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Papst Franziskus in USA: Mönch Juípero Serra, der umstrittene Heiliger

Papst Franziskus in USA

Mönch Juípero Serra, der umstrittene Heiliger

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    Der Franziskanermönch Junípero Serra soll vom Papst heiliggesprochen werden. Doch die Heiligkeit des Missionars ist stark umstritten.
    Der Franziskanermönch Junípero Serra soll vom Papst heiliggesprochen werden. Doch die Heiligkeit des Missionars ist stark umstritten. Foto: Marcus Teply (dpa)

    Der Franziskanermönch Junípero Serro soll vom Papst Franziskus heiliggesprochen werden. Die Heiligkeit des spanischen Mönchs scheint jedoch bei vielen umstritten. Der Missionar soll für den Tod von tausenden Indianern verantwortlich sein.

    Der alte Friedhof neben der ehemaligen Mission San Dolores ist ein idyllischer Flecken Erde. Die hohen Mauern rund um den verwunschenen Garten machen die Großstadt vergessen; über den verwitterten Grabtafeln früher Einwanderer rauschen Zedern, Feigen und ein Redwood-Baum. Unter den schiefen, seit 1776 in der Hitze bleichenden Steinen ruhen aber nicht nur europäische Katholiken und ihre Besiedlungsgeschichte. Es gibt auch ein Massengrab mit mehr als 5000 Ureinwohnern. Unmittelbar darüber erhebt sich die Statue jenes Mannes, der für ihren Tod verantwortlich sein soll: Junípero Serra.

    Serra Mitschuld an Auslöschung und Tod von Indianern

    Wenn Papst Franziskus Ende September zu seinem ersten apostolischen Besuch in den Vereinigten Staaten eintrifft – nachdem er zuvor Kuba besucht hat –, wird er nicht nur konservativen Politikern Magenschmerzen bereiten. Der Pontifex will den Aufenthalt nutzen, um einen spanischen Missionar heiligzusprechen, der als Zivilisator Kaliforniens gilt und als einer der wenigen nichtprotestantischen Gründerväter. Zwischen San Diego und San Francisco stößt die Entscheidung nicht nur auf Freude: Ureinwohner halten Serra für mitschuldig an der Auslöschung ihrer Kulturen und am Tod von bis zu 60000 Indianern.

    Serra selbst ist außerhalb des Golden State zwar wenig bekannt. In Kalifornien aber ist sein Name an Straßen, Autobahnen und Brücken allgegenwärtig. Grundschulkinder werden in der vierten Klasse mit ihm vertraut gemacht. Wie jeder Bundesstaat hat auch Kalifornien zwei Statuen wichtiger Einwohner ins Kapitol nach Washington entsandt. Eine stellt Ronald Reagan dar, die andere den Missionar.

    „Ich kann ja verstehen, dass auch Mörder und Vergewaltiger einen Heiligen brauchen, zu dem sie beten können“, stichelt Julia Bogany, eine Stammesälteste der Tongva im Gebiet von Los Angeles. „Dass sie das aber quasi am California Native Day machen, wenn die Indianer feiern, das ist eine doppelte Ohrfeige.“ Die Heiligsprechung soll am 23. September in der National Cathedral in der Hauptstadt Washington stattfinden; zwei Tage später würdigt Kalifornien das Erbe seiner Ureinwohner mit einem Gedenktag.

    Junípero Serra missionierte für die Neue Welt

    Junípero Serra Ferrer (1713–1784) war ein Franziskanermönch, der ursprünglich aus Mallorca stammte. Der promovierte Theologe meldete sich freiwillig als Missionar für die Neue Welt; 1749 landete er mit einer Gruppe Gleichgesinnter im damaligen Vizekönigreich Neuspanien. Zu Lebzeiten war Serra an der Errichtung von neun Missionsstationen vor allem in Kalifornien beteiligt. Bis 1833 gründeten die Franziskaner zwischen San Diego und San Francisco 21 Klöster und Evangelisierungsstationen. Serra und seine Mitstreiter brachten europäische Kultur nach Kalifornien, als noch lange nicht absehbar war, dass das Gebiet 1821 an das neu gegründete Mexiko und 1848 an die Vereinigten Staaten fallen würde.

