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Porträt: Uli Hoeneß - der Spieler

Porträt

Uli Hoeneß - der Spieler

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    In den Augen von Uli Hoeneß war der FC Bayern immer seine Familie. Mit ihr hat er Siege gefeiert und – viel weniger – Niederlagen betrauert. Gestern hat er eingesehen, dass er die Konsequenzen für seine größte private Niederlage tragen muss.
    In den Augen von Uli Hoeneß war der FC Bayern immer seine Familie. Mit ihr hat er Siege gefeiert und – viel weniger – Niederlagen betrauert. Gestern hat er eingesehen, dass er die Konsequenzen für seine größte private Niederlage tragen muss. Foto: Matthias Hangst, Witters

    Das Ende seines alten Lebens wollte Uli Hoeneß dann doch lieber selbst bestimmen. Er akzeptiert die dreieinhalb Jahre Haft. Darüber hinaus legt er seine Ämter beim FC Bayern nieder. Nicht warten, bis der Henker einen holt, sondern ihm entgegengehen. Versuchen, das Spiel zu machen, auch wenn es verloren ist. Am Ende noch einen überraschenden Ball spielen, der allen den Mund offen stehen lässt. Das macht die Niederlage erträglicher. So hat es Uli Hoeneß immer gehalten.

    Selten hat ihn etwas aufgehalten

    Mag sein, dass es auch Berechnung war, auf eine Revision des Urteils vom Landgericht München II zu verzichten. Schließlich standen die Aussichten, vor dem Bundesgerichtshof in einem zweiten Anlauf besser wegzukommen, nicht gerade glänzend. Bestenfalls aber hat das Kalkül den inneren Vorwärtstrieb, der das Leben des gebürtigen Ulmers von Kindesbeinen an bestimmt hat, ergänzt. Egal, wohin er unterwegs war, selten hat ihn etwas aufgehalten.

    Pfingsten 1960. Hoeneß ist acht, ein Riesentalent. Seine Tore haben den SSV Ulm ins Finale der Bezirksmeisterschaft befördert. Unglücklicherweise kollidiert der Endspieltermin mit einem Zeltlager der Ministranten. Die Eltern entscheiden auf Zeltlager – und nicht nur im Hause der Metzgerei Hoeneß ist ein solcher Spruch damals Gesetz. Der kleine Blondschopf aber folgt anderen Regeln. Er büxt aus, radelt die 50 Kilometer nach Ulm und biegt ein verloren geglaubtes Spiel nach 0:4-Rückstand mit fünf Toren noch zum Sieg um.

    Dickkopf mit Geschäftssinn

    Wer mag einen derartigen Kerl stoppen? Zumal dieser Dickkopf neben Talent und Willen auch noch zwei Eigenschaften besaß, die unter Fußballern lange wenig verbreitet waren: Geschäftssinn und strategisches Denken.

    Der Autor und Regisseur Christian Weisenborn hat Hoeneß und seinen Kumpel beim FC Bayern, Paul Breitner, in der Saison 1978/79 begleitet. In einer Szene machen es sich Gäste im Privathaus Hoeneß bequem. Ein Sponsor hat ein Frühstück mit dem Star verlost. Hoeneß serviert mit Topfhandschuhen. Seine Frau Susi assistiert widerwillig. Sie mag keine Fremden mit Fotoapparaten in ihren Privaträumen. Ihrem Uli scheint das egal zu sein. Geschäft ist Geschäft.

    Die Bayern-Familie wird ihm in Landsberg fehlen

    Hoeneß hat seine Familie strapaziert, vor allem Susi. Das Geschäft geht vor. Das hat er zu Hause gelernt. Gleichzeitig braucht der Umtriebige ein Nest. Als Manager in Barcelona oder London wäre Hoeneß verkümmert. Bayern, seine Familie, Karl-Heinz Rummenigge auf der Tribüne neben sich – all das wird ihm in seinem Landsberger Domizil mehr fehlen als der Privatsender Sky, der im Gefängnis nicht zu empfangen ist. Hoeneß: Gefängnis statt Revision

     Im Hormonrausch lernte er sogar Klavier spielen

    Hoeneß ist seit 40 Jahren verheiratet. Sohn Florian und Tochter Sabine führen die von ihm gegründete Nürnberger Wurstfabrik. Es sah nicht immer so aus, als würde die Ehe so lange halten. Mitte 40 traf er, wie manch anderer der FC-Bayern-Granden, auf eine junge Schöne. Im Hormonrausch lernte er sogar Klavier spielen. Nach zweimaligem Hin und Her blieb er endgültig bei seiner Susi. In den vergangenen Monaten war sie häufig an seiner Seite. Familie ist Familie – bei allem Geschäft.

