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Protestaktion: So kämpfen junge Aktivisten gegen Waldrodungen

Protestaktion

So kämpfen junge Aktivisten gegen Waldrodungen

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    Ein Aktivist hängt in den Bäumen, die Polizei ist vor Ort: Im Forst Kasten bei München protestiert eine Gruppe von Waldbesetzerinnen und -besetzern gegen die Abholzung von 10.000 Bäumen.
    Ein Aktivist hängt in den Bäumen, die Polizei ist vor Ort: Im Forst Kasten bei München protestiert eine Gruppe von Waldbesetzerinnen und -besetzern gegen die Abholzung von 10.000 Bäumen. Foto: Thomas Vonier, Imago Images

    Am frühen Nachmittag kommt die Nachricht, die alle befürchten. Regen prasselt auf das kleine Lager im Forst Kasten bei München. Eine leere Hängematte weht zwischen den Baumkronen, die Banner mit den kämpferischen Parolen sind nass. Durchweichte Stiefel, müde Gesichter: Rund zehn junge Menschen harren im bedrohten Waldgebiet zwischen Gauting und Neuried aus. Sie sind nicht allein, mehrere Polizeibusse stehen in der Nähe. Zwei Beamte warten auf Pferden. Dann setzen sich mehrere Einsatzkräfte in Bewegung, sie wollen den Versammlungsleiter sprechen. „Oh, das war’s“, sagt ein Jugendlicher.

    Ihre Aktion im Wald – umsonst. Die Banner in den Baumwipfeln, die spontanen Demonstrationen in der Stadt, das mediale Echo – ohne Erfolg. Der Münchner Stadtrat hat für die Rodung von 10.000 Bäumen gestimmt. Es ist ein Rückschlag für die Aktivistinnen und Aktivisten. Doch von Wut und Aggression ist nichts zu spüren. Ohne Gegenrede lösen sie ihre Versammlung auf, rollen Schlafsäcke und Planen zusammen, räumen Wasserkanister, Netze mit Orangen und Tupperboxen in Kisten. Ein junger Mann klettert einen Baum hinauf und löst die Bänder des großen Banners mit der Aufschrift: „Eure Devise: mit Vollgas in die Krise“. Es sinkt auf den Waldboden. Doch was nach Aufgeben aussieht, ist nur ein kurzes Luftholen. Denn unter der Oberfläche brodelt es in der Bewegung.

    Hambacher Forst, Ravensburg, München: In ganz Deutschland setzen sich Menschen für Wälder ein

    Der Fall des Forst Kasten ist einer von vielen. Kohleabbau, Autobahnen, Stahlwerke: Drohende Rodungen bringen Menschen in ganz Deutschland auf die Straßen und in die Wälder. Waldbesetzungen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Teilweise haben sie Erfolg – und verursachen massive Kosten für Steuerzahler. Vor allem junge Erwachsene engagieren sich und investieren ihre Zeit und Energie, um die Natur zu schützen. Manche gehen bis an ihre Grenzen. Bilder von Einsätzen im Dannenröder Forst in Hessen gingen Ende vergangenen Jahres durch die Medien: Junge Menschen harrten festgekettet in bis zu 20 Metern Höhe aus, Einsatzkräfte der Polizei zogen sie mit Hebebühnen aus den Bäumen.

    Polizisten schleifen einen Umweltaktivisten im im Dannenröder Forst weg.
    Polizisten schleifen einen Umweltaktivisten im im Dannenröder Forst weg. Foto: Nadine Weigel,dpa

    Etwa zehn Wälder sind nach Recherchen unserer Redaktionim Moment besetzt. Neben den bekanntesten Aktionen wie im Hambacher oder Dannenröder Forst sind Gruppen auch in weniger bekannten Wäldern aktiv, wie etwa im Lohwald in Meitingen (Kreis Augsburg), wo wegen eines Stahlwerks 18 Hektar Wald weichen sollen. Das Engagement vor Ort variiert je nach Dringlichkeit. Aktivistinnen und Aktivisten hängen Banner auf, blockieren die gefährdeten Gebiete, errichten Barrikaden und Baumhäuser und bleiben, bis die Gefahr vorüber ist – oder die Polizei eingreift.

