Monatelang hatte die Europäische Kommission Warnungen nach Polen geschickt. Ende vergangener Woche platzte Helena Dalli, der für Gleichstellung verantwortlichen Kommissarin, dann der Kragen. Die 57-jährige Sozialdemokratin aus Malta strich sechs polnischen Gemeinden EU-Zuschüsse zwischen 5000 und 25.000 Euro. Der Grund: Die Kommunen hatten sich - wie fast 50 andere zuvor auch - zu LGBT-freien Zonen erklärt. LGBT steht für „Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender“, also lesbische, schwule, bisexuelle sowie transsexuelle/transgender Menschen.
„Es liegt in meiner Verantwortung sicherzustellen, dass die Werte der EU bei all unserer Arbeit und bei allen EU-Fonds respektiert werden“, begründete Dalli ihre Entscheidung. „Es ist unsere Pflicht, die europäischen Bürger vor Diskriminierung zu schützen.“ Damit Gerüchte, es könnte sich um den Alleingang einer allzu ehrgeizigen Politikerin handeln, erst gar nicht aufkommen konnten, meldete sich postwendend auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu Wort: „Unsere Verträge stellen sicher, dass alle Personen in Europa die Freiheit haben zu sein, wer sie sind, zu leben, wo sie möchten, zu lieben, wen sie möchten, und so viel Ehrgeiz zu entwickeln, wie sie wollen.“ Die Gemeinschaft werde den Kampf für die Gleichstellung aller Menschen weiterführen.
EU-Zuschüsse: Die Summen sind gering, die Symbolik umso wichtiger
Die Förderbeträge mögen im Vergleich zu sonstigen Subventionen aus Brüssel minimal sein. Doch das Symbol fiel umso deutlicher aus. Denn zum ersten Mal stoppte die EU-Behörde Geld wegen solcher Vertragsverstöße. Lange genug zugesehen hatte sie nämlich: Seit 2019 gewann die Anti-LGBT-Propaganda in Polen immer mehr an Fahrt. Inzwischen haben sich über 100 Gemeinden, Landkreise und Verwaltungsbezirke entweder diesem Appell oder der „Charta der Familienrechte“ angeschlossen. Fast ein Drittel des Landes macht mehr oder weniger offen gegen Schwule und Lesben Stimmung.
Zwar erwähnt die Familienrechts-Charta den Hass gegen LGBT nicht ausdrücklich, fordert aber den „Schutz der Ehe, die eine Vereinigung von Mann und Frau“ ist, und stellt explizit fest, dass öffentliche Zuschüsse nicht für „Projekte ausgegeben werden sollen, die die verfassungsmäßige Identität der Ehe untergraben“. Es ist eine deutliche Ausgrenzung Homosexueller.
Jetzt geht es um die Konvention zum Schutz von Frauen gegen Gewalt
In Brüssel rechnet man mit dem nächsten Rückschritt in Polen: Premier Mateusz Morawiecki von der rechtsnationalen PiS-Partei bereitet offenbar einen Ausstieg aus der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen vor. Sie soll als mit der Landesverfassung unvereinbar erklärt werden. Schon vor dem EU-Erlass hatte Justizminister Zbigniew Ziobro die Kürzung der Zuwendungen als „illegalen Druck“ und „rechtswidrige Handlung“ bezeichnet. Magdalena Marszalek, Bürgermeisterin der Gemeinde Tuchow, die von den Streichungen betroffen ist, sagte im polnischen Fernsehen, es gehe nicht nur um 18.000 Euro. „Aber diesen Imageverlust kann man nicht berechnen.“
Inzwischen haben dutzende Städte und Gemeinden aus anderen Teilen Europas Konsequenzen gezogen und Partnerschaften mit LGBT-freien Kommunen auf Eis gelegt oder beendet. Zuletzt kündigte die niederländische Stadt Nieuwegein, die sich selbst als „Regenbogenstadt“ versteht, den Partnern in Pulawy die Freundschaft auf. Auch in Deutschland haben viele Kommunen Konsequenzen gezogen und Städtepartnerschaften ausgesetzt.
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