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Parteien: Wie sehr schadet Kühnert der SPD?

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Wie sehr schadet Kühnert der SPD?

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    Juso-Chef Kevin Kühnert: Die Thesen des 29-jährigen Vorsitzenden der SPD-Nachwuchsorganisationen werden von vielen in seiner Partei zunehmend als Belastung angesehen.
    Juso-Chef Kevin Kühnert: Die Thesen des 29-jährigen Vorsitzenden der SPD-Nachwuchsorganisationen werden von vielen in seiner Partei zunehmend als Belastung angesehen. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Hört man führenden Sozialdemokraten so zu, scheint es zur merkwürdigen Kultur der Nachwuchsförderung ihrer Partei zu gehören, in jungen Jahren möglichst viel Unsinn zu erzählen, um später einmal in Schlips und Anzug umso staatstragender aufzutreten. Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der ideologischem Fanatismus so unverdächtig ist wie das Kleingedruckte einer Grundsteuerabrechnung, sagte auf den Wirbel, den Juso-Chef Kevin Kühnert mit seinen steilen Sozialismus-Thesen ausgelöst hat, Gott sei Dank liege seine Juso-Zeit schon über 30 Jahre zurück.

    Muss der SPD-Nachwuchs auf ideologischen Sozialismus schwören?

    Parteichefin Andrea Nahles meinte, dass der Vorsitzende der Jungsozialisten „jung und sozialistisch argumentiert“, sei nicht wirklich aufregend. Ist das so? Gehört es zu den Grundsätzen der SPD, dass ihr Parteinachwuchs erst einmal auf einen realitätsfernen ideologischen Sozialismus als erstrebenswerte Vision schwören muss?

    Der von Nahles und Scholz auf das politische Abstellgleis geschobene frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht dies anders als die aktuelle Parteispitze. Der ehemalige Wirtschafts- und Außenminister wählte am Wochenende wohl mit Bedacht das Handelsblatt für eine schonungslose Abrechnung mit Kühnert.

    Versuch der Ehrenrettung noch vorhandener Wirtschaftskompetenz

    Er unternimmt in einem ausführlichen Gastbeitrag auch den Versuch der Ehrenrettung noch vorhandener Wirtschaftskompetenz seiner Partei. Gabriel bemüht sich ebenso, das historische Weltbild der Sozialdemokraten in Einklang mit der modernen Gesellschaft Deutschlands mit deren Streben nach sozialer Marktwirtschaft zu bringen, ohne dass dafür ein „Jungsozialist“ obszöne Verstaatlichungsfantasien hegen muss.

    Während vor allem Linksintellektuelle in und außerhalb der SPD Kühnert dafür loben, dass er unabhängig von seinen inhaltlichen Äußerungen zumindest eine „wichtige Debatte“ angestoßen habe, bescheinigt Gabriel dem Nachwuchspolitiker in ziemlich brachialer Weise das genaue Gegenteil: „Wo die Halbwertszeiten der politischen Themen immer kürzer werden und sich die durchs Dorf getriebenen Säue gegenseitig überholen, muss man einfach mal die Systemfrage stellen“, wirft Gabriel seinem jungen Genossen vor, sich nur auf Kosten der Partei profilieren zu wollen. Kühnert nutze die Regeln eines „hektischen politischen Medienbetriebs offenbar nahezu perfekt“ für sich aus.

    „Das ist die Methode Donald Trump“

    „Bewusste Tabubrüche, das Ignorieren von Fakten und Empirie, das Mobilisieren populistischer Sehnsüchte und die Inkaufnahme der Beschädigung der eigenen Partei – das ist übrigens die Methode Donald Trump“, fährt Gabriel großes Geschütz gegen den jungen Juso auf. Beiden sei nur der mediale Effekt und das eigene Ego wichtig. „Nun ist Kevin Kühnert nicht mal ein Bonsai-Trump, es wäre eine böse Überzeichnung ihn so zu sehen und eine unzulässige Verniedlichung des US-Präsidenten zudem.“ Doch Kühnerts und Trumps Methoden seien frappierend ähnlich, vor allem indem sie ähnliche Reflexe in der Öffentlichkeit auslösten.

