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Politikerin: Revolution mit Prothese

Politikerin

Revolution mit Prothese

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    Bricht Tabus: die türkische Abgeordnete Safak Pavey.
    Bricht Tabus: die türkische Abgeordnete Safak Pavey. Foto: dapd

    Immer wenn die türkische Parlamentsabgeordnete Safak Pavey in den letzten Monaten das Plenum in Ankara betrat, erregte sie Aufsehen. Seit den Wahlen im Juni vertritt die 35-Jährige einen Istanbuler Wahlkreis für die säkularistische Oppositionspartei CHP. Eine junge und weltgewandte Politikerin wie sie kann die überalterte CHP gut gebrauchen. Doch das war nicht der Grund dafür, dass Pavey die Blicke auf sich zog. Der Grund war ihre äußere Erscheinung: Pavey ist arm- und beinamputiert. Und genau das ließ sie jetzt zur Schlüsselfigur in einer kleinen Revolution im Parlament werden.

    Trotz ihrer Jugend kennt sich Pavey mit der Politik auch auf internationaler Ebene bestens aus. Sie studierte in Zürich und London, arbeitete lange für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und spricht mehrere Fremdsprachen, darunter Deutsch, Arabisch und Persisch. Sie schrieb Bücher und reiste um die Welt. Und das alles als Schwerbehinderte.

    Zwischen Bahnsteigkante und Zug geraten

    Im Mai 1996 geriet sie in Zürich zwischen Bahnsteigkante und einen abfahrenden Zug und verlor ihr linkes Bein und ihren linken Arm. Seither weiß sie, wie schwer das Leben für Behinderte in der Türkei ist. Doch sie will kämpfen. Im Wahlkampf bezeichnete sich Pavey als „aktive Bürgerin“, die etwas bewegen wolle.

    Das zeigte sich besonders bei ihren Auftritten im Parlament, wo weibliche Abgeordnete bisher stets Röcke tragen mussten. Seit langem wehrten sich Politikerinnen gegen diese Regelung und dagegen, dass die Männer ihnen auf den Treppen unter die Röcke schielen konnten. Die Männermehrheit im Parlament blockte alle Reformvorschläge ab.

    Die Probleme Behinderter sichtbar machen

    Paveys Ankunft im Plenum änderte das. Mit selbstbewusstem Lächeln und kniefreiem Rock ging sie zu ihrem Sitz und zum Rednerpult – wobei ihr Rock den Blick auf ihr gesundes rechtes Bein und eine futuristisch anmutende Prothese freigab. Listig rührte Pavey damit nicht nur am Hosenverbot, sondern auch an einem anderen Tabu: Behinderte sind in der türkischen Gesellschaft meist unsichtbar, doch Pavey war es demonstrativ nicht. Die Stimmung kippte, das Hosenverbot wurde jetzt aufgehoben.

    „Wenn meine Prothese daran einen Anteil hatte, dann bin ich froh“, sagte Pavey vor Journalisten. Ihr Kampf für die Behinderten hat aber gerade erst begonnen. Zu ihrer Pressekonferenz brachte sie eine Gebärdendolmetscherin mit und forderte, das Parlament solle die Hilfe für Hörbehinderte generell einführen. Und Pavey machte deutlich, dass die Hosenfreiheit nicht bedeutet, dass sie ihre eigene Behinderung künftig verstecken will: Vor der Presse trug sie einen kurzen Rock.

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