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Österreich: Mit dreißig auf dem Sprung ins Kanzleramt?

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Mit dreißig auf dem Sprung ins Kanzleramt?

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    Österreichs Wunderkinder sind Komponisten oder Skiläufer. Politische Wunderkinder wie Sebastian Kurz sind eher selten. Vor mehr als zehn Jahren trat der Sohn einer Gymnasiallehrerin und eines Ingenieurs der Junge ÖVP in Wien bei. Inzwischen ist er dreißig Jahre jung, als Außenminister erfolgreich, der mächtigste ÖVP-Chef aller Zeiten und mögllicherweise auf dem Sprung ins Kanzleramt.

    Am Freitagvormittag vergangener Woche sprengte Kurz seine zuvor selbst gewählten Fesseln und führte aus, was er ÖVP-intern seit langem vorbereitet hatte: Vor der österreichischen und der EU-Flagge unter einem Porträt des jungen Kaisers Franz Joseph rief er Neuwahlen aus. Seitdem herrscht in Österreich „das freie Spiel der Kräfte“; denn SPÖ und ÖVP finden keine gemeinsame Linie mehr.

    Kanzler Christian Kern (SPÖ) hat vor dem Parlament angekündigt, bis zum Neuwahltermin am 15. Oktober mit wechselnden Mehrheiten weiter regieren zu wollen. Die Minister saßen bei der Rede Kerns entgegen der üblichen Gepflogenheit nach Fraktionen getrennt auf der Regierungsbank. Der Kanzler hatte Kurz aufgefordert, das Amt des Vizekanzlers zu übernehmen und so zu garantieren, dass die bisher vereinbarten Projekte im Parlament mit den Stimmen der ÖVP beschlossen werden könnten.

    Doch Kurz weigerte sich und schlug dafür den parteilosen Justizminister Wolfgang Brandstetter vor. Kurz begründete seine Ablehnung mit den vielen Reisen als Außenminister. Kern versteht dieWeigerung aber wohl zu Recht als Absage an eine konstruktive Zusammenarbeit in den kommenden vier Monaten und zog die Reißleine. Kurz dagegen gab sich vertragstreu und kündigte an, mit der SPÖ die vereinbarten Punkte zu beschließen.

    Ganz offensichtlich schwebt Kurz derzeit auf Wolke sieben. Selbstsicher und forsch diktiert er seinen Parteifreunden Abläufe und Inhalte. Kurz tritt nicht als ÖVP-Spitzenkandidat an. Sondern andersherum fungiert die ÖVP als Unterstützer der „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“. Nicht die ÖVP-Parteibasis, sondern Kurz erhält das „Durchgriffsrecht“ bei der Aufstellung von Personal und den Inhalten.

    Dass Kurz Anleihen beim neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dessen Bewegung „En Marche!“ nimmt, sei „ein riskantes Spiel“ des jungen Ministers, sagt der Parteikenner und Politologe Fritz Plasser.

    „Die innerparteilichen Erwartungen an ihn sind überdimensioniert und unrealistisch.“ Es sei unmöglich, „dass eine Person die ÖVP zur Kanzlerpartei machen kann, wenn sie zwischen sieben und zehn Prozent zurückliegt“, betont Plasser. Deshalb stehe Kurz unter großem Druck. Normalerweise komme ein neuer Parteivorsitzender nach einer Niederlage ins Amt und habe dann Zeit, die Partei in ruhigeres Fahrwasser zu bringen und seine Programme zu entwickeln. Das sei jetzt anders. „Kurz kommt aufgrund der Einsicht der Machteliten ins Amt, dass die ÖVP sonst bei den Nationalratswahlen unter die Zwanzig-Prozent-Grenze gerutscht wäre“, sagt Plasser über die kriselnde Partei „Damit hätte sie als Koalitionspartner kein Eigengewicht mehr, der Ansehensverlust wäre substanziell gewesen.“ Der ÖVP-Kandidat Andreas Khol kam bei der Bundespräsidentenwahl nur auf elf Prozent. Der Schock darüber sitzt bis heute in der ÖVP tief.

    Kurz ist alles andere als ein Einzelgänger, sondern kommunikativ. Er kann andere für seine Ideen gewinnen. Dazu gehört die Kritik am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stillstand, der aus dem österreichischen Kammersystem resultiert. In Österreich treffen Arbeitgeber und Gewerkschaften in der Wirtschafts- und Arbeiterkammer die maßgeblichen Entscheidungen und nicht die Parlamente. Ergebnis ist ein Sozialstaat, den viele für aufgebläht halten und den Kurz jetzt aufbrechen will. Die ÖVP-Führung machte Kurz schon länger zu ihrem politischen Vordenker. So war der Jungpolitiker verantwortlich für das „Programm für soziale Innovation“.

    Sollte Kurz an der Spitze seiner Liste seine alte Partei tatsächlich ins Kanzleramt führen, „wird er zu den Heroen der ÖVP-Geschichte gehören“, sagt der Wiener Politikprofessor Plasser.

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