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Pegida: Wer verbirgt sich hinter Pegida? Ein Besuch in Dresden

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Wer verbirgt sich hinter Pegida? Ein Besuch in Dresden

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    Montagabend feierte Pegida sein einjähriges Bestehen am Dresdner Theaterplatz. Ein Jahr nach Gründung der Bewegung ist die Konfrontation größer denn je.
    Montagabend feierte Pegida sein einjähriges Bestehen am Dresdner Theaterplatz. Ein Jahr nach Gründung der Bewegung ist die Konfrontation größer denn je. Foto: Matthias Hiekel/Archiv (dpa)

    Zum ersten Geburtstag knallt es. Die Touristen mit ihren Fotoapparaten sind zu diesem Zeitpunkt längst vom Dresdener Theaterplatz verschwunden. Nun stehen dort Polizisten, ganz in Schwarz, mit Pistolen und Schlagstöcken, und zur Not kann man auch noch die Hunde holen. Rund um den Platz explodieren Böller, gellen Pfiffe und Schreie. Aber, Entwarnung, es ist nur eine Geburtstagsfeier.

    Montagabend, Pegida lädt zum Einjährigen ein – und Zehntausende sind gekommen. Ihnen stellen sich auch zehntausende Gegner entgegen. Nirgendwo anders folgen dem Ruf von

    Pegida: Welche Menschen werden angezogen?

    Einer, der Bescheid weiß, steht am Montagabend mittendrin. Nicht am Rand des Platzes, wo es knallt. Sondern auf dem Platz, wo man bei Pegida unter sich ist. Hans Vorländer, 61 Jahre alt, steht neben Rentnern mit Gehstock, Müttern mit Kinderwagen und jungen Männern in Kapuzenpullis.

    Vorländer, ein kleiner Mann mit grauem Bart und runder Brille, erforscht seit einem knappen Jahr das Phänomen Pegida, das ausgesprochen „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ heißt. Deswegen wird der Professor von der TU Dresden auf dem Theaterplatz erkannt und angesprochen. Aber nicht angefeindet, wie es manchmal passiert. Mit wem hat Deutschland es hier also zu tun? Steht Pegida nun für die besorgten Bürger, wie sie sich gerne selbst nennen – oder für fremdenfeindliches „Pack“, wie Vizekanzler Sigmar Gabriel es formulierte?

    Vorländer spricht einen jungen Mann an, vielleicht 25 Jahre alt. Er trägt kurze Haare und in der Hand eine Fahne, mit der er die Separatisten in der Ukraine unterstützen will. „Das sind unsere Brüder“, sagt der Mann, der aus dem Dresdener Umland kommt. Woanders ragt ein Schild aus der Menge, auf dem der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán verehrt wird. Orbán, also jener Mann, der sein Land mit Zäunen umschließt, damit es keine Flüchtlinge aufnehmen muss. Eine Rentnerin hält ein Plakat gegen den Kapitalismus in die Luft.

    Anfang des Jahres skizzierte Vorländer aufgrund einer Umfrage den „typischen Pegida-Demonstranten“: Er stammt aus der Mittelschicht, hat eine gute Ausbildung und ist berufstätig, verfügt über ein überdurchschnittlich hohes Einkommen innerhalb Sachsens, ist 48 Jahre alt und stammt aus Dresden oder Sachsen. Kritiker bezweifeln die Aussagekraft der Umfrage, aber auch Vorländer ist klar: Den Pegida-Anhänger „gibt es nicht“. Und manchmal scheint selbst er ein wenig ratlos bei der Frage, wer sich der Bewegung eigentlich alles zurechnet. Pegida, das ist ein Sammelbecken für Alte, Junge, Arme, Reiche, Rechtsradikale. Alles Nazis? Die Bundesregierung nennt die Pegida-Bewegung „in Teilen rechtsradikal“. Vorländer sagt: „Darauf darf man es nicht reduzieren.“

    Aber es gibt so etwas wie ein Muster. Ein Demonstrant, etwa 40 Jahre alt, legt den Arm um Vorländer. Der selbstständige Handwerker sagt, man sehe Vorländer seine Intelligenz an, und lächelt. Aber eines müsse er doch klarstellen: „Der Zug ist abgefahren.“ Die Flüchtlinge sind zu viele, das Geld im öffentlichen Haushalt ist zu knapp.

    Der Handwerker ist ein gutes Beispiel dafür, welche Menschen Pegida anzieht. Viele von ihnen sind selbstständig, sagt Vorländer. Handwerker, Sicherheitsleute, Ingenieure. Menschen, die sich in den vergangenen Jahren etwas aufgebaut haben, durch „harte Arbeit“. Jetzt fürchten sie, dass alles einstürzt. Außerdem stecke in vielen Bürgern noch das Gedankengut aus der DDR, das sich stets gegen den Kapitalismus und den Westen richtete. Hinzu kommt die schlechte Infrastruktur, gerade im Osten, und die Angst vor dem Unbekannten, den Flüchtlingen. „Es sind diffuse Gedanken“, sagt Vorländer. Und Pegida bietet ihnen eine Plattform.

    Ein Dresdner Phänomen?

    Dabei war die Bewegung fast schon tot. Immer weniger Menschen trafen sich zu den Kundgebungen, nachdem sich Pegida im Februar spaltete. Im Sommer blieb eine kleine Gruppe wütender Bürger übrig, die weitermachte. Sie luden den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders ein. Pegida aber war so unbedeutend geworden, dass dem Star in der internationalen rechten Szene deutlich weniger Menschen zuhörten als erwartet.