    Kühnert bediene dabei eine „unausgesprochene Zusammenarbeit“ zwischen Provokateuren und Medien, so Gabriel. Damit schade er vor allem der SPD, indem er uralte Vorurteilen gegenüber der eigenen Partei Futter gebe nach dem Schlagzeilen-Motto: „Wie viel DDR steckt in der SPD?“, kritisiert Gabriel. „Die unsicheren und zum Teil dümmlichen Reaktionen aus der SPD auf die mediale Provokation des Juso-Vorsitzenden taten ihr Übriges, um die SPD in ein schräges Licht zu setzen.“

    Gefahr für die Grundlage der Demokratie

    Nach Gabriels Ansicht regt Kühnert damit auch keine wichtige Debatte an, sondern schade vielmehr der Debattenkultur und dem öffentlichem Diskurs: „Wenn beides Schule macht – die Methoden und die Reaktionen darauf – dann verliert die wichtigste Voraussetzung moderner Demokratien weiter an Boden: die Aufklärung“, schreibt der einst längst amtierende SPD-Vorsitzende seit Willy Brandt. „Wo die Populisten auf das Ressentiment setzen, müssen progressive und konservative Demokraten auf das Argument und die Aufklärung setzen. Exakt hier liegt die Grenze.“

    Entsprechend setzt sich Gabriel mit Kühnerts Argumenten für eine Vergesellschaftung großer Betriebe wie den Autobauer BMW auseinander: „100 Jahre empirisch gesicherte Erfahrung mit staatlich gelenkten Volkswirtschaften haben gelehrt, dass sie wegen mangelnder Effizienz und Qualität bankrott gehen und zudem auch für die sozialen Verelendung ihrer Beschäftigten sorgen“, schreibt der ehemalige Wirtschaftsminister. „Aber das ignoriert Kühnert. Denn es geht ja darum, tagelang die veröffentlichte Meinung zu bestimmen.“

    „Wo die soziale Marktwirtschaft verliert, gewinnt die Radikalität“

    Das Gefährliche an Kühnerts Argumentation und anderer Forderungen nach Enteignungen ist Gabriel zufolge, dass sie im Kern der deutschen Gesellschaft mit sozialen Marktwirtschaft genauso schadeten, wie deren Auswüchse – der Finanzkrise, die obszönen Managergehältern oder die steigende soziale Ungleichheit: „Wo die soziale Marktwirtschaft verliert, gewinnt die Radikalität“, mahnt Gabriel. Links wie rechts. „Was dem einen die Verstaatlichung ist, ist dem anderen die Rückkehr zum Nationalstaat.“

    Die Antwort auf Marktversagen und Lücken der sozialen Marktwirtschaft dürften nicht Rufe nach Abschaffung des Privateigentums der staatlichen Planungen sein, sondern nach besseren politisch gesetzten Marktregeln, betont der ehemalige Wirtschaftsminister. Das dauere zwar seine Zeit, aber nur so sei die soziale Marktwirtschaft zur Erfolgsgeschichte geworden.

    Laut Gabriel ist der Traum alten Arbeiterbewegung längst Realität

    Dabei geht Gabriel sogar soweit, eine Brücke zu schlagen zu einer im SPD-Programm seit Jahrzehnten als Parteiheiligtum bewahrten Forderung: „Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft“, heißt es dort. Für Gabriel ist dieses Ziel in der heutigen sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik längst erreicht: „Die damaligen Gründer der Arbeiterbewegung und der deutschen Sozialdemokratie hätten allerdings vermutlich das, was nun nach 130 Jahren daraus geworden ist, als genau das bezeichnet, was sie damals erträumt hatten: den Sozialismus“, schreibt der Ex-Vorsitzende. „Denn in diesen Träumen ging es nicht um Verstaatlichungen, sondern um ein freies Leben und das Recht auf einen angemessenen Anteil am Haben und am Sagen in einer demokratischen Gesellschaft.“

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