Pandemie

Corona-Pandemie außer Kontrolle: Sinnloses Sterben in Rumänien

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    Der Wartebereich für positive Corona-Patienten des Universitäts-Notfallkrankenhauses in Bukarest. Das Land ist von der vierten Corona-Welle förmlich überrollt worden.
    Der Wartebereich für positive Corona-Patienten des Universitäts-Notfallkrankenhauses in Bukarest. Das Land ist von der vierten Corona-Welle förmlich überrollt worden. Foto: Vadim Ghirda, dpa

    Die Kranken liegen auf dem Boden der Notaufnahme der Floreasca-Klinik im Zentrum von Bukarest neben jenen, für die sich noch ein freies Bett fand. Apparate geben pausenlos Alarm, während Ärzte und Pfleger von einem Patienten zum anderen eilen. Die Warnsignale vereinen sich zum Schrillen eines nicht endenden Notfalls.

    Der deutsche Intensivmediziner Florent Josse vom Bundeswehrkrankenhaus in Ulm hat nur ein Wort für das, was er bei seinem ersten Besuch in einem Bukarester Krankenhaus gesehen hat: Hölle. „Patienten mit Sauerstoffmasken neben Intubierten müssen ansehen, was mit ihnen in ein paar Tagen passieren wird“, sagt der Mediziner. Wer künstlich beatmet wird, müsste eigentlich auf die Intensivstation. Doch die ist im Floreasca-Krankenhaus so voll wie in den anderen Bukarester Kliniken. Für Sterbenskranke ist nur noch in der Ambulanz Platz. Der Mediziner spricht angesichts der fehlenden Möglichkeit einer angemessenen Intensivbehandlung von einem Todesurteil für die Patienten.

    Rumänien kann nicht mehr alle Corona-Patienten behandeln

    Der Bundeswehrarzt flog Ende Oktober mit drei Kollegen nach Bukarest, um Anfang November Patienten aus den überfüllten Kliniken der rumänischen Hauptstadt zur Intensivbehandlung nach Deutschland zu überführen. Deutschland und andere EU-Länder reagierten auf den Hilferuf aus einem Land, das seine Covid-Patienten nicht mehr versorgen kann. Das vierköpfige Team der Bundeswehr sollte Coronakranke auswählen, die einen Transport mit einem zur fliegenden Intensivstation umgebauten Airbus nach Deutschland überstehen könnten.

    Die Ärzte untersuchten in wenigen Tagen 400 Patienten in Bukarester Kliniken und erstellten eine Liste. „Wir haben jeweils am Vortag Patienten für den Flug ausgesucht, da der Zustand der Patienten so dynamisch war und die Patienten täglich sterben können.“, sagt Josse. Die Bundeswehrärzte haben nun 18 Rumänen in ihrem Airbus aus Bukarest ausgeflogen. Sie kämpfen unter anderem im Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz und anderen Kliniken in Deutschland weiter ums Überleben.

    Der Arzt am Ulmer Bundeswehrkrankenhaus Florent Josse hilft bei der Überführung von rumänischen Corona-Patienten nach Deutschland.
    Der Arzt am Ulmer Bundeswehrkrankenhaus Florent Josse hilft bei der Überführung von rumänischen Corona-Patienten nach Deutschland. Foto: Cedrik Rehman

    Es war Mitte Oktober, als Reporter des Investigativportals Recorder die Endzeitstimmung im Universitätsklinikum von Bukarest in einem 16-minütigen Video festhielten. Sie zeigten, wie Pfleger in Schutzanzügen die Toten in schwarzen Leichensäcken in voll belegten Fluren an den Sterbenden vorbeischoben. Patienten bekamen ihre Sauerstoffmasken in Stühlen sitzend übergezogen, weil Betten fehlten. Ärzte und Pfleger bewegten sich zwischen Kranken, die alle dringend ihre Hilfe brauchten und das zur gleichen Zeit. Vor der Klinik stauten sich die Krankenwagen mit Patienten, für die es nirgendwo mehr Platz gab. Laut Aussagen des medizinischen Personals waren alle Patienten ungeimpft.

