Auf europäischer Ebene sorgt der österreichische Kanzler für Entrüstung und für Kopfschütteln: Mit seinem letztendlich missglückten Manöver in Brüssel, mittels Vetodrohung für Österreich mehr Impfdosen herauszuschlagen, hat sich Sebastian Kurz nach Meinung zahlreicher Stimmen in der internationalen Presse auf dem europäischen Parkett selbst isoliert.
Von einer „peinlichen Niederlage“ sprechen EU-Diplomaten hinter vorgehaltener Hand. Kurz sei gar „Persona non grata“ am Brüsseler Parkett, schreibt das Magazin politico.eu. Nicht nur diplomatisch und PR-technisch, auch rein praktisch ein massiver Fehlschlag von Kurz: Österreich erhielt von den zehn Millionen zusätzlichen Impfdosen nur den Pro-Kopf-Anteil von knapp 200.000, nun gibt es aber 30.000 an Tschechien ab – und steht damit schlussendlich mit weniger Impfstoff da, als es ohne die Kurz-Aktion erhalten hätte.
Sebastian Kurz kann nicht auf Entspannung am Osterwochenende hoffen
Zuhause in Wien kann Kurz allerdings am Osterwochenende keineswegs auf Entspannung hoffen. Im Gegenteil, für den einst so gefeierten Kanzler wird es politisch immer ungemütlicher. Ein Skandal rund um seine Vertrauten jagt den nächsten, der Grund dafür sind umfangreiche Chat-Protokolle aus mehreren Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft, die in den vergangenen Tagen und Wochen stückweise an die Öffentlichkeit gelangten: Sie offenbaren ein dichtes Netzwerk zwischen Spitzenpolitikern der Kurz-Partei ÖVP und Konzernen wie beispielsweise dem Glückspiel-Riesen Novomatic, aber auch einen dichten parteipolitischen Filz im Interesse der Kanzlerpartei im – aktuell von der Grünen Alma Zadic geführten – Justizministerium.
Die Chatverläufe wirken stellenweise skurril und hochnotpeinlich, vor allem aber zeigen sie die machtpolitische Hybris, mit der Kurz und seine engsten Vertrauten sich die bestdotierten Posten in staatsnahen Institutionen aufteilten. Und sie zeigen, wie die Kurz-Partei Einfluss auf Zeitungen und Medien nimmt und wie sie selbst die ihr eigentlich nahestehende katholische Kirche attackiert.
Kurz: „Kriegst eh alles, was du willst“
Zentrale Figur dabei ist eine ÖVP-Mann, bei dem seit der ersten Kanzlerschaft von Sebastian Kurz Ende 2017 zahlreiche Fäden zusammenlaufen: Thomas Schmid, der sich vom Presse-Beauftragten schließlich zum Kabinettschef und später zum Generalsekretär im stets ÖVP-geführten Finanzministerium hinaufdiente und dank Sebastian Kurz dort ankam, wo er immer hinwollte: An die Spitze der staatsnahen Beteiligungs-AG ÖBAG, die das Familiensilber der Republik, darunter Konzerne wie den Energieriesen „Verbund“, verwaltet.
Seit 2019 ermittelt die Staatsanwaltschat gegen Schmid wegen Beihilfe zum Amtsmissbrauch, er soll 2017 rechtswidrig einen Steuerakt eingesehen haben – offenbar ein Gefallen, den er seiner Schwester wegen eines Nachbarschaftsstreits erwiesen hatte. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), wie berichtet, seit geraumer Zeit das Ziel von Attacken der Kurz-Partei, beschlagnahmte Schmids Smartphone. Und obwohl dieser das Gerät vorher auf Werkeinstellungen zurückgesetzt hatte, stellten die IT-Spezialisten der Staatsanwaltschaft sage und schreibe 300.000 Nachrichten sicher. Und die haben es in sich.
