann sagen sie: "Glück auf."

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden