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Österreich: Nach Ibiza-Affäre: Strache kehrt zurück - mit dubiosen Mitstreitern

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Nach Ibiza-Affäre: Strache kehrt zurück - mit dubiosen Mitstreitern

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    Als hätte es die Ibiza-Affäre nicht gegeben: Heinz-Christian Strache vergangene Woche bei der Vorstellung seiner „Bürgerbewegung“ auf dem Kahlenberg hoch über den Dächern Wiens.
    Als hätte es die Ibiza-Affäre nicht gegeben: Heinz-Christian Strache vergangene Woche bei der Vorstellung seiner „Bürgerbewegung“ auf dem Kahlenberg hoch über den Dächern Wiens. Foto: Helmut Fohringer/APA, dpa

    Eigentlich, so scheint es, ist alles wie immer. Das Ambiente ist wohl gewählt, schließlich bietet sich nirgendwo sonst rund um Wien ein prächtigerer Ausblick auf die österreichische Hauptstadt als am Kahlenberg, auf der Terrasse des dortigen Hotels, inmitten von Weingärten hoch über der Stadt. Ein fester Händedruck, die Mitstreiter lauschen erwartungsvoll unter den Sonnenschirmen, die Drinks stehen schon bereit – einzig der Andrang der Journalisten ist nicht so groß, wie man es von früher gewohnt ist.

    Heinz-Christian Strache ist wieder da. Fast ist man als langjähriger Beobachter seiner Karriere ob der Inszenierung verführt auszublenden, dass der Mann, der sich partout nicht von der Bühne verabschieden will, das wohl größte politische Erdbeben der letzten Jahrzehnte im Land zu verantworten hat. Stichwort: Ibiza-Affäre. Medien veröffentlichten im Mai 2019 ein Video, das auf der spanischen Ferieninsel entstand und Strache im Gespräch mit der angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen anfällig für Korruption erscheinen lässt.

    Vor knapp einer Woche nun präsentiert er der Öffentlichkeit jene Mitstreiter seiner neu gegründeten Liste "Team HC Strache – Allianz für Österreich", mit der der gescheiterte Vizekanzler, langjährige FPÖ-Chef und europaweit bekannte Rechtspopulist am 11. Oktober zur Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl antreten will. Will, wohlgemerkt.

    Denn ob Heinz-Christian Strache tatsächlich zur Wahl zugelassen wird, ist offen. Es geht um seinen Wohnsitz, den Lebensmittelpunkt, wie es das Gesetz vorschreibt. Strache bewohnt – neben einer erst vor wenigen Monaten angemieteten Wohnung in Wien – nach wie vor auch eine Villa in Weidling-Klosterneuburg, nur einen Steinwurf von der Panorama-Terrasse am Kahlenberg entfernt. Dort weile er aber nur am Wochenende, sagt Strache.

    Wird HC Strache selbst von der Wahlliste gestrichen?

    Das Problem ist: Weidling, obwohl quasi ein Wiener Vorort, befindet sich in Niederösterreich, und für ein Antreten bei der Wahl in Wien ist ein Hauptwohnsitz in der Hauptstadt nachzuweisen. Gleich mehrere Anzeigen, darunter eine von Straches ehemaligem FPÖ-Parteifreund Peter Westenthaler, liegen der zuständigen Behörde vor. Sie verlangen eine Streichung Straches von der Wahlliste. Die Behörde könnte schon Anfang der Woche, spätestens aber bis Mittwoch eine Entscheidung treffen. Schon jetzt stellt Straches ehemaliger Stellvertreter, der jetzige FPÖ-Chef Norbert Hofer, eine Wahlanfechtung in Aussicht, sollte sein nunmehr erbitterter Gegner kandidieren dürfen. Heinz-Christian Strache ist für Österreich wie ein Geist, den man einst rief und nun nicht mehr loswird.

    Ein Ausschnitt aus dem Video, das ein politisches Erdbeben auslöste und Heinz-Christian Strache (rechts) alle Ämter kostete.
    Ein Ausschnitt aus dem Video, das ein politisches Erdbeben auslöste und Heinz-Christian Strache (rechts) alle Ämter kostete. Foto: Spiegel/Süddeutsche Zeitung, dpa

    Das alles aber scheint Strache an jenem lauen Dienstagvormittag über den Dächern Wiens nicht zu kümmern. Wie eh und je spult der einst europaweit beachtete Rechtspopulist, den Sebastian Kurz in seine Regierung holte, vor den Journalisten sein Programm herunter. Er wettert gegen "importierte Kulturkonflikte" in Wien (wo es in den vergangenen Wochen immer wieder zu Zusammenstößen von rechtsextremen türkischen "Grauen Wölfen" und Kurden kam), über die in seinen Augen verfehlte Krisenpolitik der ÖVP und Grünen bis hin zu einem "Impfzwang", der freilich in Österreich nicht ernsthaft zur Debatte steht. "Ich bin kein Impfgegner", sagt Strache. "Zwangsimpfungen" aber seien abzulehnen.

