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Porträt: Recep Tayyip Erdogan: der Abgehobene

Porträt

Recep Tayyip Erdogan: der Abgehobene

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    Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hat viele Bürger der Türkei gegen sich aufgebracht.
    Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hat viele Bürger der Türkei gegen sich aufgebracht. Foto: Igor Kovalenko (dpa)

    Das Leben in Istanbul, dieser großenteils auf dem europäischen Kontinent gelegenen Metropole, ist quirliger, moderner und säkularer als im Rest der Türkei. Einer, der das wissen muss, ist Recep Tayyip Erdogan. Denn der Premierminister war von 1994 bis 1998 Oberbürgermeister dieser Stadt. Damals verfolgte er zwar auch religiös-konservative Projekte, indem er den Ausschank von Alkohol in Lokalen verbot, die der Stadt gehören, und gesonderte Badezonen für Frauen einrichten ließ. Aber den Beifall der Bevölkerung erwarb er sich durch die Steigerung der Lebensqualität: Er ließ marode Strom- und Wasserleitungen erneuern und führte eine geregelte Abfallentsorgung ein.

    Erdogan ist das Gespür für die Menschen abhanden gekommen

    Das Gespür für Bürgernähe ist dem Chef der islamischen Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP), der seit zehn Jahren die Regierungsgeschäfte in Ankara führt, aber abhandengekommen. Sonst wäre er nicht bereit gewesen, für das Prestigeprojekt des Wiederaufbaus einer alten Kaserne aus der Sultanzeit eine der letzten Grünflächen im Zentrum von Istanbul zu opfern. Daran entzündete sich der Protest, der sich mittlerweile zu einer Revolte gegen die Regierung ausgewachsen hat.

    Erdogan, 59, hat spätestens nach seinem phänomenalen Wahlsieg 2011, der seiner Partei die absolute Mehrheit bescherte, den Boden unter den Füßen verloren. Der beeindruckende wirtschaftliche Erfolg der Türkei in den vergangenen Jahren mag ebenfalls dazu beigetragen haben – und auch die Zurückweisung, auf die der Beitrittswunsch der Türkei in der Europäischen Union gestoßen ist. Jedenfalls verfolgt der Regierungschef inzwischen eine Politik, die auf die eigene Stärke setzt, und die auch zu einer Rückbesinnung auf islamisch-konservative Werte führt. So fiel unter seiner Ägide das Kopftuchverbot in staatlichen Einrichtungen, das auf den Prinzipien des Staatsgründers Kemal Atatürk fußte. Erdogan: "Extremistische Elemente"

    Modernisierung trotz Islamisierung?

    Die vom „Vater der Türken“ propagierte Trennung von Staat und Gesellschaft ist für Erdogan kein Dogma mehr. Er redet zwar viel von Modernität und Demokratie, sieht darin aber keinen Widerspruch zu einer Islamisierung des öffentlichen Lebens in der Türkei.

    Aktuell bereitet der studierte Ökonom, der mit seiner Frau Emine vier Kinder hat, seinen Wechsel in das Präsidentenamt vor. Allerdings hat Erdogan eigene Vorstellungen von dieser Position: Er will ein starker Präsident werden, einer wie in den USA oder Frankreich. Dazu muss allerdings erst einmal die Verfassung geändert werden. Bisher schien den nach wie vor äußerst populären Erdogan nichts an der Verwirklichung dieser Pläne hindern zu können. Doch die Protestwelle könnte das ändern.

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