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Parteitag der Grünen: Claudia Roth macht Platz für Simone Peter

Parteitag der Grünen

Claudia Roth macht Platz für Simone Peter

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    Adieu und Danke: Claudia Roth und Cem Özdemir beim großen Parteitag nach der Bundestagswahl.
    Adieu und Danke: Claudia Roth und Cem Özdemir beim großen Parteitag nach der Bundestagswahl. Foto: Bernd von Jutrczenka (dpa)

    Noch einmal gehört die Bühne Claudia Roth ganz allein. Noch einmal zeigt sie allen, wer sie ist und was sie kann. Noch einmal rockt sie eine Halle und reißt die Delegierten aus ihrer Lethargie. Und noch einmal genießt sie den Jubel und die Beifallsstürme, auch wenn sie am Ende wieder einmal kräftig schlucken und gegen die Tränen ankämpfen muss.

    Claudia Roth hat ihre Gefühle im Griff

    Doch Claudia Roth mag nicht weinen, sie, der so oft vorgeworfen wurde, ihre Gefühle nicht im Griff zu haben, bekämpft mühsam ihre Emotionen und tritt mit einem befreiten Lachen im Gesicht von der Bühne ab, um in der dritten Reihe der bayerischen Delegierten bei ihrem Kreisverband Augsburg Platz zu nehmen, gefeiert von den eigenen Parteifreunden. „Endlich zu Hause“.

    Roth-Abschied: Der Neuanfang der Grünen nimmt Formen an

    Das ist Claudia Roth

    Claudia Roth erblickte am 15. Mai 1955 im schwäbischen Ulm das Licht der Welt. Sie wuchs in der Nähe von Memmingen als Tochter einer Lehrerin und eines Zahnarztes auf. Die linksliberale Gesinnung der Eltern hatte erheblichen Einfluss auf ihren Werdegang.

    Nach dem Abitur studierte sie für zwei Semester Theaterwissenschaft in München. Das Landestheater Schwaben stellte sie 1975 als Dramaturgin ein. Anschließend arbeitete Claudia Roth für das städtische Theater in Dortmund und für das Kinder- und Jugendtheater in Unna.

    In Dortmund lernte sie die Kult-Band "Ton, Steine, Scherben" um Frontman Rio Reiser kennen. Von 1982 bis 1985 war Claudia Roth die Managerin der Gruppe. Gleichzeitig lebte sie zusammen mit den Musikern in der Scherben-Kommune in Schleswig-Holstein.

    Schon als Jugendliche engagierte sich Claudia Roth bei den Jungdemokraten. 1985 begann ihre Laufbahn bei den Grünen. Über die taz suchte die Bundestagsfraktion eine Pressesprecherin. Claudia Roth bewarb sich erfolgreich und behielt die Position bis 1989. Anschließend wurde sie ins Europaparlament gewählt.

    In Brüssel setzte sie sich vor allem für die Wahrung der Menschenrechte ein. Insbesondere versuchte sie die Lage der kurdischen Minderheit in der Türkei zu verbessern. Aber auch die Gleichstellung Homosexueller war für Claudia Roth ein zentrales Anliegen.

    1998 wurde Claudia Roth in den Bundestag gewählt. Bis 2001 stand sie dem neu gegründeten Ausschuss für humanitäre Hilfe und Menschenrechte vor. Anschließend übernahm sie für knapp zwei Jahre den Parteivorsitz.

    Nachdem 2003 eine Lockerung der strikten Trennung von Amt und Mandat beschlossen wurde, kandidierte Claudia Roth 2004 erneut für den Parteivorsitz. Sie konnte die Wahl für sich entscheiden und wurde seither immer wieder im Amt bestätigt.

    2004 wurde sie für ihr Engagement als Beauftragte für humanitäre Hilfe und Menschenrechte mit dem Ritterorden der französischen Ehrenlegion ausgezeichnet.