    Sich gegen etwas zu stellen, was nicht ernsthaft zur Diskussion steht – das, so scheint es, könnte sich Strache von Sebastian Kurz abgeschaut haben. Kurz sorgte beim EU-Krisengipfel zum Corona-Hilfspaket für besonders betroffene Staaten wie Italien für Kritik, als er sich im Vorfeld des Gipfels vehement gegen eine "Schuldenunion" aussprach – die auf europäischer Ebene allerdings so nicht zur Debatte stand.

    Seine alte Partei FPÖ erwähnt er mit keinem Wort

    Strache gibt sich alle Mühe, sein Projekt zu verkaufen und erneut über den herrschenden Zeitgeist in Österreich Wählerstimmen zu fischen. Als "Bürgerbewegung" sieht er sein "Team HC Strache", als "Sicherheitspartei". Die FPÖ, die er viele Jahre lang führte und schließlich an die Macht brachte, erwähnt er mit keinem Wort. Der Reihe nach stellt er seine Kandidaten vor: Unternehmer, Gastronomen, Selbstständige, auffällig viele Polizisten. Die "drei Musketiere", wie Strache sie nennt – abtrünnige Wiener FPÖ-Landtagsabgeordnete, darunter der ehemalige Rennfahrer und Ferrari-Händler Karl Baron, ein enger Freund Straches –, hat er auf den vordersten Plätzen gereiht.

    Die mondäne Inszenierung kann Strache allerdings nur kurz aufrechterhalten. Schon wenige Stunden später steht seine "Bürgerbewegung" unter massiver Kritik. Recherche-Blogs wie "FPÖ Fails" und Medien haben seine Kandidatenliste unter die Lupe genommen. Ein Video von der erst 24-jährigen Flugbegleiterin Christina Kohl, gereiht auf Listenplatz 17, taucht auf. "Antifa muss weg! Soros muss weg! Rothschild muss weg!" und andere einschlägige antisemitische Parolen skandiert die junge Wienerin da auf einer Corona-Demo Ende Mai.

    Weg ist dann der Job von Christina Kohl – noch am selben Nachmittag. Die Austrian Airlines entlässt Kohl fristlos als Flugbegleiterin. Ihre antisemitischen Äußerungen stünden der Konzernphilosophie diametral entgegen, heißt es in einer Stellungnahme der Fluggesellschaft.

    Straches Team: Beschimpfungen gegen Kurz

    In einem anderen von Bloggern online gestellten Video ist Christina Kohl mit Petar Knezevic zu sehen. Spätabends, nachdem sie den 24. Geburtstag von Kohl gefeiert haben, filmen sich die beiden in einer Tankstelle in Wien. Knezevic, ein Musiker mit serbisch-kroatischen Wurzeln und ebenfalls auf Straches Liste gereiht, beschimpft im Video mit üblem Vokabular Bundeskanzler Kurz. Und ruft darüber hinaus mit Blick auf Corona in seine Handy-Kamera: "Da gibt’s keinen Virus – wo sind die Toten? Runter mit dem Maulkorb!"

    Ihr organisatorisches Engagement auf der Plattform "Gemeinsam Wir", bei deren Demos sich Gegner der Corona-Maßnahmen mit Verschwörungsideologen mischen, hätten sowohl Kohl als auch Knezevic vor ihrem Antreten auf Straches Liste ruhen lassen, lässt dessen Generalsekretär Christian Höbart, ebenfalls Ex-FPÖ, wissen. Zuerst noch versucht Knezevic per Video-Botschaft mit einer Entschuldigung an Kanzler Kurz die Wogen zu glätten, bald darauf aber verkündet er seinen Rückzug von Straches Liste.

    Seine Gefährtin Kohl allerdings sieht sich keineswegs als Antisemitin. Der Generalsekretär hält ihr die Stange: Eine "Hetzkampagne" gegen die "Meinungsfreiheit innerhalb des Verfassungsbogens", sei das. Es sind die altbekannten Töne aus FPÖ-Zeiten.

    Hat Strache dieses Milieu gesucht oder hat das Milieu Strache gefunden?

    Der Musiker und die nun Ex-Flugbegleiterin sind nicht die einzigen auffälligen Mitstreiter auf Straches Liste. Auf Platz acht ist Polizeiamtsarzt Serge Paukovics gereiht. Für das Buch "Grippewelle durch Chemtrails" des Schlagersängers Christian Anders empfahl der Arzt im Vorwort auch dessen "Buch über die Impflüge": "Der Impfwahnsinn". Dennis Dewall hingegen, Unternehmer und gereiht auf Listenplatz 15, betrieb einen "Fight Club" auf der Wiener Donauinsel, in dem sich Jugendbanden "sportlich bekämpften". Weil es "zu hohe Auflagen" gab, beendete Dewall sein Projekt wieder. Zur Kritik an seinen Kandidaten hat sich Strache selbst noch nicht geäußert.

    Hat er dieses Milieu gesucht oder hat das Milieu Strache gefunden?