    Während sich die Gruppe im Forst Kasten am vergangenen Donnerstagnachmittag zurückzieht, sammeln sich die Kräfte an anderer Stelle: im Internet. Vor der Entscheidung des Münchner Stadtrats herrschte eine atemlose Spannung im „Kasti“-Kanal auf der verschlüsselten Plattform Telegram, fast minütlich blitzten Neuigkeiten aus der Sitzung auf. Bereits im Jahr 2017 wurde der Kiesabbau in dem Wald bei München beschlossen, seitdem laufen Ausschreibungen.

    Auch Aktive aus Augsburg engagieren sich in München

    Eine Mehrheit in der grün-roten Stadtregierunghatte sich nach den Protestaktionen zunächst gegen die Abholzung positioniert. Doch Forst Kasten liegt auf dem Gelände der Heiliggeistspital-Stiftung Münchens. Die Stadträtinnen und Stadträte sind daher verpflichtet, im wirtschaftlichen Interesse der Stiftung zu handeln. Seit rund sechs Jahrzehnten wird in dem Wald südwestlich von München Kies abgebaut, nun geht es um weitere neun Hektar.

    Die jungen Aktivistinnen und Aktivisten haben Banner im Forst Kasten bei München aufgehängt.
    Die jungen Aktivistinnen und Aktivisten haben Banner im Forst Kasten bei München aufgehängt. Foto: Anna Katharina Schmid

    Nach Bekanntgabe der Entscheidung erwacht die Telegram-Gruppe zum Leben. Ideen blühen, es gibt sofort Pläne, neue Aktionen. Immer mehr Mitglieder kommen in die Gruppe und wollen unterstützen. Auch Augsburger sind aktiv, sie gaben den Anstoß zur ersten Waldbesetzung. Einer von ihnen ist Ingo Blechschmidt, Mathematik-Dozent an der Universität Augsburg. Noch gibt es einen kleinen Spielraum, das Landratsamt München kann den Kiesabbau verhindern. Der 32-Jährige sagt nach der Entscheidung am Telefon: „Aber wenn die Rodung kommt, dann besetzen wir den Wald dauerhaft.“

    Der Dozent ist Mitbegründer von „Students for Future“ in Augsburg und organisiert das Klimacamp am dortigen Rathausplatz. „Wenn Wald gerodet wird, eine Zugstunde von Augsburg entfernt, ist es klar, dass wir uns engagieren.“

    Nass und kalt: So schläft es sich im regnerischen Mai im Forst Kasten

    Die Augsburger Aktivistinnen und Aktivisten gründeten die Telegram-Gruppe, kontaktierten Bekannte aus München, andere Gruppen und Einzelpersonen schlossen sich an. Rasch verselbstständigte sich die Bewegung. Für Blechschmidt ist es bei der Gemeinschaftsaktion irrelevant, wer die erste Nachricht verfasste. „Unser Impuls traf auf den fruchtbarsten Boden“, sagt er.

    Tarek Luft ist einer von denen, die im Wald protestieren. Obwohl das Camp zunächst aufgelöst wurde, ist er dorthin zurückgekehrt. Regen rinnt über seinen grauen Parka. Seine Augen sind müde, die Haare zerzaust. Als er von der anstehenden Abstimmung des Stadtrats erfuhr, packte er seine Schlafsachen und radelte in den Forst. Er ist Auszubildender, über sein Handy nahm er im Wald am Unterrichtin der Berufsschule teil. „Für seine Ideale macht man solche Dinge“, sagt er. Es war die erste Waldbesetzung des 21-Jährigen.

