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Pandemie: Merkel zu den verschärften Maßnahmen: Was ist gerecht in Corona-Zeiten?

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Merkel zu den verschärften Maßnahmen: Was ist gerecht in Corona-Zeiten?

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    In drängendem Ton hat Kanzlerin Angela Merkel in der Bundespressekonferenz vor Hauptstadtjournalisten den gerade in Kraft getretenen Teil-Lockdown verteidigt.
    In drängendem Ton hat Kanzlerin Angela Merkel in der Bundespressekonferenz vor Hauptstadtjournalisten den gerade in Kraft getretenen Teil-Lockdown verteidigt. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Es ist ein Termin, mit dem niemand gerechnet hat. Morgens um kurz nach acht läuft in den Redaktionen die Einladung zur Pressekonferenz mit der Regierungschefin ein: "14:00 Uhr, nach dem Corona-Kabinett: Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel". Der Text ist geschäftsmäßig nüchtern, doch jeder weiß um die Bedeutung dieses Auftritts. Eigentlich, so schien es bis dahin, ist zur zweiten Corona-Vollbremsung in Deutschland schon alles gesagt. Angela Merkel hat Pressekonferenzen abgehalten, Videobotschaften ausgesendet, eine Regierungserklärung abgegeben. Doch der Kanzlerin ist dieser 2. November – der Tag, an dem bundesweit die neuen scharfen Corona-Regeln in Kraft treten – so wichtig, dass sie sich noch einmal erklären will.

    Merkel spürt den Ärger vieler Menschen

    Der Ärger über die neuen Corona-Maßnahmen ist auch im Kanzleramt angekommen. Merkel spürt deutlich, dass etwa viele Gastronomen in Deutschland sauer sind, weil sie Geld für Hygienekonzepte in die Hand genommen haben und nun trotzdem ihren Laden schließen müssen. Schnell nähert sich die Pressekonferenz der Frage, wo in diesen Tagen die Gerechtigkeit bleibt? Warum dürfen Friseursalons öffnen, Kosmetikstudios aber nicht? Warum dürfen sich Menschen zu Gottesdiensten versammeln und singen, andere Versammlungen aber sind verboten? Warum macht die Kneipe zu, der Buchladen aber bleibt geöffnet?

    Merkel nimmt sich Zeit für die Antworten, einmal stellt sie selber erstaunt fest, dass sie sich "in Rage geredet" hat. Ausgerechnet Merkel. Angesichts des explodierenden Infektionsgeschehens, sagt sie, "ist nicht mehr der Zeitpunkt, an dem wir diese oder jene Variante machen können". Die Physikerin zeigt sich da wieder als Jüngerin der Zahlen, die bei der Pandemiebekämpfung keine Grauzonen, sondern nur Schwarz oder Weiß kennen: "Wir wären dann halbherzig und das Virus bestraft Halbherzigkeit."

    Die Menschen sollen ihren Bewegungsradius einschränken

    Halbherzig wäre es aus Merkels Sicht, die Kontakte jetzt nicht konsequent einzuschränken. Damit Deutschland wieder auf die Beine kommt, Kontakte wieder nachverfolgbar werden und das Gesundheitswesen nicht überkocht, müsste jeder Mensch seine Kontakte um 75 Prozent reduzieren, erklärt die Kanzlerin. Von vier privaten Treffen müssen also drei ausfallen, damit sich nicht ständig immer neue Leute anstecken. Merkel will erreichen, dass die Sieben-Tage-Inzidenz wieder unter 50 sinkt. Je höher dieser Wert, desto mehr Menschen sind infiziert. Derzeit liegt er im Bundesdurchschnitt bei rund 120. Zum Vergleich: Vor vier Wochen hatte er knapp 17 betragen.

    Und was ist jetzt mit den Bars, die nicht öffnen dürfen, den Kulturschaffenden, die nicht auftreten können? Merkel zeigt viel Verständnis, dass keine Opern aufgeführt werden, schmerzt sie als Bayreuth-Fan persönlich. Aber die Kontakte müssen runtergefahren werden, und das nicht etwa um jeden Preis, sondern zu möglichst geringen Kosten.

    Die Kanzlerin startet zum Gegenangriff auf ihre Kritiker

    Die Wirtschaft, rechnet Merkel vor, muss deshalb im Gegensatz zum ersten Lockdown im Frühjahr diesmal am Laufen gehalten werden. Je mehr Hilfen gezahlt werden müssten, desto stärker die finanzielle Belastung in den nächsten Jahren. In diesem Sinne sollen auch die Kitas und Schulen möglichst geöffnet bleiben, damit der Nachwuchs betreut wird und die Eltern ihrer Arbeit nachgehen können. "Wenn aber all diese Kontakte unabdingbar sind, dann müssen wir sie an anderer Stelle einschränken", sagt die Kanzlerin und meint damit eben die Gastronomie, den Freizeitsport, die Veranstaltungen.

    Merkels Bewegungsdrang vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz nimmt jetzt zu. Sie gestikuliert, sie duckt sich auf ihrem Stuhl, das ist bei ihr oft ein Zeichen, dass sie auf Angriff schaltet. "Wir haben lange abgewogen, ob es einen besseren oder milderen Weg gibt. Wir haben ihn nicht gesehen", erklärt die Kanzlerin und wendet sich kampfeslustig an ihre Kritiker: "Wer mir sagt, ihr habt an der falsche Stellen beschlossen, der muss mir dann genau sagen, wo wir es sonst machen sollen." An anderer Stelle wird sie geradezu pathetisch. "Wir haben auch alle einen Eid geleistet auf das Grundgesetz, das mit der Würde des Menschen beginnt", sagt sie – und erklärt damit, warum sie Risikogruppen schützen will.

    Sie beschwört den Zusammenhalt

    In Merkels Logik geht es nicht anders. Gerechtigkeit könne doch nicht bedeuten, dass entweder alle weiter alles dürften oder dass allen alles verboten werde, sagt sei. Nein, das gerechtere und mildere Mittel ist ein Weg, der bei maximalem Nutzen im Corona-Kampf den geringsten wirtschaftlichen Schaden verspricht, wie die Kanzlerin deutlich macht. Auf Restaurants übertragen heißt das, dass deren Schließung zwar Geld kostet, dieser Schaden aber hinzunehmen ist. Denn trotz aller Hygienekonzepte hält Merkel "die Kontaktdichte in Restaurants und Gaststätten, nicht zwischen den Tischen, sondern an den Tischen", für zu hoch.

    Am Ende der Veranstaltung mahnt Kanzlerin Angela Merkel den Zusammenhalt an. Jeder habe es in der Hand, "diesen November zu unserem gemeinsamen Erfolg zu machen", sagt sie. Überbordende Silvesterfeiern werden es auch dann nicht geben können. Aber immerhin ein Weihnachtsfest, das zwar unter Corona-Bedingungen gefeiert werde, aber nicht eines der Einsamkeit sei.

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