Um Josef Ackermann zu verstehen, müsste man Josef Ackermann sein. Zu widersprüchlich wirken die über den Schweizer überlieferten Bilder. Und wenn der Eindruck entsteht, es liege eine verlässliche Spur vor, die uns in das Innere des 63-Jährigen führt, ist er es, der diese Zeichen verwischt und hartnäckige Menschensucher verstört. So wähnten die Ackermann-Psychologen ihn im Zustand der Läuterung. Sie glaubten einem Mann zu begegnen, der mit sich, seiner Bank, der Kanzlerin, der Welt und sogar den ihm mehrheitlich kritisch gesonnenen Deutschen im Reinen ist.
Ackermann, den seine Freunde „Joe“ nennen, schien in Deutschland nach Irrfahrten angekommen zu sein und das Kredithaus souverän zu führen, wirkungsvoller als seine Vorgänger Rolf Breuer und Hilmar Kopper. Ein vorderer Platz in der Porträtgalerie der Deutschen Bank hätte Ackermann schon deswegen sicher sein können, weil er drei große Leistungen vollbracht hat: Es gelang ihm, den Konzern auf zwei starke Säulen zu stellen. Er baute sowohl das risikoreiche Investmentbanking als auch vor allem durch die Übernahme der Postbank das beständigere Inlandsgeschäft aus. Seinen Ruf als Banker von hohen Gnaden festigte der Manager aber erst in der Finanzkrise, als es ihm vergönnt war, das Geldhaus auf fast schon wundersame Weise unverwundet durch diese Kernschmelze des Kapitalismus zu führen. Sein früher als arrogant empfundenes Lächeln wirkte mit einem Mal ermutigend in einer explodierenden Geldwelt.
Berater der Kanzlerin und Retter der Siemens AG
Ackermann avancierte zum Berater der Kanzlerin Angela Merkel, etwa als es darum ging, das marode Finanzgebilde Hypo Real Estate nicht zum deutschen Lehman werden zu lassen. Der Sohn eines Landarztes aus Mels im Kanton St. Gallen und Oberst der Schweizer Armee reifte zu einem der führenden Köpfe der sich in der Krise neu formierenden Deutschland AG heran.
In dem Zusammenhang lässt sich seine dritte Großtat ausmachen. Nachdem der Siemens-Konzern durch eine Korruptionsaffäre gewaltigen Ausmaßes wankte, war es auch dem Aufsichtsrat Ackermann zu verdanken, dass die Institution nicht dauerhaften Schaden nahm. Er wurde Teil eines Feuerwehr-Quartetts aus dem Aufsichtsrats-Vorsitzenden Gerhard Cromme, IG-Metall-Chef Berthold Huber und Siemens-Lenker Peter Löscher.
Das neue Ackermann-Bild eines unverwüstlichen Ritters für Ausnahmezustände war fast fertig. Alte Farbschichten, die einen für viele überheblich wirkenden Mann zeigten, erweckten den Eindruck, übermalt zu sein. Die Worte seines Jugendfreunds Hanspeter Danuser schienen sich zu bestätigen: „Er war einer der stärksten Schüler. Hell, schnell und sehr, sehr pragmatisch.“ Dabei sei er nie ein Streber gewesen.
Es wurde ein Ackermann gezeigt, der als Chef der weltweit mächtigsten Banken-Lobby IIF der Star seiner Zunft ist. Bei einem Treffen der Organisation in Istanbul erweist er sich als Gentleman. In einer Fernsehreportage lässt sich der Netzwerker bei der Arbeit beobachten. Der mittelgroße, leicht untersetzte Mann mit dem vollen, inzwischen überwiegend grauen Haar empfängt die Gesandten des Kapitals formvollendet. Er lächelt, scherzt und beugt sich etwas nach vorne, wenn er Gäste begrüßt. Manche umarmt Ackermann. Einige Damen werden mit Küsschen auf die Wangen willkommen geheißen. Männern schüttelt er die Hände ausdauernd.
Es ließen sich noch Hunderte freundliche Zeilen über Ackermann verfassen. Führende Politiker und Manager, die ihm näher gekommen sind, als es einem Journalisten möglich ist, könnten das alles bestätigen. In Hintergrundgesprächen ist viel Gutes über ihn zu hören. Dabei fällt auf, dass Mitglieder der oberen Kaste damit nicht zitiert werden wollen. Warum mag nur keiner mit allzu lobenden Worten über Ackermann in Erscheinung treten? Liegt es vielleicht daran, dass sich das alte Bild des Managers zu sehr ins Bewusstsein eingebrannt hat? Will man nicht gerne mit einem Menschen in Verbindung gebracht werden, der für viele zum Inbegriff eines kalten und dabei auch noch charmant lächelnden Kapitalismus geworden ist?