    Claudia Roth ist außerdem Sprecherin des DFB-Umweltbeirates. 2010 hat sie sich erfolgreich für eine klimafaire FIFA Frauen-WM eingesetzt.

    2013 gibt Claudia Roth nach der Wahl ihr Amt als Parteivorsitzende ab und ist seither als Bundestags-Vizepräsidentin in der Politik aktiv.

    Wehmut und Abschiedsstimmung herrschen an diesem Wochenende auf dem Parteitag der Grünen im Berliner „Velodrom“, der gleichzeitig eine tiefe Zäsur und einen Neuanfang in der mittlerweile über 30-jährigen Geschichte der Öko-Partei markiert. In der modernen Radsporthalle im Prenzlauer Berg geht eine Epoche zu Ende – und eine neue soll beginnen.

    Denn nicht nur Claudia Roth tritt ab, die 1985 bei der jungen Grünen-Fraktion im Bonner Bundestag als Pressesprecherin angeheuert hat und, mit einer kurzen Unterbrechung zwischen 2002 und 2004, insgesamt elfeinhalb Jahre lang an der Spitze der Partei stand, so lange wie niemand anderer. Auch die beiden bisherigen Fraktionschefs Jürgen Trittin, Renate Künast und weitere Vorstandsmitglieder werden verabschiedet.

    Bundestagswahl 2013: Die Reaktionen

    "Das ist ein Superergebnis. Wir werden damit verantwortungsvoll und sorgsam umgehen. Feiern dürfen wir heute schon, denn wir haben's toll gemacht." (Bundeskanzlerin Angela Merkel)

    "Der Ball liegt im Spielfeld von Frau Merkel, sie muss sich eine Mehrheit besorgen." (SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück)

    "Das ist eine schwere Stunde für die FDP. Als Spitzenkandidat übernehme ich dafür Verantwortung. Das ist nicht das Ende der Partei. Es wird schwieriger, aber die Arbeit wird weitergehen." (FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle)

    "Wer hätte das 1990 gedacht, dass diese Partei die drittstärkste politische Kraft der Bundesrepublik Deutschland wird. Das haben wir geschafft." (Linke-Spitzenkandidat Gregor Gysi)

    "Das ist bitter, und wir werden uns dieser bitteren Realität gemeinsam stellen müssen." (Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin)

    "CDU und CSU haben phänomenal abgeschnitten." (CSU-Chef Horst Seehofer)

    "Es ist die bitterste, die traurigste Stunde in der Geschichte der Freien Demokratischen Partei." (FDP-Chef Philipp Rösler zum Resultat der Liberalen)

    "Ich kann nur eines sagen: Dass ich bitter enttäuscht bin von diesem Ergebnis. Das ist eine heftige Niederlage." (Grünen-Bundestagsabgeordnete Claudia Roth)

    "Deutschland ist mit der AfD blau geworden. Wir sind aus der politischen Szene in Deutschland nicht mehr wegzudenken." (AfD-Vizechefin Frauke Petry über ihre Partei)

    "Die Deutschen wollen, dass sie vier Jahre weiter regiert. Das Ergebnis ist in erster Linie Anerkennung für die Arbeit von Angela Merkel." (CDU-Vize Armin Laschet)

    "Wir wollen derzeit nach dem Ausgang der Bundestagswahl keine Koalitionsaussagen treffen. Das wird nun zunächst in den Gremien besprochen. Wir haben uns sicherlich einen höheren Zuwachs gewünscht. Nun ist Angela Merkel gefragt." (SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles)

    "Wir hatten mehr erhofft. Das ist kein Auftrag der Wähler, um Gespräche über die Regierung zu führen. Der Ball liegt jetzt bei Angela Merkel. Sie hat die entsprechenden Gespräche zu führen." (SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann)

    "Wir haben einen klaren Auftrag der Wähler, die Regierung zu bilden. Das Ergebnis zeite, dass die Wähler wollten, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt. Ein Ergebnis von mehr als 40 Prozent hattee man für eine Volkspartei schon gar nicht mehr für erreichbar gehalten." (Unionsfraktionschef Volker Kauder)