Die Chatverläufe zeigen, wie Schmid sich in Absprache mit der Parteispitze selbst zum Alleinvorstand der ÖBAG machte, und auch die Besetzung des Aufsichtsrats mitentschied: „Wenn bei Wirtschaft (gemeint: Wirtschaftsministerium, Anm.), verschwinden die Dividenden! Dort auch schlechtes Management!“, beklagte sich Schmid 2017 beim damals designierten Kanzler Kurz, als in den Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ im Raum stand, die ÖBAG dem Wirtschafts-, und nicht dem Finanzministerium zu unterstellen.
Dazwischen war er verzweifelt: „Ich stürze mich heute in die Donau und du bist schuld!“, schrieb er an den amtierenden Finanzminister und Kurz-Intimus Gernot Blümel, aktuell ebenfalls Beschuldigter in einem Bestechungs-Verfahren. „Alles ein Schaas“ (Wienerisch für „Pfurz“, Anm.), antwortet Blümel. Als Schmid schließlich am Ziel angelangt war, gab es kein Halten mehr: „SchmiedAG fertig“, ließ Gernot Blümel wissen. „Kriegst eh alles, was du willst“, versicherte Kurz. „Ich bin so glücklich ... Ich liebe meinen Kanzler!“, antwortete Schmid.
„Vollgas“ gegen die katholische Kirche
Als im Winter 2018/19 die katholische Kirche medial Kritik an der ÖVP-FPÖ-Flüchtlingspolitik übte, ließ die Antwort der Kurz-ÖVP nicht lange auf sich warten: Schmid, damals noch Generalsekretär im Finanzministerium traf sich im März 2019 mit dem Chef der katholischen Bischofs-Konferenz, Peter Schipka – und drohte diesem damit, die steuerlichen Begünstigungen der Kirche abzuschaffen. „Ja super, bitte Vollgas geben“, ermutigte Kurz Schmid im Vorfeld. Nach dem Termin berichtete Schmid an seinen Chef: „Also Schipka war fertig! (…) „Er war zunächst rot dann blass dann zittrig. Er bot mir Schnaps an den ich in der Fastenzeit ablehnte (…)“, textete Schmid. „Super danke vielmals!!!! Du Aufsichtsratssammler“, lautete Kurz‘ Antwort.
Die neue Regierung in Österreich
Seit 7. Januar ist in Österreich die neue Bundesregierung aus konservativer ÖVP und Grünen offiziell im Amt. Bundeskanzler ist nach wie vor der 33 Jahre alte Sebastian Kurz.
Die ÖVP stellt gemäß dem Wahlergebnis vom September die meisten Minister.
Das Kabinett ist mit einer Frauenquote von 53 Prozent so weiblich wie noch nie.
Dem Kabinett gehört mit der 35-jährigen Justizministerin Alma Zadic (Grüne), einer gebürtigen Bosnierin, erstmals eine Ministerin mit Migrationshintergrund an. Mit Leonore Gewessler, der ehemaligen Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000, leitet eine Grüne auch das Umweltressort.
ÖVP und Grüne hatten bei der Nationalratswahl Ende September jeweils deutliche Zugewinne erzielt. Die Grünen schafften etwa mit einem Stimmenzuwachs von rund 10 Prozentpunkten den Wiedereinzug in das österreichische Parlament.
Zu den wesentlichen Zielen der Koalition zählen der Klimaschutz und der Kampf gegen die illegale Migration. (msb)
Als sich Schmid erst noch am Weg zur ÖBAG-Spitze befand, intervenierten er und Kurz bei Medien wie der Presse und dem Kurier – teils recht erfolgreich. Schmid wollte nicht, dass sein Name aufscheint. „Ich will keine ÖBIB Storys mehr“ (Vorläufer der ÖBAG, Anm.), ließ er einen Pressesprecher wissen. Die würden ihm nur schaden. Der Chefredakteur des Kurier, Helmut Brandstätter, musste schließlich zu Gunsten seiner Kurz-treuen Stellvertreterin den Hut nehmen. Im Ibiza-Untersuchungsausschuss dementierte Kurz, dass sein „Umfeld unleidliche Journalisten entfernt“ habe. Mehrere Kurier-Journalisten haben nun Anzeige gegen Kurz eingebracht – wegen Falschaussage vor dem U-Ausschuss. „Die Redaktion des Kurier hat das immer wieder mitbekommen, auch in anderen Redaktionen in Wien wurde darüber geredet, dass SK (Sebastian Kurz, Anm.) den Chefredakteur rauswerfen lassen werde“, ist in der Anzeige zu lesen. Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob gegen Kurz ermittelt wird.
