Frankreich muss sich bei der Präsidenten-Stichwahl zwischen dem wirtschaftsfreundlichen Jungstar Emmanuel Macron und der Rechtspopulistin Marine Le Pen entscheiden. Der sozialliberale Ex-Minister Macron setzte sich in der ersten Runde mit knapp 24 Prozent durch, wie das Innenministerium am frühen Montagmorgen nach Auszählung fast aller Stimmen mitteilte. Die Europafeindin Le Pen kam auf rund 21,5 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei gut 78 Prozent. Die Stichwahl findet am Sonntag, 7. Mai, statt.
Beide Kandidaten brachten mit ihrem Erfolg das etablierte Parteiensystem in Frankreich in spektakulärer Weise zu Fall. Erstmals seit Jahrzehnten ist kein Kandidat der Sozialisten oder der bürgerlichen Rechten mehr in der Endrunde vertreten.
Er wolle mit einem System brechen, "das unfähig ist, auf Probleme zu reagieren", sagte Macron. Ihm werden gute Chancen eingeräumt, Le Pen am 7. Mai klar zu schlagen.
Sozialisten und Konservative unterstützen Macron
Die Abstimmung wird zu einer dramatischen Richtungsentscheidung für Europa. Denn Le Pen will den Euro abschaffen und die Bürger über die EU-Mitgliedschaft Frankreich abstimmen lassen. Macron tritt hingegen für Europa ein und will die Eurozone gemeinsam mit Deutschland stärken.
Der scheidende Präsident François Hollande gratulierte Macron. Andere Sozialisten und Konservative riefen zur Unterstützung des Mitte-Links-Kandidaten auf, um Le Pen als Präsidentin zu verhindern. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wünschten Macron alles Gute und viel Erfolg für die Stichwahl.
Macron rief seine Anhänger dazu auf, ihm die nötige parlamentarische Mehrheit zu verschaffen. Frankreich wählt am 11. und 18. Juni ein neues Parlament. Die von Macron gegründete Bewegung "En Marche!" (Auf dem Weg) ist dort bislang nicht vertreten.
Mehrere Hundert vorwiegend jugendliche Demonstranten randalierten am Sonntagabend in Paris. Sicherheitskräfte nahmen laut Medienberichten drei Menschen fest.
Le Pen: "Das französische Volk von arroganten Eliten befreien"
FN-Chefin Le Pen schnitt wesentlich besser ab als vor fünf Jahren, als sie im ersten Wahlgang 17,9 Prozent der Stimmen geholt hatte und ausgeschieden war. Die 48-jährige sprach von einem "historischen Ergebnis". Sie fügte hinzu: "Es ist Zeit, das französische Volk von den arroganten Eliten zu befreien, die ihm sein Verhalten vorschreiben wollen."
Der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon erreichte rund 19,6 Prozent. Sein konservativer Widersacher François Fillon erreichte knapp 20 Prozent. Fillon kündigte an, in der Stichwahl für Macron zu stimmen. "Die Enthaltung entspricht nicht meinen Genen, vor allem wenn eine extremistische Partei sich der Macht nähert", sagte er. Mélenchon gab zunächst keine Empfehlung ab.
Macron war unter Hollande Wirtschaftsminister gewesen; sein Parteibuch bei den Sozialisten hat der 39-Jährige aber schon lange abgegeben.
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) begrüßte das Abschneiden von Macron. "Ich bin sicher, er wird der neue französische Präsident", sagte der SPD-Politiker. "Er war der einzige proeuropäische Kandidat, der sich nicht versteckt hat hinter Vorurteilen gegenüber Europa."
Emmanuel Macron im Porträt
Emmanuel Macron ist der Senkrechtstarter der französischen Politik. Einige nennen ihn bereits den "französischen Kennedy".
In seinem Lager entfacht der zierlich wirkende Mann Begeisterung. Schon vor der Wahl war von "Macromania" die Rede.
Sein Wahlkampfbuch nannte er schlicht "Révolution".
Erst vor einem Jahr gründete der frühere Wirtschaftsminister seine Bewegung "En Marche!" (Auf dem Weg).
Einen klassischen Parteiapparat hat er bis heute nicht. Er spricht Menschen an, die eine Erneuerung wollen, aber Extreme ablehnen.
Macron führt sein Wahlkampfteam wie ein Start-up-Unternehmen. Er will "neue Gesichter" in die Top-Etage der Macht bringen.
Falls er gewinnt, soll ein erheblicher Teil der Minister seiner Regierung nicht aus der Politik kommen.
Der 39-Jährige ist ein Europafreund. "Ich habe Europa im Herzen", lautet sein Motto.
