Es ist das vorläufige Ende einer wochenlangen politischen Geisterfahrt. Eine Vollbremsung, kurz vor dem Aufprall gegen die Wand, am Steuer: die österreichische Bundesregierung. Zum – strenggenommen – fünften Mal seit Ausbruch der Pandemie geht das Land in einen Lockdown. Für mindestens zehn, wahrscheinlich aber zwanzig Tage werden Gastronomie, Handel und körpernahe Dienstleister schließen. Eine Homeoffice-Pflicht kommt nicht. Vor allem aber: Als erstes Land in der EU führt Österreich ab 1. Februar 2022 eine allgemeine Corona-Impfpflicht ein.
Offen bliebt ab Montag nur, was zur dringenden Grundversorgung nötig ist, wie etwa Supermärkte und Apotheken. Was die Schulen angeht, überträgt die Regierung von ÖVP-Kanzler Alexander Schallenberg und dessen Koalitionspartner, den Grünen, die Verantwortung auf die Eltern: Diese können und sollen, wo immer möglich, die Kinder zu Hause lassen. Präsenzunterricht soll aber stattfinden – sowohl Lehrer- als auch Schülervertreter reagierten entsetzt und verärgert. Man habe keinerlei Plan, was am Montag passieren werde, wie der Unterricht abzuhalten sei und habe alles aus den Medien erfahren, lauteten erste Stellungnahmen.
Impfpflicht in Österreich soll juristisch begründet werden
Verantwortlich für diese Kompromisslösung des quasi freiwilligen Homeschoolings soll ÖVP-Bildungsminister Heinz Fassmann sein. Er wollte trotz durch die Decke schießender Infektionszahlen in den entsprechenden Altersgruppen die Schulen um jeden Preis offen lassen – gegen den Willen seiner Parteikollegen, den Landeshauptleuten von Salzburg und Oberösterreich, wo die vierte Welle besonders schlimm wütet. Dort wollte man, nachdem man sich noch vor Tagen mit Händen und Füßen gegen harte Maßnahmen gewehrt hatte, nämlich nicht nur einen „Lockdown bis Weihnachten“, sondern auch geschlossene Schulen. Stattdessen hofft man nun, dass Tests und eine FFP2-Maskenpflicht für alle Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer die Infektionsketten in den Klassen brechen werden.
Einen sichtlich geknickten, um nicht zu sagen düpierten Eindruck machten Kanzler Schallenberg und der grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, als sie nach einer Nacht der Verhandlungen – bezeichnenderweise nicht in Wien, sondern in Tirol – am Freitagvormittag den Lockdown verkündeten. Mückstein, nicht aber Schallenberg, entschuldigte sich dafür, dass man als Regierung „nicht an einem Strang gezogen“ habe. Die Impfpflicht, das betonten beide, solle jedenfalls juristisch einwandfrei begründet werden. Grundgesetzlich sei sie jedenfalls möglich, das hätte eine bereits erfolgte Prüfung des Verfassungsdienstes ergeben. Geahndet werden sollen Verstöße durch Verwaltungsstrafen.
Impfpflicht und Lockdown in Österreich: Radikalisieren sich Querdenker weiter?
Im Milieu der Impfgegner und „Querdenker“ wird aufgrund der Impfpflicht eine weitere Radikalisierung befürchtet, entsprechende Gewaltaufrufe kursierten am Freitag bereits in den einschlägigen Gruppen auf Telegram. Am Samstag soll in Wien eine Großdemonstration der Corona-Verharmloser stattfinden, zu der auch die FPÖ und deren – Corona-positiv getesteter – Chef Herbert Kickl aufgerufen hatte.