    „Ich weiß, dass man ihm all diese Missionsgründungen und unsere Zivilisierung zuschreibt“, sagt Bogany, 67, die Nachfahren von Missionsindianern im San Gabriel Valley in kulturellen Fragen berät. „Aber man kann Menschen, die man umbringt, nicht zivilisieren.“

    "Menschen, die man umbringt, kann man nicht zivilisieren"

    Die Missionare zwangen niemanden in ihre Siedlungen. Europäische Krankheiten und importiertes Vieh zerstörten aber das Sozialgefüge und die Lebensgrundlage der Indianer innerhalb weniger Jahre. Nahrung und Schutz wiederum gab es bei den spanischen Geistlichen nur nach der Taufe. Wer einmal getauft war, durfte die Missionen oft nicht mehr verlassen. Kritiker sehen in den Einrichtungen wenig mehr als Zwangsarbeitslager, in denen die Bekehrten von Familienmitgliedern getrennt, mit Peitschenschlägen bestraft und ihrer Kultur beraubt wurden; nicht einmal ihre Ehepartner konnten sie wählen. „Serra ging es nicht wirklich um das Seelenheil dieser Menschen“, sagt Julia Bogany, die selbst katholisch erzogen wurde. „Es gibt zeitgenössische Darstellungen, auf denen unsere Vorfahren Ketten tragen – warum war das nötig?“ Sterbliche Überreste hätten die Priester nur herausgegeben, wenn die Verwandtschaft sich ebenfalls taufen ließ.

    Solche Überreste gab es oft, denn in den Missionen ging das große Sterben weiter: Bis zur Säkularisierung der Anlagen nach 1833 waren in Kalifornien mehr als 80000 Ureinwohner getauft worden. Von diesen waren 60000 schon wieder gestorben. Jedes dritte Indianerkind wurde nicht einmal ein Jahr alt.

    Missionseinrichtungen eher Zwangsarbeitslager

    Die katholische Missionsarbeit war freilich vergleichsweise harmlos mit dem, was später aus den protestantisch dominierten USA hereinbrach. Serras Vision sah für die Indianer durchaus einen Platz in der Gesellschaft vor – er wollte sie bekehren, ihnen europäische Agrarpraktiken beibringen und sie zu nützlichen Untertanen des spanischen Hofes machen. In der Wissenschaft erfüllt erst die Phase nach 1848 die Kriterien eines Genozids. Unter dem Ansturm der Goldsucher und mit dem politischen Segen der US-Regierung begann damals eine systematische Ausrottung.

    Als Serra 1784 starb, ging es den neun bis dahin unter ihm gegründeten Missionen noch größtenteils gut. Seine Gegner werfen ihm vor, er hätte die Folgen seines Tuns trotzdem vorhersehen müssen, und die neuere Forschung bestärkt sie darin. „Den Blutzoll, den Krankheiten und Kolonisierung fordern, hatte Serra schon während seiner Jahre in der Sierra Gorda und Baja California erfahren“, schreibt der Historiker Steven Hackel in seiner Biografie „Junípero Serra“, die seit ihrem Erscheinen 2013 zum Standardwerk avanciert ist. Im heutigen Mexiko hatte Serra nach seiner Ankunft aus Spanien gewirkt. Hackel hat einen Lehrstuhl an der University of California Riverside. Für Serras Zeitgenossen seien Indianer geistige Kinder gewesen, erklärt er, die mit den Mitteln der damaligen Pädagogik zu erziehen waren. Dazu gehörten Schläge. „Er hat sich auch selbst geschlagen, um Christus näher zu sein“, berichtet der 52-Jährige.

    Selbst Kritiker räumen ein, dass der Missionar vermutlich in guter Absicht gehandelt hat. Mary Hibbard zum Beispiel leitet einen überkonfessionellen Gesprächskreis von Ureinwohnern in Long Beach; der Zirkel trifft sich einmal im Monat, um Gemeinsamkeiten zwischen christlichen und Naturreligionen auszuloten. „Es gibt Leute, die außer sich sind über die Entscheidung aus Rom, aber bei uns ist das eher gedämpft“, berichtet die 65-Jährige auf dem sogenannten Signal Hill – Ureinwohner haben den Berg früher für Rauchzeichen übers Meer hin verwendet; heute ist das gesamte Gebiet dicht besiedelt.

