Buchmesse, erster Tag, in der Halle Drei kann man sich nachmittags entscheiden. Runter zu Heribert Schwan, der Auskunft gibt über sein hitzig diskutiertes Buch zu Helmut Kohl. Der Titel: „Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle“. Oder doch nach oben, in den ersten Stock, um zu hören, was der Altbundeskanzler selbst zu Protokoll gibt, wenn er die Neuauflage eines Teils seiner Memoiren vorstellt. Der Titel: „Vom Mauerfall bis zur Wiedervereinigung. Meine Erinnerungen.“ Auch das also ein Vermächtnis.
Bei Helmut Kohl stehen die Besucher Schlange
Wer sich für oben entscheidet, stellt fest: Wenn man von einem Sieg überhaupt sprechen mag, dann gehört er an diesem Tag Helmut Kohl. Unten bei Schwan stehen die Journalisten Schlange, oben aber, bei Kohl, stehen sie schon zwei Stunden vor dem Termin im Pulk, beginnt das Rangeln um die besten Plätze. Wer sich für oben entscheidet, wird aber auch feststellen: Der Helmut Kohl, der schließlich um kurz nach vier Uhr mit dem Rollstuhl an seinen Platz gefahren wird, ist ein völlig anderer als der, über den Schwan schreibt.
Kohl spricht mit brüchiger Stimme
Kein jovial polternder, kein bissiger Staatsmann, der seine einstigen Weggefährten abkanzelt. Kein gesunder Mann. Schmal sitzt er da, neben ihm assistiert seine Ehefrau Maike Kohl-Richter mit dem Mikrofon. Kohl lächelt in die Kameras, spricht mit brüchiger Stimme wenige Sätze. „Wenn Sie dieses Buch lesen, wissen sie die Wahrheit und wie es wirklich war.“ Er kündigt sein nächstes Buch an, das in wenigen Wochen erscheint. „Aus Sorge um Europa. Ein Appell.“ Manches von dem Wenigen was er sagt, geht unter. Sein Verleger Hans Peter Übleis führt dafür das Wort. Helmut Kohl komme gerade von einem Treffen mit den ehemaligen US–Außenministern Henry Kissinger und James Baker, und habe die Gelegenheit genutzt, um sein Buch hier vorzustellen.
Dass oben kein Wort zu Heribert Schwan fällt, versteht sich. Kein Wort zu der Frage: Darf der das eigentlich? Die Gespräche, die er einst mit Kohl führte und protokollierte, nun auf diese Weise auswerten. Ungefiltert also Sätze an die Öffentlichkeit geben, wie den, den Kohl über Angela Merkel sagte: Sie habe anfangs noch nicht einmal richtig mit Messer und Gabel essen können. Die Anwälte beschäftigen sich damit, ob Schwan durfte, was er tat.
Kohl-Memoiren entstanden in Zusammenarbeit
Unten aber sagt der Biograf natürlich etwas zu Helmut Kohl. Zum Beispiel, dass er gar nicht wisse, ob Kohl wirklich über die Veröffentlichung der Protokolle verärgert sei. Er habe dazu ja öffentlich nichts gesagt. Und dass er eigentlich zum Aufritt des Altkanzlers in Frankfurt nur so viel sagen könne: „Dass Helmut Kohl heute ein Buch vorstellt, dass ich auch geschrieben habe.“ Das stimmt. Die Memoiren entstanden noch in beider Zusammenarbeit. Bevor es zum Bruch kam, und Schwan danach sozusagen die Seiten wechselte. Vom Ghostwriter zum investigativen Journalist.
Oben stehen die Kameraleute später Schulter an Schulter. Als es eigentlich niemand mehr erwartet, doch noch ein Satz. „Wenn sie dieses Buch kaufen und lesen“, sagt Helmut Kohl, „werden sie einen großen Vorteil haben.“ Das Lächeln. Irgendwie das alte schelmenhafte.