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Projekt: Salatköpfe über Berlin

Projekt

Salatköpfe über Berlin

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    "Stadtacker" nennt sich das Gelände der Gärtner-Initiative auf dem Tempelhofer Feld in Berlin.
    "Stadtacker" nennt sich das Gelände der Gärtner-Initiative auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. Foto: Stephanie Pilick/dpa

    Der Bauer von morgen braucht keinen Traktor, keinen Mähdrescher und keine Melkmaschine, sondern nur noch eine alte Lagerhalle oder einen großen, überdachten Parkplatz. Irgendwo in der Ecke wird dort dann ein Becken mit tausenden von Karpfen oder Buntbarschen stehen – und auf dem Dach ein Gewächshaus voller Tomaten, Kürbisse und Salatköpfe. Auch der Weg zu seinen Kunden ist für den Bauern von morgen nicht weit: Zum nächsten Supermarkt oder zum nächsten Gastronomen, der ihm seinen Fisch und sein Gemüse abnimmt, sind es in einer Großstadt wie Berlin nur ein paar Meter.

    „Schmeckt gut.“ Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner steht in einem kleinen Gewächshaus im Berliner Bezirk Schöneberg und hat gerade kräftig in eine Tomate gebissen. Auf dem Gelände einer ehemaligen Malzfabrik, das sie an diesem Vormittag besichtigt, soll in den nächsten Jahren die größte „Dachfarm“ der Welt entstehen. In den riesigen Kesseln der alten Mälzerei will ein junges, aufstrebendes Unternehmen künftig bis zu 80 Tonnen Barsche im Jahr züchten und gleichzeitig noch auf 7000 Quadratmetern Dachfläche Gemüse anbauen.

    Investoren gesucht

    Die Philosophie dahinter ist ebenso schlicht wie faszinierend: Was die Fische an Exkrementen ausscheiden, wird anschließend in Nitrat umgewandelt, auf das Dach gepumpt und dort zum Düngen der Pflanzen verwendet. „Urban Farming“ nennen Männer wie Nicolas Leschke das, der Geschäftsführer der kleinen Startup-Firma ECF, die noch Investoren für ihr Projekt sucht. Landwirtschaft in der Stadt.

    Bauern im klassischen Sinne gibt es in Berlin nicht mehr. In Lübars, einem kleinen Dorf im Norden der Hauptstadt, haben die letzten von ihnen schon vor Jahren ihre Ställe an Pferdebesitzer vermietet und verdienen ihr Geld seitdem mit den wohlhabenden Städtern und der Reiterei. Dafür hat eine neue Generation von Selbstverwirklichern und Selfmade-Unternehmen die Metropole als landwirtschaftliche Nutzfläche entdeckt. Die einen bauen, vorwiegend zum Eigenbedarf, auf gepachteten Flächen wie dem Gelände des früheren Flughafens Tempelhof Gurken, Salat und Kartoffeln an. Die anderen versuchen wie Nicolas Leschke und seine beiden Partner, mit grünen Ideen schwarze Zahlen zu schreiben. Eine Stadtfarm wie ihre, sagt er, halte die Transportwege und die Kühlketten kurz. Sie komme ohne Pestizide aus und dank einer ausgeklügelten Kreislaufwirtschaft auch mit weniger Wasser als ein konventionell wirtschaftender Bauer. Dennoch hat das „Urban Farming“ seinen Preis, was nicht zuletzt an den steigenden Pacht- und Grundstückspreisen in den Städten liegt. Fische aus seiner Zucht, schätzt Leschke, werden am Ende noch etwas mehr kosten, als ein Bio-Laden heute schon verlangt.

    Genug brachliegende Industrieflächen

    Brachliegende Industrieflächen für ambitionierte Stadtbauern gibt es in Berlin genug. Für Ilse Aigner allerdings, die zuständige Ministerin, sind Projekte wie das in der alten Mälzerei keineswegs nur Mittel zum Zweck. Viele Menschen, klagt sie, machten sich heute überhaupt keine Gedanken mehr, woher ihre Lebensmittel eigentlich kämen. „Manche Kinder glauben sogar, dass Karotten auf Bäumen wachsen.“ Stadtfarmer wie Leschke oder die Hobbygärtner auf dem Tempelhofer Flugfeld haben für die CSU-Frau deshalb auch einen pädagogischen Auftrag: „Die Menschen bekommen wieder einen Bezug zur Landwirtschaft und sie sehen, wie viel Arbeit und Energie darin steckt.“

    In einem kleinen Container neben der Mälzerei, in dem Leschke und das renommierte Leibniz-Institut eine Art Modellfarm aufgebaut haben, schwimmen bereits 200 Buntbarsche und versorgen das Gewächshaus auf dem Dach mit Nährstoffen. Einer von ihnen, Ilse Aigner nennt ihn Nepomuk, gehört seit gestern der Agrarministerin, die für 20 Euro eine Patenschaft für einen der Barsche übernommen hat und sich deshalb um ihr Mittagessen am 3. Oktober keine Gedanken mehr machen muss. Am Tag der Einheit feiern die Schöneberger Fischfarmer ihr jährliches Fest. Dann bekommt jeder Pate seinen Barsch gegrillt serviert.

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