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Privatsender: Nur die Quote zählt

Privatsender

Nur die Quote zählt

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    Sarah und Dirk in der Reality-Soap „Schwer verliebt“. Ein paar Wochen, nachdem die Dreharbeiten zur neuen Staffel abgeschlossen waren, sind die Szenen der 27-jährigen Sarah H. sehr peinlich. Sie sagt, sie sei nach einem genauen Drehbuch als Freak dargestellt worden.
    Sarah und Dirk in der Reality-Soap „Schwer verliebt“. Ein paar Wochen, nachdem die Dreharbeiten zur neuen Staffel abgeschlossen waren, sind die Szenen der 27-jährigen Sarah H. sehr peinlich. Sie sagt, sie sei nach einem genauen Drehbuch als Freak dargestellt worden. Foto: Sat.1

    Augsburg Für Gänsehaut ist gesorgt. Es ist die vierte Folge der Staffel und allmählich geht es ans Eingemachte. Für Sarah, 27, die romantische „Regalservicekraft“, und den schnauzbärtigen „Sachsen“ Dirk heißt das: Zeit für ungestörte Zweisamkeit. Und so sitzen die beiden also etwas steif auf dem Bett, eingerahmt von Sarahs Barbie-Puppen-Sammlung: sie im luftigen Schlafanzug, er im knappen blauen Schlüpfer. Es gibt Sekt und Schokoküsse, ein Schmusesong wird eingespielt. Und als die Spannung kaum noch erträglich ist, kommt Sarahs Geständnis direkt in die Kamera: „Die Stimmung zwischen Dirk und mir ist romantisch und total sexy aufgeladen.“

    Heute, ein paar Wochen, nachdem die Dreharbeiten zur neuen Staffel von „Schwer verliebt“ abgeschlossen sind und die Neuauflage des Formats bei Sat.1 angelaufen ist, findet Sarah diese Szenen nur noch eines: peinlich. Das, was gezeigt wurde, das sei nicht sie, so wie sie wirklich ist, behauptet die 27-Jährige. Vielmehr sei sie als Freak dargestellt und nach einem Drehbuch vorgeführt worden. „Die (das Filmteam) haben mir die völlig unnatürlichen Sätze vorgesagt, ich musste sie nachplappern. Manchmal 20 Mal. Bis die zufrieden waren“, erklärte sie jüngst in einem Zeitungsinterview. Sat.1 dementierte die Vorwürfe. Und in ihrer Heimatgemeinde, dem rheinland-pfälzischen Fischbach bei Idar-Oberstein, amüsierte man sich beim wöchentlichen Public Viewing weiter köstlich über Sarah und ihre Auftritte bei „Schwer verliebt“.

    Dabei ist es nicht neu, dass beim Fernsehen geschummelt wird. Schon immer wurde hier und da mal etwas geschönt, nachgestellt oder geglättet. Man erinnere sich nur an die oft etwas affektiert wirkende halbe Stunde Frage-Antwort-Spiel bei „Herzblatt“.

    Zuletzt allerdings häuften sich die Wortmeldungen von „Aussteigern“, die von einer neuen Dimension ungenierter Inszenierung berichten. Die prominenteste kam wohl von „Super Nanny“ Katharina Saalfrank, die vor wenigen Wochen die Bande zu ihrem Sender RTL zerschnitt. Ausschlaggebend für die Entscheidung sollen unter anderem Eingriffe in den Ablauf der Sendung gewesen sein, die teilweise sogar gegen pädagogische Interessen gingen. RTL dementierte das.

    Die Hauptschülerin Sarah und die Pädagogin Saalfrank haben eines gemeinsam: Ihre Fälle werfen die Frage auf: Was ist noch echt daran, was tagein, tagaus über den Bildschirm flimmert und dem Zuschauer als Reality-TV, also als Wirklichkeits-Fernsehen, verkauft wird?

    Im Programm der zwei großen privaten Fernsehkonzerne, der RTL Group und der ProSiebenSat.1 Media AG, findet man eine Antwort auf die Frage immer schwerer. Dort wird das Tagesprogramm massiv mit pseudodokumentarischen Reality-Formaten und halb inszenierten Casting-Shows geflutet. „Für den Zuschauer wird es immer schwieriger, zu erkennen, was echt und was gestellt ist“, sagt Professor Hans-Jürgen Weiß vom Göttinger Institut für angewandte Kommunikationsforschung. In einem Bericht an die Landesmedienanstalten rechnet er vor, dass etwa bei RTL und VOX an einem durchschnittlichen Fernsehtag rund neun Stunden auf die sogenannte „Realitätsunterhaltung“ entfallen – das entspricht knapp der Hälfte der redaktionellen Sendezeit. Damit habe die Reality-Flut im deutschen TV einen neuen Höhepunkt erreicht. Weiß glaubt allerdings nicht, dass dieser Trend anhält. „Diese Formate werden sich irgendwann von selbst totlaufen und verschwinden – genauso wie es mit den Nachmittags-Talkshows passiert ist.“

    Was bleibt, bis es so weit ist, ist der tägliche Einheitsbrei: Während der Zuschauer nachmittags exzentrische Gestalten auf der Suche nach ihrer Traumimmobilie begleiten darf, wird am Abend geheimwerkt, die Frau getauscht oder ein Bauer verkuppelt. Der Absurdität sind dabei keine Grenzen gesetzt.

    Im Fall von Sarah war es offenbar manchem Zuschauer zu viel. Rund 25 Beschwerden gingen bei der Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz ein. Der Vorwurf: Bei „Schwer verliebt“ würden Menschen vorgeführt und lächerlich gemacht. Auch der Sprecher der Landeszentrale, Joachim Kind, spricht von einem Verstoß gegen Geschmack und Anstand. Eine medienrechtliche Handhabe eröffne der jedoch nicht.

    Denn Sarah hat sich freiwillig dafür entschieden, an der Sendung teilzunehmen, und ist als Erwachsene geschäftsfähig. Für die aktuelle Debatte über eine klar erkennbare Abgrenzung von Realität und Inszenierung sowie die fragwürdige Botschaft mancher Sendungen, sagt Kind, sei er trotzdem dankbar.

    Bei den Privaten hält sich die Freude in Grenzen. Dort sehe man die Sache ohnehin „etwas anders“, betont Christian Körner. Der Sprecher von RTL verweist auf den Erfolg der Formate und aktuelle Studien. Demnach ist es einem Großteil der Zuschauer weitgehend egal, ob das, was sie sehen, nun inszeniert ist oder nicht. Hauptsache, der Unterhaltungswert stimmt.

    Und der scheint für viele tatsächlich gewährleistet zu sein. Rund sieben Millionen Menschen schalten bei „Bauer sucht Frau“ pro Folge ein, beim Sat.1-Pendant „Schwer verliebt“ sind es über drei Millionen. Rund 400000 Euro Werbeeinnahmen, so hat das ZDF-Magazin „Frontal 21“ unlängst vorgerechnet, spült das dem Sender in die Kassen. Man wäre vermutlich auch mit weniger zufrieden. Denn anders als eine zugekaufte US-Serie mit Starbesetzung sind Reality-Formate vor allem eines: billig.

    Sarah hat vor kurzem ihren Vertrag mit der Produktionsfirma UFA im Internet veröffentlicht. Für 700 Euro hat sie sich darin verpflichtet, alle Rechte abzutreten und absolutes Stillschweigen zu wahren. Kritiker nennen das „Knebelverträge“, Sat.1 „branchenüblich“.

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