Am Freitag hat Janine Wissler ihre Bewerbung um den Bundesvorsitz der Linken verkündet, am gleichen Tag gab auch Susanne Hennig-Wellsow ihre Kandidatur bekannt. Nun ist eine weibliche Doppelspitze im Rennen – aussichtsreich, sagen die einen; das Aus für Rot-Rot-Grün, sagen die anderen. Denn Wissler sei zu radikal für eine Regierungsbeteiligung.
Knapp ein Jahr ist es her, als Janine Wissler der AfD „Nachhilfe in Sachen Meinungsfreiheit“ während einer Rede im hessischen Landtag erteilte. Das auf Youtube veröffentlichte Video erregte einige Aufmerksamkeit. Viele feiern Wissler für ihre rhetorische Stärke. Im rechten Spektrum sorgt sie für Wut.
Große Prozesse gegen Rechtsextremisten in Deutschland
Dem Prozess im Mordfall Walter Lübcke gingen zahlreiche Gerichtsverfahren gegen Rechtsextremisten in Deutschland voraus. Wichtige Urteile im Überblick:
Der "Bückeburger Prozess": 1979 werden erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Rechtsextremisten wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Vier Angeklagte aus dem Umfeld des Hamburger Neonazis Michael Kühnen erhalten wegen Überfällen und Anschlagsplänen zwischen acht und elf Jahre Haft.
"Wehrsportgruppe Hoffmann": Karl-Heinz Hoffmann, der Gründer der 1980 verbotenen Wehrsportgruppe, wird 1986 wegen verschiedener Delikte zu über neun Jahren Haft verurteilt. Vom Doppelmord an einem jüdischen Verlegerpaar wird er vor dem Nürnberger Schwurgericht jedoch freigesprochen.
Kay Diesner: 1997 wird der Neonazi wegen Mordes an einem Polizisten und versuchten Mordes an einem weiteren Polizisten sowie einem linken Buchhändler zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Lübecker Landgericht wirft ihm «menschenverachtende Verblendung» vor.
"Gruppe Freital": Das Oberlandesgericht Dresden verhängt 2018 gegen die rechtsextreme «Gruppe Freital» Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren. Die acht Angeklagten werden unter anderem wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und versuchten Mordes verurteilt.
NSU-Prozess: Die Rechtsterroristin Beate Zschäpe wird 2018 wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Über fünf Jahre wurden am Oberlandesgericht München die rassistischen Morde des sogenannten «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU) zwischen 2000 und 2006 sowie der Mord an einer Polizistin verhandelt.
Anschlag von Halle: Voraussichtlich ab Juli 2020 muss sich Stephan B. nach dem versuchten Anschlag auf eine Synagoge und dem Mord an zwei Menschen vor dem Oberlandesgericht Naumburg verantworten. B. hatte im Oktober 2019 versucht, in der Synagoge ein Blutbad unter den dort versammelten Gläubigen anzurichten. (dpa)
Das „ß“ im Namen hat sie durch „ss“ ersetzt
Vor einigen Monaten erhielt Wissler sogar Morddrohungen, die mit „NSU 2.0“ unterzeichnet waren. In der Partei gilt sie als pragmatisch und zuverlässig. Den Pragmatismus zeigt die 39-Jährige direkt am eigenen Namen: Eigentlich heißt sie Wißler – doch ein ‚scharfes S’ sei in Zeiten von Internet und E-Mail schwierig, daher die Schreibweise mit zwei S, twitterte Wissler einmal.
Sie kommt gebürtig aus Hessen und studierte von 2001 bis 2012 Politikwissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Den ersten Teil des Studiums finanzierte sie sich mit ihrem Teilzeitjob als Fachverkäuferin in einem Baumarkt. Anschließend arbeitete sie an ihrer politischen Blitzkarriere.
Janine Wissler war Mitglied bei Attac und Marx21
Wissler hat die Ursprünge der Linken-Partei miterlebt und mitgetragen: 2004 engagierte sie sich als Studentin bei der SPD-Abspaltung WASG (Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit) und war 2005 Gründungsmitglied der gleichnamigen Partei. Als sich im Jahr 2007 die Linke aus dem Zusammenschluss der WASG mit der PDS gründete, wurde Wissler Mitglied des Bundesvorstands.
2008 zogen sie und die Linkspartei erstmals in den hessischen Landtag ein - Wissler war damals jüngste Abgeordnete im Parlament; 2009 wurde sie Fraktionsvorsitzende in der Opposition. Erst drei Jahre später beendete sie mit ihrer Diplomarbeit offiziell das Studium.
Wissler stellt sich klar gegen den Kapitalismus
Die Linken-Politikerin ist Mitglied in der Gewerkschaft Verdi, der globalisierungskritischen Organisation Attac und bei Marx.21. Vor allem Letzteres brachte ihr Kritik ein: Denn das Netzwerk lehnt eine Regierungsbeteiligung der Linken kategorisch ab. Vom Bundesamt für Verfassungsschutz wurde es als linksextrem eingestuft.
Wissler stellt sich zwar klar gegen den Kapitalismus, doch angesichts der fast tausend Reden, die sie seit 2008 im hessischen Landtag gehalten hat, fällt es schwer, sie als Gegnerin des Parlamentarismus einzuordnen. In Bezug auf die Bundestagswahl 2021 sagte sie im Sommer-Interview, sie habe oft den Eindruck, man könne aus der Opposition heraus, „wenn man wirklich Druck macht, mehr erreichen“. Letztendlich seien für sie aber die Inhalte entscheidend.
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