    Dass der Ex-FPÖ-Chef und Vizekanzler selbst bisweilen zu Verschwörungserzählungen neigt, ist bekannt. In Grönland sei es früher so warm gewesen, dass dort Wein angebaut worden sei, behauptete Strache im Wahlkampf 2017 in Bezug auf den Klimawandel. Nach dem Ibiza-Video tauchte in Ermittlungsunterlagen eine wirre Skizze aus Straches Feder auf, auf der er das aus seiner Sicht bestehende Netzwerk hinter der Ibiza-Videofalle benannte: die Israelitische Kultusgemeinde, der österreichische Verfassungsschutz, Oligarchen und Freimaurer hätten sich gegen ihn verschworen.

    Die Auswahl seiner Kandidaten ist dadurch allein aber nicht zu erklären. Politologen wie die Wiener Rechtsextremismus-Expertin Natascha Strobl oder der bekannte Politikanalyst Peter Filzmaier weisen darauf hin, dass es für kleine wahlwerbende Gruppen besonders schwer ist, ausreichend ministrable und handwerklich fähige Kandidaten zu bekommen. Andererseits aber ist es gerade das extrem rechte und verschwörungsideologische Milieu, das Heinz-Christian Strache auch nach Ibiza die Treue hält.

    Rationale Überlegungen spielen bei Straches Hardcore-Anhängerschaft in Wien keine Rolle mehr. "Wer sich durch Ibiza und allem, was Strache danach noch lieferte, nicht von ihm abgewendet hat, der ist auch nun durch nichts mehr zu erschüttern", sagt Filzmaier.

    Strache geht es vor allem um eines: Schlagzeilen

    So macht Strache aus der Not auch eine Tugend. Die jetzigen Affären rund um seine Kandidaten sprechen nicht nur – Umfragen zufolge stetig wachsende – verschwörungsideologische Gruppen an, sie bringen Strache auch das, was er vor der Wahl im Oktober am dringendsten braucht: Schlagzeilen.

    Aus diesen kam der gescheiterte Vizekanzler nach Ibiza aber ohnehin nie heraus. Gegen Strache und eine Handvoll weiterer Personen aus seinem Umfeld laufen nach wie vor Ermittlungsverfahren. Es geht um mutmaßliche verdeckte Parteienfinanzierung, um Spesen und private Rechnungen, die sich Strache von seiner ehemaligen Partei begleichen habe lassen, um Sporttaschen, prall gefüllt mit Bargeld.

    Weiteren Wirbel gab es um Straches Frau Philippa, die schließlich nach einem Entscheid der Wahlbehörde nach der letzten Nationalratswahl 2019 über die Wiener Landesliste ins Parlament einziehen konnte – als fraktionsfreie Abgeordnete. Denn die FPÖ schloss sie vorsorglich aus ihrer Fraktion aus. Schließlich machte Strache der Wiener Landespartei, die er selbst jahrzehntelang führte, besagte drei Landtagsabgeordnete abspenstig und ließ diese sein Comeback vorbereiten.

    Umfragen: Strache bei fünf Prozent

    Umfragen sehen das "Team HC Strache" bei rund fünf Prozent – gerade so viel, wie für den Einzug in den Wiener Landtag notwendig ist. Gelingt das Überspringen der Hürde, gibt es zwar gleich mehrere Mandate – Straches Liste wäre aber dennoch isoliert. Eine Zusammenarbeit schließen alle anderen Parteien aus. Der Wahlsieger steht mit dem amtierenden sozialdemokratischen Bürgermeister und Landeshauptmann Michael Ludwig ohnehin fest. Ein Umstand, der der SPÖ bei der Wählermobilisierung ebenso Probleme machen könnte wie eine möglicherweise verschärfte Corona-Situation im Herbst.

    Die FPÖ-Stimmen der letzten Wahl 2015, wo die extreme Rechte unter Strache 30 Prozent erreicht hatte, wird erwartungsgemäß und wie schon bei den Wahlen im Bund nach Ibiza 2019 die Kanzlerpartei ÖVP holen. Für die tritt in Wien zwar Finanzminister Gernot Blümel an, als Zugpferd aber gilt bei diesen Wählern dennoch Sebastian Kurz. Dass die ÖVP erfolgreich eine Koalition mit den Grünen (derzeit in Wien Juniorpartner der SPÖ) und den liberalen Neos schmieden könnte, um Ludwig abzulösen, gilt als unwahrscheinlich. Dennoch wird dieses Szenario von den Sozialdemokraten an die Wand gemalt.

    Wird Strache selbst den Rechtsweg bestreiten, wenn er nicht antreten darf? Oder selbst die Wahl anfechten? Was wird aus ihm, sollte sein Spiel dieses Mal nicht aufgehen und er den Einzug in den Wiener Landtag verfehlen?

    Diese Frage stelle sich nicht, sagt Heinz-Christian Strache lächelnd über den Dächern Wiens. Was seine Zukunft angeht, hat er wohl tatsächlich nur diese eine Wahl.

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