Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Piraten: "Bullshit-Bingo" bei Parteitag in Neumünster

Politik

Piraten: "Bullshit-Bingo" bei Parteitag in Neumünster

    • |
    Piraten-Parteitag in Neumünster: In den Holstenhallen in Neumünster laufen am Wochenende die Laptops heiß. Eine Woche vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein debattieren zwei Tage lang mehr als 2500 Mitglieder der Piratenpartei.
    Piraten-Parteitag in Neumünster: In den Holstenhallen in Neumünster laufen am Wochenende die Laptops heiß. Eine Woche vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein debattieren zwei Tage lang mehr als 2500 Mitglieder der Piratenpartei. Foto: dpa

    Piraten-Parteitag in Neumünster: In den Holstenhallen in Piratenpartei. Die vor erst sechs Jahren gegründete Partei sonnt sich derzeit im Erfolg mehrerer Wahlsiege und zweistelliger Umfragewerte.

    Piraten: Die Piratentruppe schwillt an

    Andererseits kämpft die binnen kurzem auf mehr als 25.000 Mitglieder angeschwollene Piratentruppe mit organisatorischen Problemen - und mit einer Debatte um rechtsextreme Umtriebe in den eigenen Reihen. Seit sie in Berlin und im Saarland in die Landtage einzogen, können sich die Piraten des riesigen öffentlichen Interesses kaum erwehren. Vorstandsmitglieder wie Parteichef Sebastian Nerz und die scheidende Geschäftsführerin Marina Weisband geben ein Interview nach dem anderen.

    Piratenpartei: Künftige Organisation im Mittelpunkt

    Am Donnerstag wurde aus den Reihen der Spitzen-Piraten die Forderung laut, die Vorstände für ihre bislang ehrenamtliche Tätigkeit zu entlohnen, weil diese kaum noch Zeit fänden für ihre richtigen Jobs. Ein Punkt, der auf dem Parteitag für Streit sorgen könnte. Die künftige Organisation der Piratenpartei soll in Neumünster im Mittelpunkt stehen: Die Arbeit habe sich im letzten Jahr "radikal" verändert, schreibt Nerz in seinem Grußwort an die Parteitagsteilnehmer.

    Satzungsänderungen seien "vielleicht nicht spannend", aber bisweilen notwendig. Unter anderem geht es um eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge von derzeit 35 auf maximal 72 Euro jährlich: die Piraten sind knapp bei Kasse, und die Zuwendungen über die Parteienfinanzierung würden sich bei mehr Beitragseinnahmen erhöhen. Auch der Bundesvorstand will sich neu formieren: Um die derzeit sieben Jobs haben sich 42 Piraten beworben. Mit Nerz konkurrieren neun Mitbewerber um den Kapitänsrang.

    Piraten und Rechtsextremismus-Vorwürfe

    Als aussichtsreicher Gegner des 28-jährigen Parteichefs gilt der 40-jährige Bernd Schlömer, der als Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium einen für Piraten ungewöhnlichen Job hat. Offen ist, wieviel Zeit noch für die Programmdebatte bleibt. Mehr als 190 Programmanträge lagen am Donnerstag vor - darunter ist auch ein Positionspapier, nach dem sich die Piraten klar gegen "nationalsozialistisches, antisemitisches und rassistisches Gedankengut" in ihren Reihen wenden sollen.

    Dem Vernehmen nach gibt es vor allem an der Parteispitze ein Interesse, mit einer klaren Stellungnahme die leidige Debatte zum Umgang mit rechten Strömungen wieder einzufangen und Entgleisungen wie den bizarren NSDAP-Vergleich des Berliner Abgeordneten Martin Delius vergessen zu machen. Die Bürger indes scheinen den rechtsextremen Ausfällen keine allzu große Bedeutung beizumessen: Nach einer Umfrage für "Zeit Online" glaubt noch nicht einmal ein Viertel von mehr als tausend Befragten, dass die Piraten ein Rechtsextremismus-Problem hätten.

    Piraten: Bullshit-Bingo in Neumünster

    Ob das Thema am Wochenende überhaupt erörtert wird, entscheiden die Parteitagsteilnehmer ganz nach Piratenart erst vor Ort - digital mithilfe der Umfrage-Software "Lime Survey". Debattiert wird nicht nur im Plenum: In der Halle werden Twitter-Diskussionen zu einzelnen Themen an die Wände projiziert, Anträge können online in der "Antragsfabrik" bearbeitet werden. Im sogenannten Bullshit-Bingo streichen die Piraten statt der üblichen Zahlen altbekannte Phrasen und Insiderwitze aus, die auf dem Podium fallen. Ein bisschen Spaß muss eben sein. (afp, AZ)

    Die Ziele der Piratenpartei

    "Mehr Demokratie wagen!" ist nach eigenen Angaben ein Leitgedanke der Piraten. "Unsere innerparteilichen Strukturen sind basisdemokratisch. Auch gesellschaftlich wollen wir Veränderungen hin zu mehr Mitbestimmung und Bürgerbeteiligung erreichen."

    "Die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation sind aus der modernen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken und müssen auch durch staatliches Handeln sichergestellt und sogar gefördert werden", heißt es zum Thema digitale Gesellschaft.

    Zum Thema Umwelt: "Die Piratenpartei steht für Nachhaltigkeit. Deshalb wollen wir so handeln, dass auch in Zukunft die Grundlagen für eine würdige Existenz in Freiheit vorhanden sind. Voraussetzung dafür ist ein transparenter und verantwortungsvoller Umgang mit den natürlichen Ressourcen."

    Die Forderung einer transparenten Politik statt eines gläsernen Bürgers ist nach eigener Aussage Kernbestandteil der politischen Arbeit der Piraten. "Einzig die Piratenpartei handelt jedoch auch entsprechend: Vorstandssitzungen, Fraktionssitzungen oder auch Kontostände der Gliederungen sind prinzipiell öffentlich", schreibt die Partei auf ihrer Internetseite.

    Der freie Zugang zu Bildung zählt zu den Gründungsthemen der Piraten: "Im Unterschied zu den etablierten Parteien wollen wir den Prozess des Lernens jedoch an die individuellen Fähigkeiten anpassen." Das Motto der Piraten lautet: "Lernziele statt Lehrpläne!"

    Patente auf Software und Gene lehnt die Partei ab: "Im Wandel vom Industriezeitalter zum Informationszeitalter entwickeln sich die weltweit herrschenden Patentregelungen teilweise vom Innovationsanreiz zum Innovationshemmnis."

    Drogenpolitik müsste nach Ansicht der Piraten eigentlich "Suchtvermeidungspolitik" heißen. Ihr Ansatz ist, durch die Legalisierung von Drogen zu einem verantwortungsvollem Umgang mit Rauschmitteln zu gelangen. Die gegenwärtige Praxis sei bestimmt durch Ignoranz medizinischer und gesellschaftlicher Fakten. Sie trage dem Ziel der Suchtvermeidung keine Rechnung und sei gescheitert.

    Die Piratenpartei ist davon überzeugt, dass ein fahrscheinfreier ÖPNV nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für die Wirtschaft langfristig einen Gewinn darstellt. Sie fordert eine Machbarkeitsanalyse.

    Gefordert wird auch eine Reform des Urheberrechts: "Die derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen im Bereich des Urheberrechts beschränken das Potential der aktuellen Entwicklung, da sie auf einem veralteten Verständnis von so genanntem ´geistigem Eigentum` basieren, welches der angestrebten Wissens- oder Informationsgesellschaft entgegen steht."

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden