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Ortsbesuch in NRW: CDU-Vorsitz: Es brodelt in der Heimat der Kandidaten

Ortsbesuch in NRW

CDU-Vorsitz: Es brodelt in der Heimat der Kandidaten

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    Die drei Kandidaten für den Bundesvorsitz der CDU, Norbert Röttgen, Armin Laschet und Friedrich Merz (von links) bei einem Mitglieder-Gespräch der Jungen Union.
    Die drei Kandidaten für den Bundesvorsitz der CDU, Norbert Röttgen, Armin Laschet und Friedrich Merz (von links) bei einem Mitglieder-Gespräch der Jungen Union. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Uwe Wallrabe sitzt an einem Holztisch in einer Ecke des Restaurants „Zum Alten Markt“ in Dortmund. An diesem Tag ist das noch erlaubt. Der Teil-Lockdown auch in Nordrhein-Westfalen ist da schon nah, aber noch stehen auf der Speisekarte westfälische Spezialitäten: Zwiebelbraten, Haxenplatte, Kartoffelsuppe. An der Wand hängen Hufeisen in Übergröße. Die Sonne scheint sanft durchs Fenster. Ein schöner Herbsttag. Und doch ist die Stimmung schlecht.

    Wallrabe ist aufgewühlt. Denn in seiner CDU brodelt es. Drei Kandidaten – Norbert Röttgen, Armin Laschet und Friedrich Merz – kämpfen um den Parteivorsitz. Es ist kein schöner Kampf. Merz beispielsweise witterte eine Art Verschwörung des „Partei-Establishments“, das ihn verhindern wolle.

    Der Parteitag mit der Wahl des Vorsitzenden, nach zehrenden Diskussionen verschoben von Dezember auf Januar. Verfahrensfragen sollen Mitte Dezember geregelt werden. Wallrabe, langjähriges CDU-Mitglied, sagt: „Sie dürfen sich jetzt bloß nicht zerlegen.“

    Einer sagt: „Sie dürfen sich jetzt bloß nicht zerlegen“

    Mit ihm am Tisch sitzen an diesem Vormittag drei seiner Parteifreunde. Es ist ein Treffen der Parteibasis. Die redet Tacheles, wie man hier im Ruhrpott sagt. Klartext. Eigentlich könnten sie ja zufrieden sein. Sowohl Röttgen als auch Laschet und Merz stammen aus ihrem Bundesland Nordrhein-Westfalen. Einer könnte Bundeskanzler werden.

    Doch die CDU mit ihren gut 400.000 Mitgliedern ist uneins – wie stark, merkt man an Wallrabe und seinen Parteifreunden. Nordrhein-Westfalen ist von großer Bedeutung für die Partei. Kein Landesverband hat mehr Mitglieder (mehr als 120.000), keiner dürfte mehr Einfluss in Berlin haben, keiner wird bei der Wahl des Vorsitzenden mehr Delegierte entsenden. Ländliche Regionen wie das Rheinland, Sauerland und Münsterland sind schwarze Hochburgen.

    Vier CDU-Mitglieder diskutieren über den Partei-Vorsitz. Von links: Uwe Wallrabe, Sarah Beckhoff, Pia Imiolczyk, Michael Depenbrock.
    Vier CDU-Mitglieder diskutieren über den Partei-Vorsitz. Von links: Uwe Wallrabe, Sarah Beckhoff, Pia Imiolczyk, Michael Depenbrock. Foto: Philipp Schulte

    Das Problem ist: Mitglieder von Rhein und Ruhr wollen sich einfach nicht geschlossen hinter einen der Kandidaten stellen, auch wenn die CDU in Nordrhein-Westfalen ihren Ministerpräsidenten Armin Laschet, der aus Aachen stammt, zum offiziellen Kandidaten für den Bundesvorsitz gemacht hat.

    Die Parteifreunde am Tisch sind anderer Meinung als Uwe Wallrabe

    Uwe Wallrabe mahnt Zusammenhalt an. Die Attacken von Merz seien irritierend. Statt des Sauerländers wünscht sich der 56-Jährige den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn als Vorsitzenden – obwohl der gar nicht für das Amt kandidiert. Oder muss es heißen „noch nicht“? Wer weiß. Spahn jedenfalls bildet mit Laschet ein Tandem und kommt ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen, aus dem Münsterland. Wallrabe hat die Hoffnung: „Vielleicht setzen sich Laschet und Spahn noch einmal zusammen. Ein Wechsel ist akzeptabel“, sagt er.