Das macht ihn zum prominentesten Widersacher der Rechtspopulistin Marine Le Pen, die die Europäische Union bekämpft und in ihrem Land den "neuen Franc" als Währung einführen will.
Macron gab schon vor langer Zeit sein Parteibuch bei den Sozialisten ab. Er positioniert sich "weder rechts noch links".
Im Wahlkampf bekannte er, Außenseiter zu sein. In der Tat wurde Macron noch nie in ein Amt gewählt.
Der ehrgeizige Kandidat war bis 2012 gut bezahlter Investmentbanker bei Rothschild & Cie...
... Dann holte ihn der sozialistische Präsident François Hollande in den Élyséepalast. 2014 wurde er Wirtschaftsminister.
Macron ist seit 2007 mit der wesentlich älteren Französisch-Lehrerin Brigitte Macron (64) verheiratet, die er seit seiner Schulzeit in Amiens kennt.
Sie organisiert im Wahlkampf und "coacht" ihren Mann. Das ungewöhnliche Paar könnte im Élyséepalast für richtigen Glamour sorgen.
Marine Le Pen im Porträt
Marine Le Pen bietet einfache Erklärungen für Frankreichs Probleme: Die "massive Einwanderung" sei schuld und die Entmündigung durch "Technokraten" aus Brüssel.
Die Rechtspopulistin hat den Auftritt ihrer Partei modernisiert und damit schon viele gute Wahlergebnisse eingefahren.
Nun steht sie wie 2002 ihr Vater Jean-Marie Le Pen in der Stichwahl um den Élyséepalast.
Statt mit der martialischen Flamme der Front National (FN) wirbt die 48-Jährige mit einer Rose, ohne Dornen und natürlich in Marineblau.
Seit sie den Parteivorsitz 2011 von ihrem Vater übernahm, hat sie der Rechtsaußenpartei eine "Entteufelung" verordnet, ein gemäßigteres Auftreten. Offener Rassismus und Antisemitismus werden geahndet.
Le Pen setzt aber weiter auf Abschottung und radikale Positionen gegen Europäische Union und Einwanderung. In ihren Reden spielt sie geschickt auf der Klaviatur von Frust und Ängsten etwa vor dem Islam.
"Feindbilder sind ein fester Bestandteil in der Rhetorik von Marine Le Pen", schreibt Tanja Kuchenbecker, Autorin eines Buchs über die Rechtspopulistin.
Vorwürfe wie den Verdacht der Scheinbeschäftigung von FN-Mitarbeitern im EU-Parlament konnte die Europaabgeordnete ihren Anhängern bislang als Manöver ihrer Gegner verkaufen.
Marine Le Pen kam 1968 als jüngste Tochter des rechtsextremen Polit-Haudegens Jean-Marie Le Pen zur Welt, der die FN in vier Jahrzehnten von einer Splittergruppe zu einer wichtigen Stimme in Frankreich machte.
Im Alter von acht Jahren wurde sie von einer Bombenexplosion aus dem Schlaf gerissen - ein Anschlag auf ihren Vater.
Die Trennung ihrer Eltern wurde zur Seifenoper, als die Mutter im "Playboy" posierte.
Le Pen studierte Jura und arbeitete erst als Rechtsanwältin, dann führte sie die Rechtsabteilung der Front National. Sie hat drei Kinder.
Ihre zwei Ehen gingen auseinander, heute ist sie mit dem FN-Europaabgeordneten Louis Aliot liiert.
Für die Strategie der "Entteufelung" ließ sie 2015 sogar ihren Vater aus der FN ausschließen, nachdem er die Gaskammern der Nazis erneut als "Detail" der Geschichte bezeichnet hatte.
Eine sogenannte Mikropartei des 88-Jährigen lieh ihr trotzdem Millionen für den Präsidentschaftswahlkampf.
Präsident Hollande war nicht angetreten
Etwa 47 Millionen Franzosen waren zur Wahl des Nachfolgers von Präsident Hollande aufgerufen. Insgesamt wollten elf Kandidaten den Sozialisten beerben. Hollande hatte sich nicht mehr für eine weitere Amtszeit beworben.
Der Wahlkampf war geprägt von Skandalen und überraschenden Wendungen. Der Antiterrorkampf spielte insbesondere im Finale eine größere Rolle. Frankreich wird seit Anfang 2015 von einer beispiellosen Serie islamistischer Anschläge erschüttert. Erst am vergangenen Donnerstag hatte ein 39-Jähriger in Paris Polizisten angegriffen und einen von ihnen getötet. dpa
Wie die Wahl verlaufen ist, lesen Sie hier im Live-Blog:
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