    Jetzt kommt Pegida zurück. Der Grund: natürlich die Flüchtlingskrise, sagt Vorländer. Allein in diesem Jahr sind bislang 800 000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Viele Pegida-Anhänger halten die Politik der Bundesregierung deswegen für gescheitert. Da ist zum Beispiel ein Mann, Mitte 50, der einen Tennisschläger-großen Galgen in der Hand hält. Daran baumelt eine kleine Holzkugel. Erst vor einer Woche hatte ein Demonstrant einen Galgen für Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel bei sich getragen. Staatsanwälte ermitteln nun gegen ihn – am Montagabend aber amüsieren sich zwei Männer über die Bastelarbeit, sie finden die Idee „gut“.

    Manche Pegida-Anhänger kommen jeweils am Montag aus ganz Deutschland nach Dresden, manche sogar aus dem Ausland. Eine Dresdenerin, die Stunden vor der Kundgebung über den Platz schlendert, sagt: „Heute Abend steht Dresden wieder in den Schlagzeilen. Dabei kommen viele aus Österreich, der Schweiz und den Niederlanden.“ Bei der Pegida-Demo tragen einige die Flaggen aus ihrer Heimat bei sich. Auch woanders gibt es noch Ableger von Pegida: In Thüringen gingen am Montag 2000 Menschen auf die Straße, in München 250.

    Und trotzdem ist Pegida nur in Dresden eine Macht. Bis zu 20 000 Menschen kamen am Montag, ausnahmsweise gab es diesmal keinen „Abendspaziergang“ durch die Stadt, wie es die Organisatoren nennen. Warum ist die Bewegung ausgerechnet hier so stark – und warum sind die Gegner so leise?

    „Die einen kriegen ihren Hintern nicht hoch“, sagt Vorländer. „Die hier kriegen ihn hoch“, fährt er fort und deutet auf die Menschenmassen. Am Montagabend aber mobilisieren sich die Gegner zu Tausenden. Bis zu 20 000 Menschen sind in verschiedenen Gruppen an den Rand der Pegida-Demo gekommen. Sie schreien „Nazis raus“ und „Schämt euch“. An der Semperoper leuchtet eine Botschaft auf einer Leinwand: „Wir sind kein Bühnenbild für Fremdenhass.“

    An den Rändern der Kundgebung prallen immer wieder Pegida-Anhänger und -Gegner aufeinander. „Helm auf“, ruft ein Polizist, wieder Böllerschüsse, Pfiffe. Vorländer schaut sich um, nennt die Situation „brisant“. Unter den Pegida-Anhängern sind an diesem Abend besonders viele „Schwarz-Gewandete“, einige davon gewaltbereit oder zumindest mit Symbolen auf ihren Kapuzenpullis, die in der Nazi-Szene verbreitet sind. Und nebenan wirbt ein Schild für die Fotoausstellung „Krieg und Frieden“.

    Zehntausende rufen: „Widerstand! Widerstand! Widerstand!"

    Währenddessen sprechen auf dem Theaterplatz die Leitfiguren des Protests. Die Redner hielten sich bislang mit Hetze zurück. Dann kommt Akif Pirinçci. Der deutsch-türkische Autor spricht von „Umvolkung“ und „Verschwulung“, er warnt in Fäkalsprache vor denen, die er Volksverräter nennt: Politiker und Medien. Und er sagt: „Die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.“ Das ist vielen Pegida-Anhängern zu viel. Sie gehen nach Hause, manche rufen „Aufhören!“, andere applaudieren. Aber Piriniçci spricht noch 20 Minuten weiter. Seit gestern ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf Volksverhetzung. Auch das ist Pegida. Piriniçcis Verlag hat als Reaktion auf seine „inakzeptablen Äußerungen“ seine früheren Bücher gesperrt.

    In den Reden fallen immer wieder die Worte Volk und Familie. Und die „Umkehr des Rassismus-Vorwurfs“ kommt auch immer wieder vor, sagt Vorländer. Die Redner werfen dem Staat Rassismus gegenüber den Deutschen vor, weil er Flüchtlinge ins Land lässt. Auch Lutz Bachmann bedient sich dieser Rhetorik. Bachmann, 42 Jahre alt, ist nicht nur der Kopf von Pegida – er ist ihre Schlüsselfigur. „Ohne Bachmann würde das hier nicht funktionieren. Er hält den Laden zusammen“, sagt Vorländer. Bachmann ist nicht frei von Widersprüchen: Selbst vorbestraft, beleidigte er kriminelle Ausländer als „Viehzeug“ und „Dreckspack“.

    Nun steht er auf der Bühne. Ein Mann, den viele als Charismatiker sähen, sagt Vorländer. Trotz der Vorstrafen, trotz mancher Hetze. Bachmann nennt Kanzlerin Merkel eine „Diktatorin“, er verkündet, „Dresden ist das Zentrum des Widerstands“. Und Zehntausende rufen: „Widerstand! Widerstand! Widerstand!“ Für Pegida, aber auch für ihn fahren viele Menschen hunderte Kilometer weit. „Es ist ein Ritual“, sagt Vorländer. Für manche ist es auch eine Mischung aus Volksfest und Familienausflug. Jeden Montag. „Pegida, das ist eine eingeführte Marke“, sagt Vorländer.

    Es gibt Straßenschlachten zwischen Pegida-Anhängern, Gegendemonstranten und einem Teil der 2000 Polizisten. Professor Vorländer verabschiedet sich. Er rät, bald von hier zu verschwinden, bevor die Situation eskaliert. Die Spuren in der Stadt sollten später von diesem Abend erzählen – Spuren aus Pflastersteinen und Scherben.

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