    Pfützen breiten sich um das Lager aus, der Geruch von Erde und Moos liegt in der Luft. „Hier zu schlafen ist kalt, nass und unangenehm“, sagt Luft. „Aber auch sehr schön, vor allem mitten im Vogelzwitschern aufzuwachen.“ Die Zeit im Wald gebe ihm Kraft und Energie, sich weiter zu engagieren. Denn ein Ende der Aktionen im Forst Kasten ist noch nicht in Sicht. Auch für die Polizei nicht, sie wird in den folgenden Tagen und Nächten vor Ort sein.

    Die Münchner Polizei steht Wache im Forst Kasten

    Nadja Lüttich ist Mitglied des Instituts für Bewegungs- und Protestforschung in Berlin und untersucht verschiedene soziale Gruppierungen, unter anderem Fridays For Future und Waldbesetzungen. „Der Höhepunkt der Klima-Bewegung ist noch nicht erreicht“, sagt die Wissenschaftlerin. Die Akzeptanz in der Bevölkerung für das Engagement nehme zu, ebenso die Unterstützung. Immer mehr Menschen schließen sich an. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht, doch Lüttich kann sich den Zulauf erklären.

    „Wir haben multiple Krisenlagen, die sich verändern und verstärken“, sagt sie. Bürgerinnen und Bürger nähmen nicht mehr alle verordneten Maßnahmen einfach hin, sondern hinterfragten diese und stellten sich ihnen auch in den Weg. Institutionen werde nicht mehr zugetraut, dass sie alles regeln. „Die Menschen nehmen das lieber selbst in die Hand.“

    In der Nacht nach der Münchner Abstimmung reisen drei Augsburger an, unter ihnen Ingo Blechschmidt. „Wir hatten das Gefühl, wir müssen ein Mahnmal hinterlassen“, sagt der Aktivist. Sie wollen ein Baumhaus bauen. Doch der Plan wird vereitelt: „Vor uns gingen die Scheinwerfer an, die Polizei stand Wache.“ Die Gruppe teilt sich auf und weicht in den Wald aus, wie der Dozent erzählt. Denn sie hat teure Kletterausrüstung dabei, die die Polizei mit hoher Wahrscheinlichkeit konfiszieren würde. „Und plötzlich hörten wir einen Hubschrauber über uns.“

    Auch ein Hubschrauber der Polizei ist im Wald im Einsatz

    Auf Anfrage bestätigt die Münchner Polizei den Einsatz eines Hubschraubers, „zum Ausleuchten der Örtlichkeit“. Wie Blechschmidt ausführt, habe sie der Hubschrauber etwa 20 Minuten durch den Wald verfolgt und sei dann abgedreht. „Da fragen wir uns schon, was das soll“, sagt Blechschmidt.

    Zur hohen Präsenz im Forst Kasten äußert sich die Polizei nicht. Blechschmidt vermutet, dass die Stadt München mit allen Mitteln eine dauerhafte Besetzung verhindern will. Denn das ist auch eine Geldfrage. Die zweimonatigen Räumungseinsätze der Polizei vergangenes Jahr im Dannenröder Forst beispielsweise kosteten die Steuerzahler einen erheblichen zweistelligen Millionenbetrag, wie eine Anfrage der FDP-Fraktion an den hessischen Landtag ergab.

    Die hohe Polizeipräsenz irritierte Blechschmidt, aber der wahre Skandal sei die drohende Abholzung des intakten Waldes. Die Aktion habe nichts mit jugendlichen Krawallmachern zu tun, die jungen Menschen handelten aus tiefster Überzeugung und nähmen Risiken in Kauf, für ihre berufliche Weiterentwicklung oder sogar ihre Freiheit. „Unsere Aktionen werden immer größer – und schaden der Politik und klimazerstörenden Konzernen.“ Demonstrationen zeigten kaum Wirkung, neue, kreative Formen des Protests seien gefragt. Doch sie strebten ihre Ziele auf eine friedliche Weise an, niemals durch Gewalt oder Sachbeschädigung, wie Blechschmidt betont.

    Stehen die Gruppen in Verbindung zu einem Brandanschlag auf das Münchner Stromnetz?

    Am vergangenen Freitag aber hielt ein großflächiger Stromausfall die Stadt München in Atem. 20.000 Haushalte waren teilweise länger als einen Tag ohne Strom. Der Grund: ein Brandanschlag auf Stromkabel. Ein anonymes Bekennerschreiben nennt als Ziel ein Münchner Rüstungsunternehmen und suggeriert einen Racheakt für die Entscheidung des Münchner Stadtrats, im Forst Kasten zu roden. Das Schreiben hat möglicherweise einen linksextremen Hintergrund, doch Verbindungen in die Klimaszene sind nicht bewiesen. Blechschmidt distanziert sich in aller Deutlichkeit von der Tat.

    Eine flächendeckende Radikalisierung sei in der Klimabewegung nicht zu beobachten, sagt auch die Protestexpertin Nadja Lüttich. Radikale und gefährliche Aktionen, wie etwa bei den früheren Anti-Atomkraft-Gruppen, seien insgesamt zurückgegangen. Bei den Taten heute handele es sich höchstens um Ordnungswidrigkeiten, nicht um Kriminalität.

    Die Münchner Polizei ist im Forst Kasten auch vor Ort.
    Die Münchner Polizei ist im Forst Kasten auch vor Ort. Foto: Anna Katharina Schmid

    Wie ein Sprecher der Polizei München mitteilt, habe es bis jetzt keine Gesetzesverstöße im Forst Kasten gegeben. „Das Geschehen vor Ort ist friedlich, kommunikativ und kooperativ zwischen Demonstranten und Polizei.“ Die Einschätzung deckt sich mit Beobachtungen der Protestforscherin. „Es sind friedfertige Gruppen, sie suchen nach Aktionsformen, die am wenigsten Schaden verursachen.“ Das sei strategisch wichtig für die Bewegung: „Es zahlt sich aus, die Öffentlichkeit auf der eigenen Seite zu haben.“ Gewalt gibt es, doch ihrer Erfahrung nach nicht ausgehend von den Waldbesetzern. In einigen Fällen kam es zu Übergriffen aus der Bevölkerung auf die Aktivistinnen und Aktivisten.

    Keine Berufsdemonstranten: Die Ressourcen der Klima-Gruppen sind begrenzt

    Die Gruppe im Forst Kasten hingegen kann sich vor Essensspenden der Anwohnerinnen und Anwohner kaum retten. Auch Bürgerinitiativen vor Ort sprechen ihre Unterstützung aus. „Sie sind froh, dass wir da sind“, sagt Blechschmidt. Die Aktivistinnen und Aktivisten sind Studierende, Schülerinnen und Schüler, Auszubildende, Menschen mit Wut im Bauch. Rodungen sind für sie profitorientierte Zerstörung. Die Verzweiflung darüber treibt sie an, die Angst vor noch schlimmeren Auswirkungen des Klimawandels. „Wir sind keine Berufsdemonstranten“, sagt Blechschmidt. Ihre Ressourcen seien begrenzt. Eine endgültige Rodung des Forst Kasten stehe frühestens in zwei Jahren bevor, so lange könnten sie keine Besetzung durchhalten.

    Die Telegram-Gruppe der Protestierenden hat sich mittlerweile vergrößert, über 250 Mitglieder sind darin angemeldet. Jeden Tag fliegen Nachrichten hin und her, das kleine Lager im Forst Kasten wird wieder aufrechterhalten. Die wenigen Aktiven im Wald täuschen, sagt Blechschmidt. Hinter ihnen steht eine große Gemeinschaft, deutschlandweit und sogar über Landesgrenzen hinweg. „Wir sind vielleicht wenige vor Ort, aber Politiker – erinnert euch an die Klimakrise. Wir sind bereit, sofort wiederzukommen.“

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