Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Parteitag: Auf einmal scheint alles möglich

Parteitag

Auf einmal scheint alles möglich

    • |
    Wo wird das alles enden? Wird der neue Held der SPD, Martin Schulz, tatsächlich Kanzler? Selbst wenn dies geschehen sollte, dürfte es für Würselen noch ein weiter Weg sein, bis die Kleinstadt bei Aachen in einem Atemzug mit London, New York und Paris genannt wird. Die Delegierten des SPD-Sonderparteitags in Berlin jedenfalls haben Sinn für Humor bewiesen.
    Wo wird das alles enden? Wird der neue Held der SPD, Martin Schulz, tatsächlich Kanzler? Selbst wenn dies geschehen sollte, dürfte es für Würselen noch ein weiter Weg sein, bis die Kleinstadt bei Aachen in einem Atemzug mit London, New York und Paris genannt wird. Die Delegierten des SPD-Sonderparteitags in Berlin jedenfalls haben Sinn für Humor bewiesen. Foto: imago

    Minutenlang tost rhythmischer Applaus unter der genieteten Stahlträgerdecke der riesigen Backsteinhalle der Arena Berlin, die optisch keinen Hehl aus ihrer proletarischen Vergangenheit als Omnibus-Betriebshof macht. Die Stimmung erinnert an ein Rockkonzert, doch der frenetische Jubel gilt einem eigentlich unscheinbaren Mann mit Halbglatze, Vollbart und Brille. „Jetzt ist Schulz“ steht es weiß auf rot auf unzähligen Transparenten.

    Die SPD kürt beim Sonderparteitag ihren neuen Parteivorsitzenden mit 605 von 605 gültigen Delegiertenstimmen bei drei ungültigen Stimmen – ein historischer Wert in einer Partei, die für ihre Streitlust bekannt ist. Noch nie hat ein

    Eine abschließende programmatische Rede wolle er nicht halten, erst Ende Juni werde die SPD in Dortmund ihr Programm verabschieden. Schulz versucht, Emotionen zu wecken und es gelingt ihm auch: „Gerechtigkeit, Respekt und Würde“, darum werde sich seine Politik drehen, viele Male fallen diese Schlagworte. Um die „hart arbeitende Mitte“ will er sich kümmern, „die 90 Prozent der Menschen, die sich jeden Tag abrackern und damit unser Land gut machen“. Viele Bürger seien beruflich enorm belastet, müssten sich gleichzeitig um ihre Kinder kümmern und oft noch die eigenen Eltern unterstützen. „Diese Menschen verdienen unsere Unterstützung“, sagt Schulz, er werde als Kanzler in Schulen, Universitäten, Kitas und Pflege investieren. Die SPD wolle für alle Menschen Chancen schaffen, unabhängig von ihrer Herkunft eine gute Bildung und Ausbildung zu bekommen.

    Bildung müsse in Deutschland gebührenfrei sein und zwar von der Kita bis zum Studium – das gelte auch für Meister- und Berufsbildungskurse. Zu mehr Chancengerechtigkeit solle auch ein „Rechtsanspruch auf Plätze an Ganztagsschulen für alle, die es wollen,“ beitragen. Der Bund müsse Schulen bei der Sanierung der Gebäude und auch beim Thema Schulsozialarbeit unterstützen. Schulz weiter: „Familiäre und soziale Probleme landen in den Schulen, dort müssen sie angegangen werden. Das kostet Geld, aber das sind die Investitionen, die wir brauchen.“ Scharf kritisierte er die Unionsparteien, die über Steuersenkungen und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags diskutieren, was zu gewaltigen Mindereinnahmen führe. CDU und CSU planten, den Rüstungsetat zu erhöhen und gleichzeitig die Sozialausgaben zu kürzen. „Sehr gut, dass es dazu nicht kommen wird“, ruft Schulz. In der Arbeitsmarktpolitik fordert er das Recht, von einer Teilzeitstelle auf Vollzeit zurückzukehren. Seinen Vorschlag, das Arbeitslosengeld I unter bestimmten Voraussetzungen bei laufender Weiterbildung bis zu vier Jahre lang zu bezahlen, verteidigt er: „Qualifizierungsmaßnahmen sind kein Frühverrentungsprogramm, sondern angesichts von Facharbeitermangel der einzig richtige Weg.“ Auch die Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachlichen Grund müsse auf den Prüfstand.

    In Sachen Außenpolitik hält der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments ein flammendes Plädoyer für die Völker verbindende Wirkung der Europäischen Union. Und geißelt den „brandgefährlichen Populismus von Trump und Erdogan“ – riesiger Beifall im Saal.

    Fast ebenso viel Begeisterung wie Schulz erntet der Mann, der ihm den Weg geebnet hat. Der scheidende Parteivorsitzende Sigmar Gabriel, während seiner Amtszeit eher ungeliebt, hatte auf eine eigene Kanzlerkandidatur verzichtet. Mit Martin Schulz sei ein Aufbruch möglich, „weil er nicht wie ich für die Große Koalition steht“, sagt Gabriel. „Ich glaube, dass ich mit dieser Entscheidung der Partei den größten Dienst erwiesen habe“, sagt der Bundesaußenminister mit feuchten Augen. Im Wahlkampf wolle er eine aktive Rolle spielen. Gabriel: „Der Trend ist jetzt wieder ein Genosse.“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden