Mateusz Morawiecki wirkt wie im politischen Rausch. Kaum ein Tag vergeht, an dem der polnische Premier die Eskalationsspirale im Streit mit der EU nicht weiterdrehen würde. Anfangs warf er der Brüsseler Kommission im Ringen um die Rechtsstaatlichkeit „Erpressung“ vor. Zuletzt sprach er sogar vom „Weltkrieg“, den Brüssel anzettele. Damit spielte er auf drohende Finanzsanktionen der EU an. Schon vor dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der eine Millionenstrafe gegen Polen verhängte, warnte Morawiecki: „Wir sind bereit, alle zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen.“ Sprich: Die rechtsnationale PiS-Regierung könnte ihr Veto gegen zentrale EU-Entscheidungen einlegen.
Ganz oben auf der Liste steht der „Green Deal“. Mit dem Programm will die Brüsseler Kommission die EU bis 2050 klimaneutral machen. Vieles geht dabei nur einstimmig. Für die EU ist das äußerst unangenehm, kurz vor der Weltklimakonferenz in Glasgow.
Polen ist einer der großen Klimasünder in der EU
Zumal es in Polen bei den Treibhausgasen enormes Einsparpotenzial gibt. Das traditionelle Kohle-Land ist die sechstgrößte Volkswirtschaft der EU. Und mit rund 390 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten, die Klimaschäden messbar machen, liegt Polen hinter Deutschland (810), Frankreich (436) und Italien (418) auf Platz vier der „Klimasünder“.
Morawieckis Druckpotenzial scheint also beachtlich zu sein. Allerdings sprechen regierungskritische Kommentatoren in Polen von „potenzieller Selbstschädigung“. Der Publizist Marcin Zaborowski formuliert es so: „Das Argument der PiS funktioniert nach dem Prinzip Trotz. Um meiner Mutter eins auszuwischen, lasse ich meine Ohren erfrieren: Das ist die Devise. Fakt ist, dass Polen einer der größten Luftverschmutzer in der EU ist. Und das treibt keineswegs nur die Opposition um, sondern alle Menschen im Land, auch die Wählerschaft der PiS.“
Tatsächlich schien Morawiecki das eingesehen zu haben. Er schuf schon 2019 ein Klimaministerium – lange bevor die Idee in Berlin zum Gegenstand von Koalitionsgesprächen werden konnte. In der Folge ließ der parteilose Ressortchef Michal Kurtyka kaum eine Gelegenheit aus, Polens Fortschritte beim Klimaschutz werbewirksam herauszustreichen. Auf einem internationalen Wirtschafsforum verwies er auf einen Boom bei der Fotovoltaik. In Polen sei hier der Umsatz „innerhalb eines Jahres aus dem Nichts auf zehn Milliarden Euro in die Höhe geschnellt“. Kurtyka ergänzte: „Polen ist der drittgrößte Markt für Wärmepumpen in Europa.“
Doch damit nicht genug. Auf Twitter berichtete der 48-Jährige zuletzt von einem weiteren Rekordwert. Noch nie seien im Rahmen des Regierungsprogramms „Saubere Luft“ so viele Anträge eingegangen wie Anfang Oktober. Der Aktionsplan sieht den Austausch alter Öl-, Gas- und Kohleheizungen gegen moderne klimaneutrale Anlagen vor. In Polen gilt dieser Umbau als extrem wichtig. Smogalarm in den Wintermonaten gehörte in den vergangenen Jahren zum Alltag in vielen Städten.
Polnische Regierung hat eine Milliarde Euro für das Programm "Saubere Luft" bereitgestellt
Inzwischen hat die Regierung mehr als eine Milliarde Euro für das Programm „Saubere Luft“ bereitgestellt. Vielleicht jedoch war das zu viel des Guten. Kurtyka jedenfalls musste am Mittwoch im Zuge einer Kabinettsumbildung seinen Hut nehmen. Nachfolgerin im Amt ist Anna Moskwa, die zuvor Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium war.
Ob das eine Richtungsentscheidung war, bleibt abzuwarten. Sicher dagegen ist: Nirgendwo sonst in Europa ist die Sehnsucht nach einer ökologischen Wende so groß wie in Polen. Das zumindest war 2020 das Ergebnis einer internationalen Studie zum „grünen Potenzial“ in der EU. Demnach halten vier von fünf Befragten in Polen den Einsatz erneuerbarer Energien für die beste Möglichkeit, den Klimawandel zu bremsen. Das war der absolute Spitzenwert.
Deutschland rangierte mit 63 Prozent deutlich dahinter. Und während in der Bundesrepublik nur gut jeder Dritte die E-Mobilität für einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz hielt, waren es jenseits der Oder doppelt so viele Menschen.