So entlarvend die Chats aus Schmids iPhone sind – die meisten der Peinlichkeiten dürften strafrechtlich nicht relevant sein. Tatsächlich berichtet das Magazin trend davon, dass die Kurz-ÖVP die Nachrichten selbst vor einer Woche an die Medien spielen wollte – anlässlich eines „Hintergrundgesprächs“ mit ausgewählten Journalisten. Das Ziel: Der Geschichte den entsprechenden Dreh zu geben. Die – peinlichen und vielsagenden, aber wohl strafrechtlich weniger relevanten – Chats als Ablenkungsmanöver?
Korruptionsermittler ohne Befugnisse
So einiges spricht dafür. Denn auf einem anderen, in Österreich stark unterbelichteten Schauplatz, spielt sich etwas ab, das man getrost als Versuch der Entmündigung der WKStA-Korruptionsermittler bezeichnen kann. Seit dem Ibiza Skandal attackiert die Kurz-Partei in stetig zunehmender Virulenz die Staatsanwaltschaft, der sie es zu verdanken hat, dass nun sie – und nicht mehr die FPÖ – im Zentrum der Ibiza-Ermittlungen steht. Nach der Hausdurchsuchung bei ÖVP-Finanzminister Blümel – ihm wird unter anderem Bestechlichkeit vorgeworfen, im Zuge eines Steuerproblems der Glücksspielfirma Novomatic in Italien – lancierte die ÖVP-Spitze Pläne, die Korruptionsstaatsanwaltschaft gleich gänzlich zu zerschlagen und ihre Kompetenzen auf vier andere Staatsanwaltschaften aufzuteilen. „Mit uns sicher nicht“, sagte damals dazu die Klubobfrau der Grünen im Parlament, Sigrid Maurer.
Nun aber wird es tatsächlich ernst für die WKStA. Klammheimlich, ohne jede vorherige öffentliche Ankündigung oder Diskussion und im Zuge des Umbaus des Verfassungsschutzes BVT schickte die Koalition am vergangenen Palmsonntag eine Gesetzesnovelle in Begutachtung, die der WKStA vorschreibt, künftig um „Amtshilfe“ ersuchen zu müssen, wenn sie gegen Beamte oder Bedienstete in Behörden und Ämtern ermittelt. Das heißt im Klartext: Die Korruptionsermittler sollen bitten, dass mögliches Beweismaterial freiwillig herausgegeben wird. Die Behörde, gegen die ermittelt wird, wäre demnach schon vor den Ermittlungen zu informieren, Hausdurchsuchungen wären so wohl kaum mehr möglich. Und wenn doch, könnten die Betroffenen Widerspruch einlegen, und dies würde nach Meinung zahlreicher Experten zu langwierigen Verfahren führen – also zu großem Zeitverlust.
Bemerkenswert ist nun das Verhalten der Grünen: Das sei lediglich „die Umsetzung aktueller Rechtsprechung“, sei „von allen Parteien befürwortet“ worden und habe „mit den Ermittlungsbefugnissen der WKStA nichts zu tun“, äußerte sich Maurer bei Twitter. Inhaltlich richtig ist das nicht, wie zahlreiche Spitzen-Juristen und auch Politiker der Oppositionsparteien betonen. Eingebracht wurde die Novelle übrigens nicht vom Justizministerium – sondern vom ÖVP-geführten Innenressort.
Top-Justiz-Beamter mit Doppelrolle
Dass das Justizressort der Grünen Alma Zadic damit nichts zu tun hat, glauben Ministeriums-Insider keineswegs. Es gebe hinreichend Grund zur Annahme, dass auch persönliche Verbindungen von Spitzenbeamten im Justizressort zur ÖVP mitgespielt haben könnten. „Wir befürchten, das kommt auch aus unserem Haus“, sagen Beamte, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollen.