Ein Siegeszeichen mit traurigem Nachspiel
Eine unüberlegte Handlung aus dem Jahr 2004 prägt sicher für immer das Bild Ackermanns. Der Manager wird den Moment, als er am Rande des Mannesmann-Verfahrens Zeige- und Mittelfinger lächelnd zu einem „V“ für „Victory“ und damit für Sieg formte, tausendmal verflucht haben, auch wenn er das offiziell nicht einräumen würde. Jugendfreund Danuser wird mit einer dieses Verhalten erklärenden Interpretation zitiert: In der Jugend sei ihnen eingeimpft worden, keine Schwächen zu zeigen: „Entscheidend ist, dass niemand etwas von dem Tief mitbekommt.“ Mit dem Triumphsymbol war Ackermann unten angekommen, schließlich hatte er als Aufsichtsrat der vom britischen Konkurrenten Vodafone übernommenen Mannesmann AG Fehler gemacht. „Was gibt es denn da zu lachen“, fragte das moralische Zentralorgan Bild. In der Süddeutschen Zeitung war von „Obszönität“ und einem „Abgrund an Arroganz“ die Rede. Heftiger wurde das Verhalten eines Managers in Deutschland selten kommentiert. Ackermann und die anderen Mannesmann-Aufsichtsräte hatten 57 Millionen Euro an Prämien und Pensionsabfindungen an führende Persönlichkeiten des Unternehmens gezahlt. 57 Millionen dafür, dass ein Unternehmen übernommen wird?
Der Skandal hatte ein langes Nachspiel. Juristen des Bundesgerichtshofs bestätigten den Mannesmann-Aufsehern, wie Gutsherren gehandelt zu haben, obwohl sie nur Gutsverwalter gewesen seien. Ackermanns Behauptung, Deutschland sei das einzige Land, „wo diejenigen, die erfolgreich sind und Werte schaffen, deswegen vor Gericht stehen“, machte ihn endgültig zu einem Außenseiter. Mit einer aus internationaler Kapitalmarktsicht nachvollziehbaren Forderung nach einer Eigenkapitalrendite von 25 Prozent wurde er in dem auf einen gemäßigten rheinischen Kapitalismus ausgerichteten Deutschland zum Fremdkörper. Der einstige SPD-Chef Franz Müntefering sprach fortan abqualifizierend von „Ackermännern“.
Auch diese schmachvolle Liste ließe sich lange fortsetzen. Eigentlich ist sie, wenn auch nicht in Vergessenheit geraten, so doch mit einem Mantel der Nachsicht überdeckt worden. Das mit Ackermann und den Deutschen hätte noch eine vom Wohlwollen geprägte Beziehung werden können, wenn da nicht die N-Frage ihre ganze zerstörerische Wirkung entfalten würde. Der Deutsche-Bank-Mann suchte einen Nachfolger und glaubte ihn in dem früheren Bundesbank-Chef Axel Weber gefunden zu haben. Wie viele Führungspersönlichkeiten spiegelt sich Ackermann gerne in anderen Menschen und traut sein Erbe nur einem Menschen seiner Art zu. Ackermann suchte einen Ackermann. Ohne den Namen Weber zu erwähnen, nannte er via Medien folgende Anforderungen: „Für mich ist wichtig, wer steht, wenn es kritisch wird. In Krisenzeiten zeigt sich die Persönlichkeit.“ Damit meinte er sich und Weber.
Das schmeichelte dem Umworbenen, ließ seinen Marktwert steigen und ihn ausgerechnet zur Schweizer Großbank UBS gehen. Ackermann stand alleine da und musste Männern aus dem eigenen Haus, denen er diese Aufgabe nicht so recht zutraut, seinen Segen geben. So kommt es zur Doppelspitze aus dem indischen Investmentbanker Anshu Jain und dem Deutschen Jürgen Fitschen. Ackermann schlug mal wieder einen Haken und begab sich auf eine Fährte, die er zuvor als den falschen Weg bezeichnet hatte. Er will 2012 direkt vom Sessel des Vorstandsvorsitzenden auf den Thron des Aufsichtsratschefs wechseln.
Der Manager steht wieder in der Kritik
Empörung macht sich breit. Für den Münchner Betriebswirtschafts-Professor Manuel René Theisen ist das „im Sinne der guten Unternehmensführung ein Skandal“. Es werde Ackermann wenig kümmern, wer unter ihm Vorstand spielen dürfe. „Das verstößt gegen den Geist des Aktiengesetzes“, kritisiert er. Doch Ackermann nutzt eine Ausnahmeregelung. Das verübeln ihm Politiker aller Parteien. Was hat den Manager zu der Aktion getrieben? Theisen glaubt, der Banker halte sich für unersetzlich. „Die Geschichte ist voll von solchen Heldengeschichten mit schlechtem Ausgang.“
Ackermann erträgt die Kritik nach außen hin wieder mit unglaublicher Selbstbeherrschung. „Ich lasse mich nicht auffressen“, sagt er gerne. Diese Disziplin muss sich der Schweizer in seiner Zeit als Soldat antrainiert haben. In Ackermanns Welt existiert wohl noch ein großes leeres Gefühl; das Gefühl, sein Lebenswerk nicht vollendet zu haben. Spötter sagen deshalb, der Nachfolger von Ackermann sei Ackermann, bis er wieder einen vom Format seiner selbst aufspürt.