    Seine beiden Parteifreunde am Tisch, alle aus dem Kreisverband Dortmund, sind da völlig anderer Ansicht. Die eine ist für Merz, der andere für Laschet. Sie diskutieren freundlich, aber kontrovers.

    Uwe Wallrabe ist ehrenamtlicher Stadtrat, Schriftführer im Kreisvorstand der CDU Dortmund und Kirchenvorsteher. Von Beruf ist er Polizeihauptkommissar, Leiter der Wache Huckarde, das ist ein Stadtteil im Westen Dortmunds. Dort wurde er geboren, dort wuchs er auf. Auf seinen Mund-Nasen-Schutz ist das Wappen von Huckarde genäht. Seit 1991 ist er CDU-Mitglied, nur einmal, sagt er, habe er als Jugendlicher die Grünen gewählt. Sicherheit und Ordnung sind ihm wichtig.

    Neben ihm sitzt Sarah Beckhoff, 26 Jahre alt, Vorsitzende der Jungen Union Dortmund, eben Merz-Anhängerin. Junge Frauen gehören nicht zur Kernanhängerschaft des früheren Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. Aber Beckhoff sagt: „Friedrich Merz kann die Unterschiede zwischen CDU und SPD zeigen, weil er kein Regierungsamt hat. Die Große Koalition muss enden“, sagt sie mit Nachdruck.

    Sarah Beckhoff, Merz-Anhängerin, ist laut einer Zeitung "Routinier"

    Uwe Wallrabe nimmt einen Schluck Tee, Sarah Beckhoff redet sich warm: „Wir brauchen jemanden, der für die CDU in ihrer Reinform steht. Das hilft uns – und der SPD.“ Die Reinform, das bedeutet für Beckhoff: die konservative, liberale und soziale Strömung in der CDU zusammenzubringen. Im Alter von 14 Jahren trat Sarah Beckhoff in die Junge Union Dortmund ein, mit 21 Jahren wurde sie deren Vorsitzende. Sie stammt aus dem Stadtteil Asseln. „Ein Dorf“, sagt sie. Sie ist CDU-Ortsvorsitzende. Ihre Familie hat einen Bauernhof. Die Tageszeitung Ruhr Nachrichten hat sie letztens porträtiert und „Routinier“ genannt.

    Beckhoff will eine schnelle Entscheidung über den Parteivorsitz, am liebsten noch in diesem Jahr. „Es schwächt die Partei, ohne einen neuen Vorsitzenden ins Wahljahr zu gehen“, sagt sie. Merz sei aber auch im Januar noch der beste Kandidat. Das will Wallrabe nicht stehen lassen. „Merz hat einen Fehler gemacht: Er ist emotional geworden. Siehe Merkel, die war noch nie emotional“, widerspricht er.

    Dann ergreift Michael Depenbrock, Bezirksfraktion Dortmund-Hörde, das Wort. „Wir“, sagt er, „müssen parteiübergreifend denken.“ Laschet, sein Favorit, sei der Republik besser zu vermitteln als Merz. Merz spalte zu sehr. „Das können wir uns als Volkspartei nicht erlauben. Laschet kann die Flügel vereinen.“ Depenbrock, 49 und Steuerberater, legt Wert auf Bodenständigkeit. „Ich will nah am Bürger sein“, sagt er. Dass Merz von einer Verschwörung vonseiten des Partei-Establishments gesprochen hat, kann er nicht verstehen.

    Dafür kann er gut den Einfluss beschreiben, den die NRW-CDU bundespolitisch habe. Als da wären: die Größe des Landesverbands, die Zahl der Bundestagsabgeordneten. Und noch etwas: „Es gibt hier viele Parteimitglieder, die in Berlin mitwirken wollen“, sagt Depenbrock und verweist auf den Unions-Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus aus Ostwestfalen und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, der lange im Sauerland gelebt hat. Die CDU-Spitze, fest in nordrhein-westfälischer Hand?