Ein Rechercheteam von Standard, profil und dem ORFsorgte vor dem Osterwochenende für eine erneute Bombe. Im Zentrum: Christian Pilnacek. Der mächtige, ÖVP-nahe Sektionschef im Justizministerium wird in einer anderen Causa ebenfalls als Beschuldigter geführt, aktuell ist er vom Dienst suspendiert. In der Vergangenheit traf sich Pilnacek auch gern mal privat zum Austausch mit hochrangigen, in Korruptionsaffären Beschuldigten mit ÖVP-Hintergrund. Obwohl er von Amtswegen nicht mehr für die Sektion Strafrecht zuständig ist, fanden die Ermittler auf Pilnaceks Handy Unglaubliches: Der Beamte verfügte über Aktenteile, aus denen Ermittlungsschritte der WKStA gegen Finanzminister Blümel hervorgehen – Dokumente, die die Hausdurchsuchung bei Blümel ankündigen.
Die Aktenteile stammten von Blümels Kabinettschef im Finanzministerium, Clemens-Wolfgang Niedrist. Chat-Nachrichten auf Pilnaceks Handy zeigen, dass Pilnacek, einem Berater gleich, Niedrist die Empfehlung gab, gegen die eigene Behörde, also die WKStA, juristisch vorzugehen. „Das ist ein Putsch!! … “, schrieb Pilnacek an Niedrist, als er von ihm vom Vorhaben der Korruptionsermittler erfuhr. „Wer vorbereitet Gernot (Blümel, Anm.) auf seine Vernehmung?“, wollte Pilnacek von Niedrist wissen. Sogar eine parlamentarische Anfrage der ÖVP ans grün-geführte Justizministerium soll Pilnacek der Sachlage nach mitvorbereitet haben.
Justiz-Insider befürchten das Schlimmste
Und auch von Johann Fuchs, seines Zeichens amtierender Chef der Oberstaatsanwaltschaft Wien und damit oberste Behörde der Korruptionsermittler der WKStA, soll Pilnacek Aktenteile eben der Korruptionsermittler in der „Ibiza-Affäre“ zugeschickt bekommen haben. Screenshots mit der Kennung „fuchsjo“, die sich auf Pilnaceks Handy fanden, legen nahe, dass es Fuchs war, der diese ausgedruckt, abfotografiert und an Pilnacek geschickt hat. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck ermittelt längst gegen Fuchs, wegen des Verdachts des Geheimnisverrats. Auch Pilnacek ist nun selbst Beschuldigter, für beide gilt die Unschuldsvermutung.
Fuchs wurde zudem die Aufsicht über die WKStA vorläufig entzogen. Einzig: Fuchs ist sich, zumal laut Aussage vor dem Ibiza-U-Ausschusses im Parlament, keinerlei Schuld bewusst. Er könne nicht ausschließen, dass er, um „fachlich zu diskutieren“, Dokumente aus Verschlusssachen weitergeleitet habe. Wie viele solcher Interventionen hatte das ÖVP-nahe Netzwerk in der Justiz in den vergangenen Jahren nach ähnlichem Muster durchgezogen?
Für die Beamten in den Staatsanwaltschaften und im Ressort selbst, das berichten die Insider, sei es unverständlich, dass Ministerin Zadic nicht auf einem Rücktritt sowohl von Pilnacek als auch von Oberstaatsanwalt Fuchs besteht: „Die Justiz schafft leider keine Selbstreinigung von innen.“ Man habe „die Chance verpasst, einen klaren Schnitt zu tun.“ Und punkto Gesetzesnovelle für die WKStA erwarten viele das Schlimmste. Es werde nach sicherlich kritischen Stellungnahmen in der Begutachtungsphase ein paar „kosmetische Änderungen“ geben, so die interne Erwartung. An den harten Tatsachen werde das aber nichts ändern: Der Anti-Korruptionsbehörde würden „die Zähne gezogen“.
Lesen Sie dazu auch:
- Wie Österreich in die dritte Corona-Welle taumelt
- Korruptionsskandal: Österreichs Kanzler Kurz legt sich mit der Justiz an
- Die Corona-Strategie von Österreichs Kanzler Kurz lautet: "Schau’n wir mal"