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Walter Lübcke: Prozess zum Mord an Walter Lübcke beginnt am Dienstag

Walter Lübcke

Prozess zum Mord an Walter Lübcke beginnt am Dienstag

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    Walter Lübcke wurde vor einem Jahr mit einer tödlichen Schusswunde auf der Terasse seines Hauses gefunden.
    Walter Lübcke wurde vor einem Jahr mit einer tödlichen Schusswunde auf der Terasse seines Hauses gefunden. Foto: Uwe Zucchi, dpa (Archiv)

    240 Aktenordner füllt der Fall Lübcke laut dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt bisher - ab Dienstag, 16. Juni, wird sich zeigen, ob sich die monatelange Arbeit der Ermittler gelohnt hat. Dann beginnt in Frankfurt der Prozess um einen der aufsehenerregendsten Kriminalfälle der vergangenen Jahre. Vor dem OLG müssen sich zwei Verdächtige wegen des Mordes und der Beihilfe zum Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke verantworten.

    Alles Wichtige zum Prozess um den Mord an Walter Lübcke im Überblick

    Die Tat: In der Nacht zum 2. Juni 2019 wird Lübcke auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen-Istha (Kreis Kassel) leblos gefunden. Eine Wunde am Kopf entpuppt sich als Einschuss durch einen Revolver. Der Tod des 65-Jährigen wird in derselben Nacht festgestellt.

    Das Opfer: Walter Lübcke war Regierungspräsident in Nordhessen. Seine Behörde ist quasi die Vertretung des Landes Hessen vor Ort. Der CDU-Politiker galt als beliebt und volksnah. Lübcke hinterließ seine Ehefrau Irmgard Braun-Lübcke sowie die erwachsenen Söhne Christoph und Jan-Hendrik Lübcke.

    Die Ermittlungen: Zwei Wochen lang rätseln Ermittler und Öffentlichkeit über die Hintergründe der Tat. Es gibt einen Aufruf in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY... ungelöst" und eine mysteriöse Polizeiaktion an einer Fähre in Ostfriesland. Hunderte Hinweise gehen ein - ohne Erfolg. Eine DNA-Spur auf dem Opfer bringt schließlich den Durchbruch.

    Die Angeklagten: Hauptangeklagter ist der Deutsche Stephan E. aus Kassel. Der Familienvater lebt auf den ersten Blick ein bürgerliches Leben: Er arbeitet bei einem Bahntechnik-Hersteller, trainiert Bogenschießen in einem Schützenverein. Doch E. ist den Behörden bekannt - wegen rechtsextremer Straftaten: 1989 legte er Feuer im Keller eines Mehrfamilienhauses mit türkischen Bewohnern. Später stach er auf einen ausländischen Mitbürger ein, verübte einen Anschlag mit einer Rohrbombe auf ein Asylbewerberheim, schlug in U-Haft mit einem Stuhlbein auf einen ausländischen Mitgefangenen ein. 2009 war Stephan E. in Dortmund an einem Angriff von Rechtsextremisten auf eine 1.-Mai-Kundgebung des DGB beteiligt. Danach haben die Behörden ihn nicht mehr im Fokus: Er gilt als "abgekühlt", also nicht mehr aktiv.

    Der zweite Angeklagte ist der 44-jährige Markus H. aus Kassel. Der Deutsche ist ebenfalls als Rechtsextremist bekannt und galt als "abgekühlt." Er soll Stephan E. bestärkt haben, sein Vorhaben eines Attentats auszuführen, E. die Teilnahme an Schießübungen vermittelt und den Kontakt zu einem Waffenhändler hergestellt haben. Gemeinsam nahmen E. und H. an rechten Demos teil.

    Große Prozesse gegen Rechtsextremisten in Deutschland

    Dem Prozess im Mordfall Walter Lübcke gingen zahlreiche Gerichtsverfahren gegen Rechtsextremisten in Deutschland voraus. Wichtige Urteile im Überblick: 

    Der "Bückeburger Prozess": 1979 werden erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Rechtsextremisten wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Vier Angeklagte aus dem Umfeld des Hamburger Neonazis Michael Kühnen erhalten wegen Überfällen und Anschlagsplänen zwischen acht und elf Jahre Haft. 

    "Wehrsportgruppe Hoffmann": Karl-Heinz Hoffmann, der Gründer der 1980 verbotenen Wehrsportgruppe, wird 1986 wegen verschiedener Delikte zu über neun Jahren Haft verurteilt. Vom Doppelmord an einem jüdischen Verlegerpaar wird er vor dem Nürnberger Schwurgericht jedoch freigesprochen. 