    Es ist Zufall, dass die drei CDU-Kandidaten aus NRW kommen

    Anruf bei Stefan Marschall, Politikwissenschaftler aus der Landeshauptstadt Düsseldorf. Marschall, 52 Jahre alt, sitzt zu Hause in seinem Arbeitszimmer und blickt auf den Computer-Bildschirm. Wen er als künftigen CDU-Chef favorisiert, will er nicht sagen. Als Wissenschaftler sei er neutral. Was er sagt, ist: Dass sich drei Kandidaten aus Nordrhein-Westfalen um den Parteivorsitz bewerben, sei Zufall.

    Dann beginnt er, das besondere Verhältnis der CDU zu NRW zu erklären: „Im Präsidium und im Vorstand der Partei ist es gewünscht, dass Personen aus Nordrhein-Westfalen vertreten sind. Auch die Delegierten des Parteitages setzen sich zu rund einem Drittel aus den NRW-Parteigliederungen zusammen.“ Doch es gebe keine Tradition, dass nur dieser Landesverband der Berliner Politik Leute liefere.

    „Die Saar-CDU hat mit Annegret Kramp-Karrenbauer als Parteivorsitzende und Peter Altmaier als Wirtschaftsminister zwei wichtige Posten inne“, sagt Marschall. Der „Kanzler der Einheit“, Helmut Kohl, stammte aus Rheinland-Pfalz. Und streng genommen sei bisher nur ein ehemaliger Parteivorsitzender aus NRW gekommen: Konrad Adenauer. Rainer Barzel, der nach dem Krieg in den Dienst des Bundeslandes trat und später CDU-Chef wurde, war in Ostpreußen geboren worden.

    Konrad Adenauer 1961: Streng genommen ist er bislang der einzige CDU-Parteivorsitzende aus Nordrhein-Westfalen.
    Konrad Adenauer 1961: Streng genommen ist er bislang der einzige CDU-Parteivorsitzende aus Nordrhein-Westfalen. Foto: Leopold Egger

    Wie einflussreich die NRW-CDU in der Bundespolitik insgesamt ist, sieht man nach den Worten Marschalls an der Landespolitik. „Dass die NRW-CDU seit ihrem Sieg bei den Landtagswahlen 2017 stärker geworden ist, ist eine Grundlage für die neue Rolle in Berlin.“ Und Ministerpräsident Laschet sei als sozialer, liberaler Politiker der Mitte jemand, der auch mit den Grünen koalieren könne. Ein Modell, das in Hessen bereits praktiziert wird. Demnächst auch auf Bundesebene?

    Ein Wort, das in den Diskussionen um den CDU-Parteivorsitz immer wieder fällt, auch im Restaurant „Zum Alten Markt“ in Dortmund, ist „Richtungsentscheidung“. Politologe Marschall sagt dazu, dass es bei der Wahl um den Parteivorsitz nicht nur um Köpfe, sondern besonders um das Programm gehe. „Merz steht für eine konservativere, wirtschaftsliberalere Politik als Laschet.“ Komme es zu einer Stichwahl zwischen Laschet und Merz, werde es spannend. „Wie entscheiden sich die Röttgen-Wähler?“ Und: „Mobilisiert Röttgen für einen Kandidaten?“

    Norbert Röttgen kommt kaum vor in den Gesprächen

    Ja, Röttgen. Der Mann aus Meckenheim, Rheinland. Der kommt in den Gesprächen an der Parteibasis kaum vor, zumindest nicht als irgendwie aussichtsreicher Kandidat auf den Vorsitz. Warum das so ist, sagt Uwe Wallrabe unverblümt. Wieder Zeit für Tacheles. „Wir haben ihm eine Niederlage zu verdanken. Viele haben nicht vergessen, was er der CDU angetan hat.“

    Röttgen wollte 2012 von Berlin aus Ministerpräsident in NRW werden. Und sein Amt als Bundesumweltminister nach seiner krachenden Niederlage gegen Hannelore Kraft von der SPD behalten. Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel entließ ihn. „Röttgen hat gezockt und die Partei verloren“, sagt Uwe Wallrabe.

    Nach zwei Stunden mit seinen Parteifreunden zahlt Uwe Wallrabe seine Getränke, zieht seine Jacke an, setzt sich die Maske mit dem Stadtteil-Wappen auf und läuft zum Rathaus. Dabei passiert er einen weitläufigen Platz. Auf dem steht eine Säule, hellgrauer Granit, mit goldener Kugel. Darauf ein Wort in sechs Sprachen: Frieden.

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