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Porträt: Erste Kanzlerin: Brigitte Bierlein gilt in Österreich als gute Wahl

Porträt

Erste Kanzlerin: Brigitte Bierlein gilt in Österreich als gute Wahl

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    Brigitte Bierlein wird – falls nichts Unvorhergesehenes geschieht – erste Kanzlerin von Österreich.
    Brigitte Bierlein wird – falls nichts Unvorhergesehenes geschieht – erste Kanzlerin von Österreich. Foto: Hans Punz

    Verbindlich im Stil, ruhig und überlegt, aber auch mitunter sehr resolut, durchsetzungsfähig, mit klaren Ansagen – das sind Attribute, die man in Österreich der designierten Kanzlerin Brigitte Bierlein zuordnet. Davon weiß der Kriminelle nichts, der die Juristin im September 2004 in Wien überfällt. Trotz aller Brutalität bekommt der Mann nicht, was er unbedingt haben will: Ihre Handtasche lässt Bierlein auch dann nicht los, als der Mann sie über den Bürgersteig schleift. Später sagt sie, sie habe eine neue Kreditkarte in der Tasche gehabt und wollte sich die "Rennereien" ersparen, um für Ersatz zu sorgen.

    Diese Anekdote sagt einiges, aber längst nicht alles über die Frau aus, die nun – wenn auch nur vorübergehend – erste Regierungschefin der Republik Österreich wird. Vieles spricht jedoch dafür, dass der Bundespräsident eine gute Wahl getroffen hat. Alexander Van der Bellen sagte, dass er die bisherige Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes als „weitsichtige und in höchstem Maße kompetente Persönlichkeit kennen und schätzen gelernt“ habe.

    Tatsächlich könnte Bierlein das Zeug dazu haben, Österreich bis zu den Wahlen im September wieder in ruhigeres Fahrwasser zu lenken. Nach dem Skandal um das Ibiza-Video mit dem früheren Vizekanzler Hans-Christian Strache (FPÖ) in der Hauptrolle, dem daraus resultierenden Ende der Koalition aus der konservativen ÖVP und der rechtsnationalen FPÖ sowie dem Sturz des beliebten Kanzlers Sebastian Kurz dürften sich viele Bürger des Landes danach sehnen.

    Brigitte Bierlein wurde mit 26 Jahren Richterin

    Brigitte Bierlein, geboren 1949 in Wien, will in jungen Jahren zunächst dem Beispiel ihrer Mutter folgen: Die Frau eines Beamten liebte die Künste. Auch die Tochter interessiert sich für Kunst und Architektur. Doch sie beginnt – ausgerechnet auf den Rat ihrer Mutter – ein Jurastudium, und zwar mit dem ihr eigenen Ehrgeiz. Die Universität durcheilt sie förmlich, mit 26 wird sie Richterin, zwei Jahre später Staatsanwältin.

    Zunächst im Zivilrecht beheimatet, macht sie Karriere als Strafrechtlerin. Viele Positionen dieser Karriere erreicht sie als jeweils erste Frau. Im Januar 2003 der große Sprung: Bierlein wird zur Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs ernannt. Ein Schritt, der natürlich auch eine politische Dimension hat. Ende 2002 hatte Kanzler Wolfgang Schüssel die erste ÖVP/FPÖ-Koalition geschmiedet.

    Die parteilose Juristin gilt als konservativ, gut vernetzt mit der ÖVP, aber auch mit Kontakten zur FPÖ. Eine Konstellation, die hilft, ihr den Weg in das höchste Gericht Österreichs zu ebnen. Lange wird Bierlein misstrauisch beäugt von der SPÖ als „stramme Konservative“.

    Brigitte Bierlein gilt als juristisch und politisch unabhängig

    Doch durch die Art, wie sie ihr Amt ausübt, entzieht sie sich der Gefahr, parteipolitisch eingeordnet zu werden – und legt so die Grundlage dafür, dass sie jetzt als Übergangskanzlerin infrage kam, ja als äußerst kluge Wahl Van der Bellens gefeiert wird. Denn Bierlein blieb im besten Sinne unberechenbar – juristisch unabhängig ließ sie sich auch politisch nicht vereinnahmen. Distanziert äußerte sie sich zur FPÖ-Kampagne für ein Kopftuchverbot oder zu Rufen nach einer Verschärfung des Strafrechts. Als sie im Februar 2018 Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes wird, erkennt ein großer Teil der SPÖ ihre Verdienste längst an.

    Brigitte Bierlein wirkt sehr abgeklärt, als sie am Donnerstag in der Wiener Hofburg ein kurzes Statement abgibt. Sie habe gezögert, als die Anfrage des Bundespräsidenten gekommen sei. Familiäre Gründe führt sie nur wenige Monate vor ihrer geplanten Pensionierung für ihr Innehalten nicht an. Sie ist kinderlos und seit vielen Jahren mit einem Juristen liiert. Letztlich habe sie es als ihre Pflicht verstanden, „in dieser bisher einmaligen Situation in der Geschichte der Zweiten Republik“ ihren Teil beizutragen und diese „hohe Verantwortung zu übernehmen“.

    Ihre Souveränität, ihre Mode, die Körperhaltung gelten in Österreich nicht erst seit Donnerstag als Ereignis. Für die einen sind ihre Auftritte ganz und gar erhaben, für ihre Kritiker – auch die gibt es natürlich – eine Spur zu selbstbewusst, ja arrogant. Sie spricht lieber von „gesundem Ehrgeiz“. Den wird Brigitte Bierlein brauchen im nun aufziehenden Wahlkampf – es hat sich einiges aufgestaut in Österreich.

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