    Kay Diesner: 1997 wird der Neonazi wegen Mordes an einem Polizisten und versuchten Mordes an einem weiteren Polizisten sowie einem linken Buchhändler zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Lübecker Landgericht wirft ihm «menschenverachtende Verblendung» vor.

    "Gruppe Freital": Das Oberlandesgericht Dresden verhängt 2018 gegen die rechtsextreme «Gruppe Freital» Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren. Die acht Angeklagten werden unter anderem wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und versuchten Mordes verurteilt.

    NSU-Prozess: Die Rechtsterroristin Beate Zschäpe wird 2018 wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Über fünf Jahre wurden am Oberlandesgericht München die rassistischen Morde des sogenannten «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU) zwischen 2000 und 2006 sowie der Mord an einer Polizistin verhandelt. 

    Anschlag von Halle: Voraussichtlich ab Juli 2020 muss sich Stephan B. nach dem versuchten Anschlag auf eine Synagoge und dem Mord an zwei Menschen vor dem Oberlandesgericht Naumburg verantworten. B. hatte im Oktober 2019 versucht, in der Synagoge ein Blutbad unter den dort versammelten Gläubigen anzurichten. (dpa)

    Die Verteidiger: Stephan E. wird von zwei Anwälten vertreten. Der Dresdner Rechtsanwalt Frank Hannig ist durch unkonventionelles Vorgehen aufgefallen: So äußerte sich Hannig mehrfach in Namen seines Mandaten auf dem Videoportal Youtube. Im Februar kam der Kölner Strafrechtler Mustafa Kaplan hinzu. Der türkischstämmige Jurist war Opferanwalt im Prozess um den Nationalsozialistischen Untergrund NSU und vertrat auch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Markus H. wird durch Björn Clemens aus Düsseldorf vertreten. Er gilt als Szeneanwalt, der häufig für Rechtsextremisten tätig ist. Clemens ist Vorstandsmitglied der vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften "Gesellschaft für freie Publizistik" (GfP).

    Das Motiv: War offenbar eine Bürgerversammlung im nordhessischen Lohfelden 2015, bei der E. anwesend war. Lübcke verteidigte dabei die Aufnahme von Flüchtlingen. Auf Schmährufe aus dem Publikum rief er: "Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist, das ist die Freiheit eines jeden Deutschen." Dieser Satz verbreitete sich im Internet und machte Lübcke zur Hassfigur von Rechten.

    Die Bedeutung des Prozesses: Der Fall Lübcke wurde vom mysteriösen Kriminalfall zum Politikum. Die Bundesanwaltschaft übernahm, als klar wurde, dass offenbar ein rechtsextremistischer Hintergrund vorliegt. Dass Lübcke vor und nach dem Mord Opfer von Hass und Hetze im Netz wurde, gibt dem Fall ebenfalls eine besondere Bedeutung.

    Das Gericht: Mit besonders schweren Straftaten sowie Terrorverfahren haben die OLG-Richter langjährige Erfahrung. In den vergangenen Jahren waren es vor allem islamistische Angeklagte, die sich etwa als Mitglieder der Terrormiliz IS in Frankfurt vor einem der beiden Staatsschutzsenate verantworten mussten. Auch Prozesse gegen mutmaßliche Spione gab es schon vor dem Frankfurter Oberlandesgericht. 

    Corona-Maßnahmen: Das öffentliche Interesse an dem Prozess wird sehr groß sein, auch das Medieninteresse vor Prozessbeginn war nach Angaben einer Gerichtssprecherin deutlich größer als vor anderen Mordprozessen. Dennoch gelten die Abstandsregeln zum Schutz vor Corona-Infektionen auch im Gerichtsgebäude. Im Zuschauerraum müssen Mund und Nase bedeckt gehalten werden. Aufgrund des Abstands von 1,5 Meter kann nicht jede Sitzreihe besetzt werden. Obwohl die Verhandlung im größten Verhandlungsraum stattfindet, gibt es nur 19 Plätze auf der Pressetribüne sowie 18 Plätze im Zuschauerraum. Angesichts des großen Interesses an dem Fall wird es eine Tonübertragung in einen weiteren Raum für bis zu 41 Journalisten geben. (Von Göran Gehlen und Eva Krafczyk, dpa)

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