Die politische Landkarte in Österreich ist nach diesem Wahlsonntag fast komplett Türkis gefärbt. Wien sticht als kleiner roter Punkt hervor – in der Hauptstadt führt die SPÖ noch knapp. Das endgültige Ergebnis liegt zwar erst am Donnerstag vor, wenn eine Million Briefwahlstimmen ausgezählt sind, als sicher aber gilt jetzt schon, dass der Abstand zwischen der konservativen Volkspartei und den Sozialdemokraten mit gut und gerne 15 Prozentpunkten noch nie so groß war.
Das Ergebnis von 37 Prozent, sagt Sebastian Kurz, habe ihn überwältigt. „Wir haben fast so viele Stimmen, wie Sozialdemokraten und Rechtspopulisten zusammen“. Dabei fällt auf, dass er seine früheren Koalitionspartner FPÖ zum ersten Mal als „Rechtspopulisten“ bezeichnete. Kurz ist offenbar dabei, sich neu zu orientieren. Gleichzeitig sagt der 33-Jährige aber auch, einer der zentralen Punkte einer neuen Regierung müsse eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik sein. Steuererhöhungen, auch aus ökologischen Gründen, lehne er grundsätzlich ab. Obwohl einflussreiche Parteifreunde wie der frühere Parteichef Erhard Busek schon empfehlen, nun „lang und ausdauernd“ mit den Grünen zu verhandeln, sitzt die Skepsis bei den Konservativen tief. Nur 20 Prozent der ÖVP-Wähler befürworten nach einer neuen Umfrage eine Allianz mit den Grünen.
Sozialdemokraten lecken nach dem Wahl-Debakel in Österreich ihre Wunden
Sein Verhandlungsgeschick habe Kurz bereits bewiesen, lobt auch der ehemalige Parlamentspräsident Andreas Khol, ein ÖVP-Urgestein. Khol hat schon 2002 an der Seite des späteren Kanzlers Wolfgang Schüssel über eine Koalition mit den Grünen verhandelt. Damals scheiterten die Verhandlungen angeblich aus purem Kalkül, weil Schüssel der FPÖ weniger Zugeständnisse machen musste als den Grünen und deshalb das Bündnis mit ihnen vorzog. Der heutige Grünen-Vorsitzende Werner Kogler saß damals neben dem heutigen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen schon mit am Verhandlungstisch.
Die Sozialdemokraten lecken nach dem Debakel erst einmal die Wunden. In wenigen Wochen stehen Landtagswahlen in Vorarlberg, in der Steiermark und im Burgenland an. Geschäftsführer Wolfgang Drozda, ein enger Vertrauter von Pamela Rendi-Wagner, ist bereits zurückgetreten. Die Parteichefin selbst bleibt offenbar im Amt – zumindest vorerst. „Es drängt sich keine Alternative auf“, klagt ein prominenter Sozialdemokrat. Und natürlich stehe die SPÖ als kleinerer Koalitionspartner zur Verfügung, sollten die Gespräche mit den Grünen scheitern. Auch der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, eine Instanz in der Partei, wirbt offen für eine Koalition mit Kurz.
Die rechtspopulistische FPÖ will sich dagegen erst einmal in der Opposition erneuern und dazu offenbar auch mit ihrem einstigen Vorsitzenden und Vizekanzler Heinz Christian Strache brechen. Fanden sich nach dem Ibiza-Video noch viele Parteifreunde, die die Verdienste des langjährigen Parteichefs würdigten, trifft die Spesenaffäre nun auf keinerlei Verständnis mehr. Dass Strache sein Privatleben teilweise auf Kosten der Partei finanziert haben könnte, erscheint der freiheitlichen Basis unverzeihlich. Am Dienstag soll über einen Parteiausschluss beraten werden. Strache selbst behauptet, bei der Spesenaffäre handle es sich um eine Intrige. Ob seine Frau Philippa ins Parlament einzieht, ist noch unklar. Sie hat in Wien zwar einen aussichtsreichen Listenplatz belegt, liebäugelt nach Medienberichten aber mit einem Verzicht auf das Mandat.
Sebastian Kurz fordert einen „Umgang in Würde und Respekt“
Kurz appelliert unterdessen an seine Gegner, den politischen Stil zu ändern und künftig einen „Umgang in Würde und Respekt“ zu pflegen. Er sehe drei Koalitionsvarianten, erklärt er am Tag nach der Wahl: Mit der Sozialdemokratie, mit der Freiheitlichen Partei und mit den Grünen bzw. in einer Dreierkoalition mit den Grünen und den Neos. Die Liberalen erzielten acht Prozent und könnten eine Parlamentsmehrheit mit den Grünen vergrößern. Kurz hat jetzt vor, „verantwortungsvoll mit allen Parteien Gespräche zu führen und zu sondieren, wo eine Koalitionsmehrheit möglich wäre“. Dann wolle er sich unabhängig vom Druck der Medien entscheiden.
Der Kampf gegen den Klimawandel, schiebt er dann an die Adresse der Grünen noch nach, sei für ihn zwar wichtig. Nach wie vor aber sei es auch wichtig zu wissen, „wer bei uns lebt. Also die Migration zu kontrollieren und die Wirtschaft zu stärken.“ (mit dpa)
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