    „Der Uli“, sagt Breitner, „hat sich früh mit Geld beschäftigt, der hatte immer einen Plan.“ Kaufen und verkaufen war sein Spiel. Wenn Hoeneß gelegentlich selbst im Fanshop Trikots an Bayern-Fans verkaufte, war ihm sein Glück anzusehen. „Ich bin eben eine alte Krämerseele“, sagte er über sich selbst. Uli Hoeneß – vom Saubermann zum Steuersünder

    Ein Uli Hoeneß kuriert sich selbst

    Viel später war es umgekehrt, hat sich das Geld mit ihm beschäftigt. Es war jene Phase seines Lebens, die ihn jetzt ins Gefängnis bringt. Die Zeit, in der das Geld von ihm Besitz genommen hat. In der er an den Devisenmärkten zig Millionen verloren, gewonnen und wieder verloren hat, begleitet vom Rausch der Hormone, innerer Unruhe, ständigem Verlangen, den Kennzeichen jeder Art von Sucht. Er selbst hat sie als „Börsensucht“ beschrieben. „Das war der Kick, Adrenalin pur“, hat er das Millionen-Jonglieren beschrieben. Inzwischen sieht er sich als geheilt. Offen bleibt, wie krank er wirklich war. Dass er irgendeine Form therapeutischer Hilfe in Anspruch genommen hat, ist nicht bekannt. Ein Uli Hoeneß kuriert sich selbst. Gelegenheiten, an seinem Leben herumzudoktern, hatte er genug.

    Nur wenige haben es geschafft, so viel in sechs Jahrzehnte zu packen wie er. Mit 19 Bayern-Profi, mit 20 Europameister, mit 22 Weltmeister – und mit 27 Sportinvalide. Damals ist Hoeneß das erste Mal vom Himmel gefallen.

    Er hat nicht auf das Ende gewartet. Als Manager machte er den FC Bayern zu einer Weltmarke. Dass die wirtschaftliche und sportliche Dominanz des Klubs das Fußball-Land gespalten hat, war dem Oberbayern egal. Er hat ja selbst viel dazu beigetragen. Hat gepoltert, wo Zwischentöne gefragt waren, sich aufgeblasen, wo er besser geschwiegen hätte. War er einmal in Fahrt, flogen ihm die Worte wie glühende Lavabrocken aus dem Mund.

    Worte flogen wie Lavabrocken

    Aber in diesem Poltergeist steckte auch immer ein anderer Hoeneß. Als zwei Jugendliche Dominik Brunner am S-Bahn-Steig in Solln totschlagen, stellte Hoeneß sich in der Allianz-Arena in die Rasenmitte und predigte den 69000 im Stadion sowie Millionen TV-Zuschauern aus dem Bauch heraus Zivilcourage. Die Worte flogen wie Lavabrocken. Hoeneß hat immer gebrannt. Das hat ihn stark und schwach gemacht. In diesem Zustand verliert einer mitunter den Blick für sich selbst. Als Bayern-Boss hat er öffentlich gegen Steuer- und Wirtschaftsbetrüger gewettert, obwohl er selbst schon lange einer war. Es gibt Menschen, die eine Meisterschaft darin entwickeln, Realitäten auszublenden. Einer von ihnen ist, nach allem, was man jetzt weiß, Uli Hoeneß.

    Das kann im Leben auch helfen. 1982 überlebt Hoeneß als Einziger einen Flugzeugabsturz. Er hat im hinteren Teil der Maschine geschlafen. Die drei anderen Insassen sterben. Zufall? Schicksal? Oder das Werk einer höheren Macht? Hoeneß ist kein Grübler, der sich mit solchen Fragen aufhält. Stattdessen ist er ein Bruder im Geiste Oliver Kahns, der das „Weiter-immer-weiter“ zum Mannschafts-Credo erhoben hat.

    Andererseits entkommt auch der stetig Vorwärtsdrängende seinem alten Leben nicht. Es holt ihn ein. Wer so oft wie Hoeneß persönlichen Katastrophen entgangen ist, entwickelt mitunter die Vorstellung, unverwundbar zu sein, außerhalb der Regeln zu stehen. In diesem Gefühl lockt das Hochseil. Nur für den Kick, nicht, weil der Balance-Akt einen Sinn hat.

    Warum auch hätte Hoeneß dem Vermögen, das er als Spieler, Manager und Wurstfabrikant erworben hat, weitere Millionen hinzufügen sollen? Um sich im Stillen darüber zu freuen? Hoeneß genießt nicht still. Er ist es gewohnt, mit Blasmusik, Bierduschen und Feuerwerk zu feiern. Aber von welchem Rathausbalkon herunter hätte er seine Triumphe, die er auf Schweizer Konten und gegen deutsche Steuerfahnder erzielt hat, bejubeln können? Mit wem hätte Hoeneß seine Gewinne und Verluste messen wollen? Der ehemalige Bayern-Boss hat einige Kicks gewonnen, aber am Ende furchtbar verloren. Gestern hat er das eingesehen. Er ist mit beiden Händen über den Tisch gefahren und hat abgeräumt.

    Auf Hoeneß wartet ein neues Spiel

    Noch darf er ein paar Tage in seinem Haus in Bad Wiessee bleiben. Dort haben sich gestern viele Journalisten versammelt und auf ihn gewartet. Der 62-Jährige ließ von einem nahe gelegenen Wirtshaus Wurstsemmeln bringen. Eine Frau verteilte sie mit „schönen Grüßen vom Uli Hoeneß“, und „es sind keine Handgranaten drin“.

    Es geht also weiter, immer weiter. Auf Hoeneß wartet ein neues Spiel in einem anderen Leben.

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