    Missionar hat vermutlich in guter Absicht gehandelt

    „Ich glaube, Serra dachte wirklich, er tut für die Indianer das Beste, und er wollte sie sicher nicht so dezimieren, wie das dann geschehen ist“, sagt die Sozialarbeiterin. „Aber wir spüren die Folgen bis heute in unseren familiären Strukturen. Und wenn jemand, ob willentlich oder nicht, für solche Grausamkeiten verantwortlich ist, dann erhebt man ihn doch nicht zum Heiligen.“

    Tatsächlich war Serra so typisch für seine Epoche, dass nicht einmal klar ist, was ihn von hunderten anderen Missionaren unterscheidet. „Ich glaube, dass die Vertreter der Amtskirche von Serras Katholizismus wirklich beeindruckt sind, aber das allein erklärt es nicht“, sagt Historiker Hackel. „Es muss da auch eine politische Seite geben, und ich glaube, für die Kirche ist Serras Heiligsprechung eine Möglichkeit, der Stimmung gegen Einwanderer von Süden her zu begegnen, wie sie ja nicht erst seit Donald Trump existiert.“ Serras Lebenslauf bietet die Chance, die angelsächsisch geprägte, protestantische Mehrheitskultur der USA daran zu erinnern, dass lange vor ihren Vorfahren Menschen über das heutige Mexiko nach Kalifornien gelangt sind. „Er war einer der Gründungsväter der Vereinigten Staaten, ein heiliges Beispiel für die Universalität der Kirche und ein besonderer Schutzpatron für die Lateinamerikaner des Landes“, hat Franziskus im Mai erklärt. Warum ein Papst, der sich sonst sensibel für das Leid zeigt, das seine Kirche indigenen Völkern angetan hat, über diesen Aspekt hinweggeht, weiß auch Hackel nicht.

    Serra war typisch für seine Epoche

    Die Tongva-Stammesälteste Bogany versteht noch viel weniger, weshalb die Kirche eine so umstrittene Gestalt zum Heiligen verklärt. Weil die Kultur ihrer Vorfahren an den Missionen tiefgreifend zerstört wurde, ist sie bis heute von der US-Regierung nicht anerkannt. „Der Papst hätte die Macht, zum Präsidenten zu sagen: Diese Menschen haben existiert, bevor Serra nach Kalifornien kam“, regt Bogany sich auf. „Statt dessen macht er einen Heiligen aus dem Menschen, der sie unterjocht hat.

    Papst Johannes Paul II. hatte Serra 1988 seliggesprochen, nachdem er ein Wunder bewirkt haben sollte. Franziskus überraschte im Januar mit der Mitteilung, das laut Regelwerk erforderliche zweite Wunder zu übergehen und Serra bei seinem US-Besuch heiligzusprechen. Er hat Serra als Evangelisierer des amerikanischen Westens gepriesen und gegen Kritik verteidigt: Der Missionar habe die Ureinwohner gegen Misshandlungen in Schutz genommen. In der Tat baten die Mönche spanische Soldaten etwa nach Aufständen wiederholt um Milde.

    Franziskanermönch soll Wunder bewirkt haben

    Konservative Politiker sehen der Visite mit gemischten Gefühlen entgegen. Nach Jahren, in denen Republikaner einen stramm religiösen Kurs gefahren haben, sind sie nun mit einem Papst konfrontiert, dessen Positionen bei Klimaschutz und Einwanderungsfragen sie so wenig teilen wie seine Kapitalismuskritik.

    Auf seinem Weg in die USA macht Franziskus in Kuba Station, dessen Annäherung an die Vereinigten Staaten viele Republikaner ablehnen. Anfang September hat der Pontifex überdies Verständnis für die Nöte von Frauen geäußert, die sich für Abtreibungen entscheiden, und für kommendes Jahr Erleichterungen bei der Sündenvergebung in Aussicht gestellt – der kompromisslose Kampf gegen Abtreibung gehört in den USA seit Jahren zu den Kernthemen der konservativen Agenda.

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