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Pandemie: Aggression auf Corona-Demos: Wie viel Wut erträgt unsere Demokratie?

Pandemie

Aggression auf Corona-Demos: Wie viel Wut erträgt unsere Demokratie?

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    Die Polizei setzt bei einer Demonstration gegen die Corona-Einschränkungen der Bundesregierung am Brandenburger Tor Wasserwerfer ein.
    Die Polizei setzt bei einer Demonstration gegen die Corona-Einschränkungen der Bundesregierung am Brandenburger Tor Wasserwerfer ein. Foto: Paul Zinken, dpa

    Der Corona-Winter wird frostig. Zwar steht die Mehrheit der Deutschen weiter hinter den Einschränkungen im Kampf gegen die Pandemie. Aber die Stimmung schlägt immer öfter in eiskalte Ablehnung und Aggressionen um. In Berlin protestierten in dieser Woche Zehntausende gegen das Infektionsschutzgesetz. Vielen von ihnen ging es um das Recht, ihre Meinung sagen zu dürfen. Doch die Bewegung radikalisiert sich auch zunehmend. Wie viel Wut kann und muss eine Demokratie aushalten?

    Der Protestforscher Peter Ullrich hält diese Zuspitzung durchaus für gefährlich. Die Möglichkeit, zu protestieren, sei ein wichtiges Element einer funktionierenden Demokratie. Das gelte auch während einer Pandemie. "Doch die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen nehmen die Versammlungsfreiheit auf eine Art in Anspruch, die andere Rechte verletzt. Das ist ein ernsthaftes Dilemma und durchaus bedrohlich für die Demokratie, weil diese Bewegung zu einer starken Entsolidarisierung beiträgt", warnt der Soziologe vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung.

    Bilder von Corona-Leugnern ohne Maske haben Signalwirkung

    Tatsächlich fragen sich ja viele Menschen, warum sie nicht mehr in die Kneipe gehen dürfen und ihre Kinder sich einen einzigen Freund zum Spielen aussuchen sollen, gleichzeitig aber Tausende ohne Maske und ohne Abstand auf Demos marschieren können. Muss der Staat also härter durchgreifen, wenn er nicht die Disziplin der Bevölkerung riskieren will, die sich zu großen Teilen an die Regeln hält? Nach Ullrichs Einschätzung haben die immer neuen öffentlichen Provokationen der Corona-Leugner durchaus Signalwirkung.

    Demonstrationsteilnehmer der Initiative „Querdenken“ in Leipzig.
    Demonstrationsteilnehmer der Initiative „Querdenken“ in Leipzig. Foto: Sebastian Kahnert, dpa

    "Die Bewegung wird mit Samthandschuhen angefasst, obwohl sie systematisch und mit Ankündigung die Abstands- und Hygieneregeln missachtet hat", sagt der Wissenschaftler. Doch auch die Polizisten stecken in einer Zwickmühle. Gehen sie rigoroser gegen Demonstranten vor, könnte das genauso gut kontraproduktiv wirken. Das bestätigt auch der Experte. "Repression von außen kann Protestbewegungen erst recht zusammenschweißen und den Widerstandsgeist noch stärker machen", sagt Ullrich. Gleichzeitig könne es aber auch einen abschreckenden Effekt haben, wenn klare Grenzen gesetzt werden. Diese Grenzen wurden von den Gegnern der Corona-Maßnahmen immer weiter verschoben. Unter normale Bürger mischen sich eben auch aggressive und offen demokratiefeindliche Kräfte.

    Protestforscher: Glaube an Verschwörungstheorien einigt die Bewegung

    "Es gab seit Pegida keine Bewegung, die rechtsradikalen Positionen und Gewaltaufrufen in dieser Größenordnung ein Forum gegeben hat", sagt der Soziologe. Kann man also Seite an Seite mit solchen Leuten auf die Straße gehen und sich zugleich darüber beklagen, dann mit ihnen in einen Topf geworfen zu werden? Gemäßigte Teilnehmer beschweren sich jedenfalls häufig, wenn in den Medien Szenen von Ausschreitungen rund um die Demos zu sehen sind. "Dass sich der öffentliche Fokus auf die besonders radikalen Kräfte richtet, stimmt", sagt Protestforscher Ullrich.

    "Gleichzeitig würde ich aber sehr stark der Selbstwahrnehmung vermeintlich normaler Bürger widersprechen, die zwischen guten und bösen Demonstranten trennen", betont er. Bei aller Unterschiedlichkeit verbinde "die verschwörungstheoretische Grundierung die gesamte Bewegung, also die Bereitschaft, den größten Blödsinn für bare Münze zu nehmen, den irgendjemand ins Internet schreibt, solange er nur in das eigene Weltbild passt".

    Teil des Problems ist nach Ansicht des Wissenschaftlers, dass die Diskussion um die Corona-Maßnahmen so eindimensional geführt werde. "Nach dem Motto: Man ist dafür oder dagegen." Auch Skeptiker, die mit Gewalt nichts zu tun haben wollen, müssen sich mehr oder weniger für eine Seite entscheiden. Überwinden könne man die Polarisierung nur durch offene Debatten über diese Lagergrenzen hinweg. Andernfalls droht eine weitere Spaltung: "Es gibt wachsende Milieus, die sich abkapseln und sich politisch nicht mehr repräsentiert fühlen."

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