Im Frühjahr 2018 bezauberte die schüchterne 32-Jährige mit dem mädchenhaftem Charme noch die südkoreanische Öffentlichkeit. Kim Yo Jong reiste damals als erstes Mitglied der Kim-Dynastie überhaupt in den südlichen Nachbarstaat. Die jüngere Schwester von Nordkoreas Diktator Kim Jong Un verkörperte die scheinbar weiche Seite eines Regimes, das sonst fast ausschließlich mit Raketentests, Hungersnöten und politischen Gefangenenlager Schlagzeilen macht.
Nun jedoch lernt die Welt eine andere Seite von Nordkoreas neuer Nummer zwei kennen: Kim Yo Jong ist die führende Figur im Konfrontationskurs gegen Südkorea. Es ist ungewöhnlich, dass die nordkoreanischen Staatsmedien eine zweite Person so prominent neben dem „geliebten Marschall“ erscheinen lassen.
Gemeinsame Vergangenheit schweißte Kim Jong Un und seine Schwester zusammen
Bislang war Kim Yo Jong vor allem im Hintergrund präsent, etwa als sie ihrem Bruder beim ersten innerkoreanischen Gipfel den Füllfederhalter überreichte. Dass Kim Yo Jong als rechte Hand des Diktators gilt, hat mit ihrer Familiengeschichte zu tun: Beide wuchsen als Kinder des 2011 verstorbenen Kim Jong Il auf – stammen jedoch nicht aus seiner Ehe, sondern der Affäre mit einer volksbekannten Tänzerin.
Sie absolvierten gemeinsam mehrere Schuljahre in der Schweiz, wo sie zwar privilegiert in einem Berner Nobelviertel lebten, jedoch auch tiefe Traumata durchmachten: Ihr Onkel und ihre Tante mütterlicherseits, die sie damals aufzogen, flohen 1998 über Nacht in die USA. Nur sechs Jahre später starb ihre leibliche Mutter an Krebs.
Jene Erfahrungen schweißten zusammen – und sorgten dafür, dass der spätere Thronfolger Kim Jong Un niemandem außer seiner Schwester so wirklich trauen konnte. Seinen Halbbruder Jong Nam ließ er während seiner Konsolidierungsjahre als Diktator hinrichten, genau wie seinen Onkel Jang Seong Thaek.
Kim Yo Jongs Aufstieg könnte mit einer Führungsrolle zu tun haben
Dass die junge Nordkoreanerin Kim Yo Jong ausgerechnet jetzt so prominent in Erscheinung tritt, hat laut Expertenmeinungen eine simple Erklärung: Sie soll auf eine Führungsrolle innerhalb des Regimes vorbereitet werden und durch die gegen Südkorea herbeigeführte Krise das Volk innenpolitisch einen. Gleichzeitig kommt ihr die Rolle des „bad cop“ im Regime zu: Indem sie die Eskalation gegen Südkorea anführt, lässt sie ihrem Bruder die Hintertür der Versöhnung offen.
Doch Kim Yo Jongs Aufstieg innerhalb des Parteiapparats kommt zu einem brisanten Zeitpunkt. Die Spekulationen um Kim Jong Uns Gesundheitszustand sind noch immer im vollen Gange. Im April und Mai war der starke Führer für drei Wochen vollständig von der medialen Öffentlichkeit verschwunden. Zwar ist Kim seither wieder aufgetaucht, doch seine genetische Vorbelastung ist bekannt: Sein Großvater, Staatsgründer Kim Il Sung, litt unter einem feindlichen Tumor, sein Vater erkrankte an Diabetes. Beide starben an Herzversagen.
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