    "Das Ergebnis ist zutiefst enttäuschend. Jetzt geht es nicht um Koalitionsspekulation wie etwa Schwarz-Grün. Zunächst ist eine Fehleranalyse nötig."(Grünen-Bundestagsabgeordneter Omid Nouripour)

    "Wir hätten uns deutlich mehr Schwung erhofft für Bayern" (SPD-Landesvorsitzender Florian Pronold)

    "Das ist die bitterste Stunde für die Liberalen seit vielen Jahrzehnten. Wir haben in der Öffentlichkeit nicht überzeugt. Es gibt ausreichend liberales Wählepotenzial. Das gilt es jetzt abzurufen". (FDP-Vorsitzender Nordrhein-Westfalen Christian Lindner)

    "Es gibt mehr Kommunisten in Deutschland als Liberale. Das macht mir sehr große Sorgen." (FDP-Entwicklungsminister Dirk Niebel)

    "Ich finde das eine beachtliche Leistung, dass man mit fünf Ministern der größten Bundestagsfraktion aller Zeiten innerhalb von vier Jahren die FDP von 14,6 auf 5 Prozent oder darunter bringt. Eine ordentliche Wahlkampfstrategie mit einem souveränen Auftreten sieht anders aus. (Kieler FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki)

    "Man wählt niemanden, der sich zum Wurm macht. Das Einzige, was die FDP noch hätte schlimmer machen können, wäre gewesen, Hundewelpen aufs Plakat zu machen mit der Aufforderung: 'Bitte, bitte, wählt uns.'" (Vorsitzender der Jungen Liberalen Lasse Becker)

    "Es gilt der alte Grundsatz, dass alle demokratischen Parteien untereinander auch gesprächsbereit sein sollten. Es ist aber klar, dass sich die politischen Positionen von Union und Grünen im Wahlkampf sehr weit auseinanderbewegt haben." (CDU-Vorstandsmitglied Annegret Kramp-Karrenbauer)

    "Ich hatte mir ein besseres Ergebnis gewünscht. Wir müssen überlegen, wie wir unsere Positionen einfacher, verständlicher und klarer an die Bürger bringen." (Piraten-Chef Bernd Schlömer)

    Vor Claudia Roth aber verneigen sich die Delegierten geradezu, zollen ihr Respekt für die geleistete Arbeit und ahnen gleichzeitig, wie schwer es die Grünen ohne sie haben werden. „Ohne Claudia Roth wird sich diese Partei erfinden müssen“, sagt Jürgen Trittin, der Fundi. „Man kann sich die Partei nicht wirklich ohne sie vorstellen“, sagt Winfried Kretschmann, der Realo.

    Claudia Roth: "müssen grüne Geschichte erzählen"

    Und Roth zieht noch einmal alle Register. Leidenschaftlich und engagiert schwört sie die Partei in ihrer Abschiedsrede auf die Herausforderungen der Zukunft ein. „Wir müssen unsere Politik wieder mit mehr Leben füllen, mit mehr Emotionen“, wieder „die grüne Geschichte erzählen“. Nicht als Anti-Parteien-Partei, wohl aber als Alternative im Parteiensystem müssten die Grünen wieder erkennbar sein. „Wir sind modern und nicht traditionalistisch links, wir sind die Partei der Vielfalt, wir sind cool, bunt – und vielleicht auch schrill.“ Da tobt der Saal.

    Nach diesem furiosen Abgang haben es Simone Peter und Cem Özdemir schwer, aus dem langen Schatten der scheidenden Vorsitzenden zu treten und die Delegierten begeistern zu können. Die 48-jährige

    Cem Özdemir lehnt Rücktritt ab

    Das ist Cem Özdemir

    Cem Özdemir ist Bundesvorsitzender der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Frau ist Journalistin und stammt ursprünglich aus Argentinien.

