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Parlament: Corona lässt Ordnungsrufe im Bundestag auf Rekordzahl steigen

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Corona lässt Ordnungsrufe im Bundestag auf Rekordzahl steigen

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    AfD-Fraktionchef Alexander Gauland  entging als Maskensünder einem Ordnungsruf, aber nicht dem Spott der Kollegen
    AfD-Fraktionchef Alexander Gauland entging als Maskensünder einem Ordnungsruf, aber nicht dem Spott der Kollegen Foto: Michael Kappeler

    Es gibt Bundestagsdebatten, die zerren besonders an den Nerven der Sitzungsleiter. „Ich bin hier kurz vor dem Wahnsinn, wenn ich Ihnen das sagen darf“, entfuhr es beispielsweise Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki bei einer besonders turbulenten Sitzung Ende Oktober, als der FDP-Politiker oben auf dem Präsidentenplatz über dem Rednerpult des Parlaments wachte.

    So wie ein Lehrer unbotmäßigen Schülern einen Verweis erteilen kann, greifen die Parlamentspräsidenten bei ungebührlichen Verhalten der Abgeordneten zum Ordnungsruf oder zur Rüge. Und noch nie seit der Wiedervereinigung gab es davon im Bundestag so viele wie im abgelaufenen Jahr 2020.

    Nicht nur der Ton im Parlament ist rauer geworden, seit die AfD als stärkste Oppositionspartei erstmals in den Bundestag gewählt wurde. Auch die Corona-Pandemie tut ihr übriges. So wie bei ebenjener Sitzung in der Vizepräsident Kubicki besonders gefordert war, auf die Einhaltung der Maskenpflicht im Plenarsaal zu achten. Sie gilt mit Ausnahme des Sitzplatzes und des Rednerpults auf allen Wegen durch die Reihen oder beim Gang aufs Podium.

    AfD-Fraktionschef Gauland kommt mit Spott der Kollegen davon

    Manche Maskensünder kommen mit dem Spott der Kollegen davon, wie etwa AfD-Fraktionschef Alexander Gauland. „Herr Kollege Gauland, ich würde Ihnen empfehlen, wenn Sie den Plenarsaal betreten, die Maske aufzusetzen“, unterbricht Kubicki die Rede einer SPD-Abgeordneten. „Ich nehme an, Sie waren geistig in dem Moment woanders, deshalb haben Sie das vergessen.“ Zwischenruf eines Linke-Abgeordneten: „Das ist er immer!“ Gauland hält sich ertappt die Hand vors Gesicht und huscht zu seinem vorderen Chefplatz in der rechten Reihe.

    Während es Kubicki bei Gauland mit einer Ermahnung belässt, bekommt der langjährige Unionsfraktionschef Volker Kauder die volle Härte zu spüren: „Herr Kollege Kauder, auch Ihnen erteile ich einen Ordnungsruf. Das Zeigen der Maske alleine führt nicht weiter.“ Der gescholtene CDU-Mann stöhnt uneinsichtig: „Mein Gott!“ Kubicki: „Ja, Sie können sagen: Mein Gott! Entweder wir haben eine Verfügung und halten uns daran, oder wir haben keine. Das gilt auch für die CDU/CSU-Fraktion.“

    Auch der CDU-Mann Roy Kühne, die inzwischen parteilose Ex-AfD-Chefin Frauke Petry und der SPD-Politiker Sönke Rix bekommen einen Ordnungsruf wegen Maskenverstoßes in die ewigen Parlamentsakten eingetragen: Schließlich drohen in diesen Fällen auch Normalbürgern in vielen Bundesländern von Politikern beschlossene saftige Geldstrafen.

    Lockdown: Corona-Regeln seit 16. Dezember 2020

    Weihnachten

    An Heiligabend und Weihnachten (24. bis 26. Dezember) dürfen zum eigenen Haushalt noch vier weitere Menschen hinzukommen - die Zahl der weiteren Haushalte spielt keine Rolle. Auch hier zählen Kinder unter 14 Jahren nicht mit. Es gilt aber in Bayern eine generelle Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr.

    Silvester

    Es gelten die allgemeinen Corona-Maßnahmen, was Zahl der Kontakte und Ausgangssperre anbelangt. Nach dem Beschluss von Bund und Ländern gilt an Silvester bundesweit ein An- und Versammlungsverbot. Außerdem gibt es ein Feuerwerksverbot an belebten Plätzen, die von den Kommunen festgelegt werden. Es gilt zwar nicht direkt ein Böllerverbot, der Verkauf von Feuerwerk ist aber untersagt.

