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Parteitag: Die große Harmonie bei den Grünen

Parteitag

Die große Harmonie bei den Grünen

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    Die Führungsspitze der Grünen: Die Parteivorsitzenden Claudia Roth (2.v.l) und Cem Özdemir (r) und die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Jürgen Trittin, und Katrin Göring-Eckardt.
    Die Führungsspitze der Grünen: Die Parteivorsitzenden Claudia Roth (2.v.l) und Cem Özdemir (r) und die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Jürgen Trittin, und Katrin Göring-Eckardt. Foto: Kay Nietfeld (dpa)

    Sigmar Gabriel weiß, was sich gehört. Als Gast kommt man nicht mit leeren Händen. Und so hat der Niedersachse, der als erster SPD-Chef auf einem Parteitag der Grünen sprechen darf, auch etwas mitgebracht: Zwei Rucksäcke für Claudia Roth und Cem Özdemir, einen roten und einen grünen, ökologisch korrekt gefüllt mit Bio-Limonade und Öko-Bier als Wegzehrung für den gemeinsamen rot-grünen Wahlkampf. Während sich allerdings Özdemir gleich das grüne Stück greift, hält sich die Begeisterung Roths für den Roten in Grenzen, schnell stellt sie ihn am Boden ab.

    Weil aber auch die beiden Grünen-Chefs wissen, was sich gehört, revanchieren sie sich artig – mit einer grünen Kaffeetasse gefüllt mit Blümchen und einem grünen Frosch für Gabriels Töchterchen Marie. Und wenn die kleine Marie mal größer sei und den Frosch küsse, so Özdemir, „dann wird daraus ein grüner Prinz – kann natürlich auch eine grüne Prinzessin sein“. Da muss der SPD-Vorsitzende entspannt lachen, die drei Vorsitzenden Gabriel, Roth und Özdemir fallen sich um den Hals und herzen sich.

    Demonstrativer rot-grüner Schulterschluss

    Das ist das Bild, das von dem dreitägigen Treffen der rund 800 Delegierten im Berliner „Velodrom“ im Bezirk Prenzlauer Berg bleiben soll – ein demonstrativer rot-grüner Schulterschluss, ein herzliches Einvernehmen der beiden Parteien, die „keine Schwesterparteien“ sind, wie es Gabriel zuvor in seiner kämpferischen Rede ausdrückt, weil sie eigene Wurzeln und eigene Werte hätten, die aber entschlossen seien, nach den Wahlen im Herbst eine „Zweierbeziehung“ einzugehen und gemeinsam zu regieren.

    Schon am späten Freitagabend sprechen sich die Delegierten mit großer Mehrheit dafür aus, die Koalitionsaussage zugunsten der SPD ausdrücklich ins Wahlprogramm aufzunehmen, am Samstag besiegeln Claudia Roth und Sigmar Gabriel in ihren Reden den Bund für die Wahl. „Ich setze auf starke Grüne und auf Rot-Grün, weil das die Reformalternative ist“, sagt Roth, die mit ihrem leidenschaftlichen Auftritt einen bis dahin träge vor sich hin plätschernden Parteitag zu wahren Begeisterungsstürmen hinreißt.

    „Wir wuppen das!“ Gabriel („Ich bin jetzt die arme Sau, die nach ihr reden muss.“) lobt im Gegenzug die Grünen als „besondere Partei“, die die Gesellschaft nicht nur geprägt, sondern entscheidend verändert hätten. „Nichts fehlt diesem Land mehr als eine Politik, die sich wieder an Prinzipien orientiert.“ Man wolle nicht, wie es Kanzlerin Angela Merkel formuliert habe, eine „marktfähige Demokratie“, sondern „demokratiefähige Märkte“: „Wir müssen den Kapitalismus zum zweiten Mal bändigen – das wollen und das können in Deutschland nur zwei: Ihr und wir!“ Da kennt der Jubel der Grünen keine Grenzen mehr. Mit seinem famosen Auftritt hat der SPD-Chef die Delegierten, von denen viele schon am Siegeswillen der Sozialdemokraten zweifeln und die Erfolgsaussichten des Kanzlerkandidaten Steinbrück infrage stellen, überzeugt. „Die können ja doch noch kämpfen“, heißt es in den Gängen der Radsporthalle. 

    Das Steuerkonzept hatte für größte Aufregung gesorgt

    Beinahe beiläufig und unaufgeregt, jedenfalls reichlich geräuschlos und geradezu harmonisch räumen die Grünen bereits am frühen Samstagvormittag das umstrittenste Thema ihres Wahlprogramms ab, das im Vorfeld für den meisten Ärger und die größte Aufregung gesorgt hat – ihr Steuerkonzept. Die Warnungen des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, die im Vorfeld für große Aufregung gesorgt haben, verhallen ungehört.

    Im weiten Rund des Velodroms winken die rund 800 Delegierten die Vorlage der Parteiführung durch und sprechen sich ohne Gegenstimme und ohne Enthaltung für die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und eine auf zehn Jahre befristete Vermögensabgabe aus. „Ja, wir Grünen setzen auch auf Steuererhöhungen und sagen das vor der Wahl“, sagt die schleswig-holsteinische Finanzministerin Monika Heinold. „Wählerinnen und Wähler haben keinen Bock mehr auf rosarote Brillen und Schönfärberei.“

    Regelrecht abgestraft wird hingegen der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Als der Realo die Forderung, Leiharbeiter ab dem ersten Tag den gleichen Lohn zu zahlen, zurückweist und sich stattdessen für eine halbjährige Karenzzeit ausspricht, wird er von den Delegierten regelrecht ausgebuht und ausgepfiffen, erst recht, als er an die Basis appelliert, „endlich einmal einen wirtschaftsfreundlichen Beschluss zu fassen“. Da hagelt es wieder Buh-Rufe und Pfiffe für den Tübinger. Deutlich besser ergeht es am Sonntag Winfried Kretschmann. Reumütig streut er sich Asche aufs Haupt und nimmt seine Kritik am Steuerkonzept zurück. Es sei taktisch nicht so klug gewesen, was er gemacht habe, räumt er etwas kleinlaut ein, das Steuerkonzept habe die „richtige Balance“. Nichts soll die grüne Harmonie trüben.

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