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Prozess: Wer hat Flug MH-17 über der Ostukraine abgeschossen?

Prozess

Wer hat Flug MH-17 über der Ostukraine abgeschossen?

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    Wie ein Puzzle zusammengesetzt: Teile der Boing, die am 17. Juli 2014 über der Ostukraine abgeschossen wurde.
    Wie ein Puzzle zusammengesetzt: Teile der Boing, die am 17. Juli 2014 über der Ostukraine abgeschossen wurde.

    Es war eine stille Mahnung, die die Mitglieder der niederländischen Gruppe „Waarheidsvinding MH17“ – Wahrheitsfindung MH-17 – am Sonntag, dem Tag vor der Eröffnung des Hauptverfahrens, vor der russischen Botschaft in Den Haag aufstellten: 298 weiße Stühle, geformt wie die Sitzordnung des Flugzeuges, das am 17. Juli 2014 zwischen 16.20 Uhr und 16.25 Uhr Ortszeit über der ostukrainischen Stadt Tores abstürzte. Zum dritten Mal sollte diese Installation an den Tod der Passagiere – darunter 80 Kinder – und Besatzungsmitglieder des Fluges Malaysia Airlines MH-17 von Amsterdam nach Kuala Lumpur erinnern.

    MH-17: Angehörige sprechen von Massenmord

    Hans de Borst, einer der Angehörigen, sagte: „Da wird ein Massenmord begangen, wenn vielleicht auch aus Versehen, und dann verschwindet man einfach. Das können wir nicht akzeptieren.“

    Ein Trümmerfeld blieb von der Passagiermaschine übrig, die am 17. Juli über der Ostukraine abgeschossen wurde.
    Ein Trümmerfeld blieb von der Passagiermaschine übrig, die am 17. Juli über der Ostukraine abgeschossen wurde. Foto: Alyona Zykina, dpa

    Nach 25 Vorverhandlungstagen hat das Gericht aus Den Haag, das den Prozess in einem abgeschirmten Gebäude am Amsterdamer Flughafen führt, am Montag das Hauptverfahren gegen drei russische Staatsbürger und einen Ukrainer eröffnet. Keiner ist anwesend, nur einer lässt sich von einem Anwalt vertreten. Sie seien an dem Abschuss der Boeing 777ER „beteiligt“ gewesen, heißt es. „Verantwortlich“ sind sie aber wohl nicht. „Wir wissen nicht, wer den Befehl gegeben oder den Knopf gedrückt hat“, sagten Ermittler der internationalen Taskforce im Vorfeld.

    Die meisten Opfer kamen aus den Niederlanden

    Aber die Niederlande, die mit 198 Opfern den größten Anteil der getöteten Passagiere stellen, wollen Aufklärung. „Es war der größte Angriff auf niederländische Zivilisten seit dem Zweiten Weltkrieg“, erklärte der Anwalt Peter Langstraat, der zusammen mit weiteren Rechtsvertretern rund 600 Mandanten vor Gericht vertritt. „Jeder kennt jemanden, der betroffen ist. Es ging durch die gesamte niederländische Gesellschaft.“

    Staatsanwaltschaft und Ermittler gehen fest davon aus, dass der Jet in knapp elf Kilometern Flughöhe von einer Rakete des russischen Luftabwehrsystems Buk M1 getroffen wurde. Die Ermittler konnten beweisen, dass ein Buk-System am Tag des Abschusses vor Ort gebracht und wenige Stunden später ohne die Rakete nach Russland zurückgeschafft wurde. Moskau hatte zwar kurz nach dem Vorfall alle möglichen Theorien in Umlauf gebracht, die sich aber alle als falsch herausstellten. Zunächst war von einem eventuell unkrainischen Jagdbomber die Rede, der MH-17 angegriffen habe – was der 2014 noch amtierende Direktor des russischen Fernsehens, Konstantin Ernst, 2019 selbst als „Fehler“ bezeichnete.

    Vieles deutet auf einen Abschuss durch prorussische Rebellen hin

    Hinweise auf eine Tat durch prorussische Rebellen fanden die Fahnder in abgehörten Telefonaten. Die zeigten aber auch, dass die Separatisten noch kurz nach dem Absturz davon ausgingen, ein ukrainisches Militärflugzeug getroffen zu haben. Der Abschuss von MH-17 war offenbar ein Versehen. Das wiederum macht eine Mordanklage vor Gericht schwierig, weil der konkrete Vorsatz fehlt. Hinzu kommt, dass der Status der Ostukraine zur damaligen Zeit schwierig zu beurteilen ist. War es ein Krieg? Dann läge ein Kriegsverbrechen vor. Der niederländische Chefermittler Fred Westerbeke zeigte vor dem Verfahren überzeugt, dass vor Gericht eine Beteiligung Russlands an der Tragödie nachgewiesen werden könne.

    Trauer nach dem Abschuss der Passagiermaschine: In den Tagen nach der blutigen Attacke legten Hunderte Blumen am Amsterdamer Flughafen Schiphol nieder.
    Trauer nach dem Abschuss der Passagiermaschine: In den Tagen nach der blutigen Attacke legten Hunderte Blumen am Amsterdamer Flughafen Schiphol nieder. Foto: Dan Himbrechts, dpa

    Mitte Juni hat die Staatsanwaltschaft das Wort. Dann folgen Anhörungen von Experten und Ermittlern, ehe im September Angehörige der Opfer vor Gericht aussagen. Das dürfte sehr belastend werden. Nur wenige Hinterbliebene hatten die Kraft, die Trümmerteile des geborgenen Wracks, die von den Ermittlern wie ein dreidimensionales Puzzle zusammengesetzt wurden, um die Ursache der Explosion anhand von Spuren genau herauszufinden, persönlich anzusehen. Bis heute leiden viele unter dem Schock der Todesnachricht und den Enthüllungen. Der frühere US-Präsident Barack Obama zog vor Jahren bereits Parallelen zu den Angriffen auf New York und Washington und nannte den Abschuss von MH-17 einmal „Europas 11. September 2001“. Die russische Regierung bezeichnete das nun eröffnete Hauptverfahren dagegen abwertend als „Theaterinszenierung“. Wann mit einem Urteil zu rechnen ist, blieb offen.

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