    Einzelhandel

    Die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels ist untersagt. Ausgenommen sind der Lebensmittelhandel einschließlich Direktvermarktung, Abhol- und Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, der Verkauf von Presseartikeln, Tierbedarf und Futtermittel und der Verkauf von Weihnachtsbäumen. Wochenmärkte sind nur zum Verkauf von Lebensmitteln zulässig. Der Großhandel bleibt geöffnet. Die danach ausnahmsweise geöffneten Geschäfte dürfen über ihr übliches Sortiment hinaus keine sonstigen Waren verkaufen

    Dienstleistungen

    Dienstleistungsbetriebe mit Kundenverkehr, bei denen körperliche Nähe zum Kunden unabdingbar ist, sind untersagt. Das schließt neben Massagepraxen, Kosmetikstudios, Tattoo-Studios und ähnlichen Betrieben auch Friseure ein. Medizinisch notwendige Behandlungen, zum Beispiel Physio-, Ergo und Logotherapien oder Podologie bleiben weiter möglich.

    Gastronomie

    In der Gastronomie sind nur die Abgabe und Lieferung von Speisen und Getränke zulässig. Bei der Gastronomie einschließlich Imbissständen wird der Verzehr von Speisen und Getränken vor Ort untersagt. Kantinen bleiben offen.

    Mehr Ordnungsrufe wie seit dreißig Jahren nicht mehr

    Allein im vergangen Jahr stieg die Zahl der Ordnungsrufe auf ein Rekordniveau: Laut Parlamentsprotokollen und einer unserer Redaktion vorliegenden Aufstellung des Bundestags gab es allein im vergangenen Jahr 20 Ordnungsrufe. Das sind mehr als in allen vier vorausgegangenen Legislaturperioden seit 2002 zusammen. In den drei Jahren seit der Wahl 2017 zählt der laufende Bundestag nun insgesamt 38 Ordnungsrufe, so viele wie seit dreißig Jahren keine Parlamentsperiode nicht mehr.

    Die meisten Ermahnungen fielen in Zusammenhang mit der AfD. Zwei Drittel aller Ordnungsrufe in dieser Legislaturperiode trafen Vertreter der Rechtspopulisten direkt, einige weitere gingen an Vertreter anderer Parteien, die sich provozieren ließen und in Zwischenrufen auf AfD-Redner reagierten. Meist fiel dabei auf beiden Seiten das Wort „Hetzer“. Allein sechs Ordnungsrufe kassierte die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch, die beispielsweise den Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion Marco Buschmann als „Terroristen“ beleidigte.

    Herbert Wehner rief einst: „Waschen Sie sich erst mal!“

    Allerdings ging es in der alten „Bonner Republik“ noch turbulenter als in der heutigen Berliner Ära: In der zehnten Wahlperiode, als 1983 nach dem Wahlsieg des CDU-Kanzlers Helmut Kohl erstmals die Grünen in den Bundestag einzogen, verzeichnete die Parlamentsstatistik 132 Ordnungsrufe und zwölf Rügen. Unvergessener Höhepunkt war, als der Grüne Joschka Fischer 1984 dem CSU-Bundestagsvizepräsidenten Richard Stücklen entgegenrief: „ Herr Präsident, mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch.

    77 Ordnungsrufe hat Herbert Wehner (ganz rechts) bekommen. Hier mit Helmut Schmidt und Willy Brandt.
    77 Ordnungsrufe hat Herbert Wehner (ganz rechts) bekommen. Hier mit Helmut Schmidt und Willy Brandt. Foto:  Wolfgang Weihs, Archiv, dpa

    Und der Zahlen-König mit 77 erhaltenen Ordnungsrufen ist bis heute der einstige SPD-Fraktionschef Herbert Wehner. Als Zwischenrufer brüllt er CDU-Abgeordneten gerne mal „Waschen Sie sich erst mal!“ oder „Sie sind ein Schwein, wissen Sie das“ entgegen.

    Vizepräsident Kubicki warnt vor Dramatisierung der Anzahl

    „Wir sollten die Zahl der Ordnungsrufe nicht dramatisieren“, sagt denn auch FDP-Parlamentsvizepräsident Wolfgang Kubicki. „Sicher gibt es auch Abgeordnete, die durch bewusste Provokationen Ordnungsrufe geradezu herausfordern“, betont er. „Das Präsidium des Deutschen Bundestages war und ist aber immer in der Lage, mit dem nötigen Fingerspitzengefühl auf diese Unbotmäßigkeiten zu reagieren.“

    Allerdings kritisiert der stellvertretende FDP-Chef, dass das Einschreiten des sitzungsleitenden Präsidenten oft bewusst provoziert werde, wodurch die Härte von Sanktionen nötig würde. „Abgesehen davon kann es in hitzigen Debatten immer einmal vorkommen, dass einem Redner die eine oder andere Formulierung misslingt“, sagt Kubicki. „Trotzdem würde ich mir durchaus mehr streitige Debatten im Bundestag wünschen“, betont der Liberale. „Solange sie in einem Geist der Fairness ausgetragen werden, ist gegen einen harten Ton nichts einzuwenden.“

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