Die Anhänger des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny haben sich besorgt über dessen verschlechterte Gesundheit gezeigt. Die Anwälte des 44-Jährigen bezeichneten seinen Zustand nach einem Besuch im Straflager am Donnerstag als "nicht gut".
Nawalny habe starke Rückenschmerzen, sagte Anwältin Olga Michailowa vor dem Lager in dem Ort Pokrow rund 100 Kilometer östlich von Moskau im Gebiet Wladimir. "Sein rechtes Bein ist in einem entsetzlichen Zustand", sagte sie in einem via Instagram verbreiteten Video des Nachrichtenkanals Medusa-Live. Nawalny könne das Bein nicht mehr belasten.
Michailowa forderte im Beisein ihres Kollegen Wadim Kobsew eine ordentliche Behandlung des Oppositionellen, damit er am Ende nicht als "Invalide" entlassen werde. Sie kritisierte, dass sie ihren Mandanten trotz eines vereinbarten Termins am Mittwoch nicht hätten sehen können. Erst am Donnerstag habe das nach langer Wartezeit geklappt. Nawalny habe dabei berichtet, dass er am Vortag abgeholt worden sei, um sich mit den Anwälten zu treffen. Dann sei er allerdings in ein Krankenhaus zur Untersuchung gebracht worden.
"Da wurde auch irgendein MRT gemacht", sagte Michailowa. Dann sei ihm lediglich das Schmerzmittel Ibuprofen als Tablette und Salbe verschrieben worden, aber eben keine Behandlung. "Was für ein fürchterlicher Horror", hieß es in einem Kommentar von Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch bei Twitter.
Zuvor hatte auch der russische Strafvollzug bestätigt, dass Nawalny untersucht worden sei. "Im Ergebnis der Untersuchung wurde sein Zustand als stabil, befriedigend eingeschätzt", hieß es. Nawalnys Vertrauter Leonid Wolkow sprach von einem "Folterlager", in dem Nawalny die "persönliche Geisel" von Präsident Wladimir Putin sei.
Nawalny selbst ließ über seine Anwälte zwei Mitteilungen veröffentlichen, in denen er neben einem Arztbesuch auch das Ende der "Folter durch Schlafentzug" fordert. Er hatte sich bereits vor einigen Tagen darüber beklagt, dass er nachts jede Stunde von einem Wärter geweckt werde. Auch seine Frau Julia vermutete, dass der Schlafentzug die Beschwerden ihres Mannes noch verschlimmere.
Russlands bekanntester Oppositionspolitiker war nach einem Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok im vergangenen August in Deutschland behandelt worden. Bei seiner Rückkehr am 17. Januar wurde Nawalny am Moskauer Flughafen Scheremetjewo festgenommen. Kurz darauf verurteilte ihn ein Gericht in Moskau zu Haft im Straflager. Der Grund: Er soll während seines Aufenthalts in Deutschland gegen Meldeauflagen bei russischen Behörden in einem früheren Strafverfahren verstoßen haben. Das Urteil wurde international teils heftig kritisiert und als politisch motiviert eingestuft.
Auch vor dem Hintergrund des Giftanschlags forderten rund 160 russische Menschenrechtler, Journalisten und Kulturschaffende nun in einem offenen Brief an den Chef des Strafvollzugs, Alexander Kalaschnikow, verbesserte Haftbedingungen für Nawalny. "Als Nawalny nach Russland zurückkehrte, war die Rehabilitation seiner Gesundheit noch nicht abgeschlossen." Es sei offensichtlich, dass er in der Haft nicht richtig medikamentös behandelt werde, heißt es in dem Schreiben, das unter anderen die Schriftstellerin Ljudmila Ulizkaja und der Regisseur Witali Manski unterzeichnet haben.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin erklärte, die Berichte über Nawalnys Gesundheitszustand erfüllten ihn "mit großer Sorge". "Man kann den Eindruck gewinnen, dass die teilweise Genesung nach der Nowitschok-Vergiftung revidiert werden soll." Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff forderte, Deutschland müsse gemeinsam mit den Mitgliedstaaten des Europarats darauf pochen, dass Nawalny unverzüglich aus der Haft entlassen wird.
Unterdessen haben sich auf einer eigens eingerichteten interaktiven Karte bereits mehr als 250.000 Menschen zur Teilnahme an neuen Demonstrationen für die Freilassung Nawalnys registriert. Das Team des Oppositionellen hatte vor zwei Tagen erklärt, ein Datum für weitere Massenproteste bekanntzugeben, sobald 500.000 Menschen bereit seien, sich ihnen anzuschließen. Anfang des Jahres hatten sich russlandweit Zehntausende Menschen an solchen nicht genehmigten Aktionen beteiligt.
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Interaktive Karte für Proteste