    In Rumänien sterben täglich Hunderte Menschen am Coronavirus

    Der Kampf gegen das Virus dauert seit vielen Wochen an. „Die Kliniken können nicht mehr als 6000 Coronapatienten bewältigen. Schon im September begann das Gesundheitswesen zusammenzubrechen, da lag die Inzidenz bei 350 bis 400 Fällen pro 100.000 Einwohner. Die Regierung hat nicht einmal ernsthaft reagiert, als die Inzidenz bei 750 lag“, sagt Jurma. Die Zahl der festgestellten Infektionen liegt in dem Land mit rund 19 Millionen Einwohnern inzwischen bei 15.000 am Tag. Hunderte sterben täglich an dem Virus. Gemessen an seiner Bevölkerung hat das Land die höchste Corona-Todesrate der Welt.

    Demonstranten halten ein Transparent während eines Protests gegen Impfungen, die Einführung des "Grünen Passes" und Einschränkungen in Bezug auf das Coronavirus. Der Widerstand in Rumänien gegen die Impfungen ist erheblich.
    Demonstranten halten ein Transparent während eines Protests gegen Impfungen, die Einführung des "Grünen Passes" und Einschränkungen in Bezug auf das Coronavirus. Der Widerstand in Rumänien gegen die Impfungen ist erheblich. Foto: Vadim Ghirda, AP, dpa

    Der Politikexperte Cristian Pîrvulescu gab am ersten Abend der Ende Oktober verhängten nächtlichen Ausgangssperre für Ungeimpfte ein Fernsehinterview. Mit seinem Covid-Impfpass in der Tasche fuhr er nach 22 Uhr nach Hause. Polizei, die eine Einhaltung der neuen Regel überwacht, habe er dabei nicht gesehen. Ohnehin seien im rumänischen Sicherheitsapparat Coronaleugner und Anhänger von Verschwörungstheorien besonders stark vertreten. „Von ihnen ist eine Durchsetzung der Ausgangssperre gar nicht zu erwarten“, sagt Pîrvulescu.

    Er wirft sowohl Fundamentalisten innerhalb der orthodoxen Kirchen als auch den in jüngerer Vergangenheit immer erfolgreicher missionierenden Evangelikalen vor, Impfungen gegen das Coronavirus in Rumänien im Sommer verunglimpft zu haben. Die Noch-Regierungspartei PNL stützt sich ebenso wie die Sozialdemokraten auf religiöse Wähler und beide Parteien hätten sich deshalb nur halbherzig zu der Impfkampagne bekannt, meint der Experte. Die Furcht vor der neuen rechtspopulistischen Partei AUR sitzt ihnen im Nacken. Sie verbindet einen anti-westlichen Nationalismus mit einem religiösen Gesellschaftsbild. AUR wendet sich vehement gegen alle Auflagen in der Coronakrise und die Impfkampagne. Die Partei zog bei den letzten Wahlen im Dezember 2020 ins rumänische Parlament ein und könnte bei Neuwahlen triumphieren, meint Privulescu.

    Die Kirche hat noch immer sehr großen Einfluss auf die Gesellschaft

    Anders als in Westeuropa sei die Haltung der Kirchen in Rumänien immer noch entscheidend für das Handeln der Menschen, sagt er. Und diese seien in Rumänien fundamentalistischer orientiert als irgendwo sonst in der EU, fügt er hinzu. Die Dominanz wörtlicher Bibelauslegungen hinterlasse Spuren in den Köpfen der Rumänen. „2009 sagten über 40 Prozenten der Befragten bei einer Umfrage, dass sich die Sonne um die Erde dreht und auch heute glauben fast 70 Prozent der Rumänen an den Teufel“, sagt der Politikexperte. „Wer von der Existenz des Teufels überzeugt ist, ist oft auch offen für Verschwörungstheorien“, meint Pîrvulescu. Die Zahl der Rumänen, die an den Fürst der Finsternis glauben, entspricht ungefähr der Quote der Impfverweigerer im Land.

    Klinikärzte in der nordrumänischen Stadt Iasi berichteten Ende Oktober von Patienten, deren Coronasymptome sich überraschend schnell verschlechterten und stellten Vermutungen an über eine aggressivere rumänische Corona-Variante. Die vermeidbare Katastrophe ist noch lange nicht vorbei.

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