    Cem Özdemir wurde am 21. Dezember 1965 im baden-württembergischen Urach geboren. Sein Vater, der einer türkischen Minderheit angehörte, kam einst als Gastarbeiter nach Deutschland.

    Nachdem er die Mittlere Reife erworben hatte, begann Cem Özdemir eine Ausbildung als Erzieher. Anschließend studierte er Sozialpädagogik an der Evangelischen Fachhochschule für Sozialwesen in Reutlingen.

    1981 ist Cem Özdemir den Grünen beigetreten. Von 1989 bis 1994 gehörte er zum baden-württembergischen Landesvorstand der Partei. 1994 wurde er dann als erster Abgeordneter mit türkischem Migrationshintergrund in den Deutschen Bundestag gewählt.

    Cem Özdemir war innenpolitischer Sprecher der Fraktion und reformierte das Staatsangehörigkeitsrecht. Überhaupt hat sich Özdemir immer für eine bessere Integration ausländischer Mitbürger eingesetzt. Die türkische Universität Tunceli hat ihm 2009 die Ehrendoktorwürde für seinen Einsatz um eine Verständigung der Kulturen verliehen.

    Ab 2004 war er für einige Jahre Abgeordneter im Europäischen Parlament (Die Grünen/Freie Europäische Allianz). Bis 2009 wirkte er dort unter anderem als außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion und im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten.

    Seit November 2008 bildet Cem Özdemir zusammen mit Claudia Roth die Doppelspitze der Grünen. Im Rahmen einer Debatte um den Reformationsbedarf der deutschen Bildungspolitik hat Özdemir vorgeschlagen, in den Schulen auch Türkisch zu unterrichten.

    Cem Özdemirs Anliegen, das interkulturelle Miteinander in Deutschland zu verbessern, spiegelt sich auch in seinen Büchern wider. Titel wie "Currywurst und Döner - Integration in Deutschland" oder seine Autobiographie "Ich bin ein Inländer" machen seine Position deutlich.

    Die Delegierten wählen sie mit mageren 75,91 Prozent, noch schlechter schneidet Cem Özdemir vom Realo-Flügel mit nur 71,41 Prozent ab. Viele Delegierte des linken Lagers verweigern ihm die Zustimmung, da er sich geweigert habe, ebenfalls die Konsequenzen aus dem Wahldebakel zu ziehen und zurückzutreten, die „Fundis“ wollen nicht alleine die Verantwortung für das Wahlergebnis übernehmen.

    Der Schwabe verspricht, zwischen den Flügeln vermitteln zu wollen. „Wir sind eine gemeinsame Partei.“ Gleichwohl macht dieser Parteitag deutlich, wie weit die Flügel in zentralen inhaltlichen Fragen immer noch voneinander entfernt sind. Stundenlang analysieren die Delegierten das für sie enttäuschende Bundestagswahlergebnis. Immer wieder prallen die Gegensätze hart aufeinander.

    Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der immer mehr in die Rolle des Wortführers der „Realos“ schlüpft, und Ex-Fraktionschef Jürgen Trittin tragen ein heftiges indirektes Wortgefecht aus. Die Grünen, bemängelt Kretschmann, seien „den Herausforderungen nicht gerecht geworden“ und hätten ihren grünen Kern vernachlässigt, Trittin verteidigt das Wahlprogramm als „genau und grundsolide“, man hätte es nur anders kommunizieren müssen.

    Die Grünen wollen in alle Richtungen offen sein

    Am Ende sprechen sich die Delegierten dafür aus, zukünftig offen in alle Richtungen zu sein – für schwarz-grüne wie für rot-rot-grüne Bündnisse. Ein Antrag, unverzüglich Koalitionsverhandlungen mit SPD und Linke aufzunehmen, scheitert. Die Grünen richten sich erst einmal auf vier lange Jahre Opposition ein, um sich zu finden und neu aufzustellen. Das wird schwer genug.

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