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Österreich: Bundespräsidentenwahl in Österreich: Van der Bellen und Hofer im Duell

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Bundespräsidentenwahl in Österreich: Van der Bellen und Hofer im Duell

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    Gewinnt Hofer (r) am Sonntag gegen Van der Bellen, wäre er der erste Rechtspopulist an der Spitze eines Staates in Westeuropa.
    Gewinnt Hofer (r) am Sonntag gegen Van der Bellen, wäre er der erste Rechtspopulist an der Spitze eines Staates in Westeuropa. Foto:  Christian Bruna (dpa)

    „Aber spielts nachher auch Weihnachtslieder,“ sagt Bürgermeister Manfred Wegscheider oben auf der Bühne. „Stille Nacht, heilige Nacht“, so was, oder „Wenn die Zimtsterne leuchten“ von der aktuellen Weihnachtsplatte. Hauptsache, die „Edlseer“, wie die volkstümlichen Musikanten heißen, bringen den Hauptplatz von Kapfenberg in Stimmung. In der drittgrößten Stadt der Steiermark mit ihren 23.000 Einwohnern wird die Eröffnung des Christkindlmarktes groß gefeiert. Es wird getanzt und geschunkelt. Viele haben Bierflaschen in der Hand oder ein Glas mit gutem steirischen Wein, für dampfenden Punsch ist es den meisten noch zu warm. „Die Edlseer“, Untertitel: Stoark wia die

    „Sie wissen ja gar nicht, was in den letzten Tagen hier los war“, sagt der Bürgermeister unter vier Augen. „Wir sind ja schon einiges gewohnt von der FPÖ. Aber jetzt mussten wir eingreifen.“ Kurz vor dem Wiederholungstermin der Stichwahl zum Bundespräsidenten hat sein Stellvertreter, der Rechtspopulist Reinhard Richter, auf Facebook den grünen Kandidaten Alexander Van der Bellen mit Adolf Hitler gleichgesetzt. Die Wahlplakate zeigen den 72-Jährigen mit seinem Deutsch-Drahthaar-Mischling vor einer Alpenkulisse.

    Stichwahl am Sonntag: Van der Bellen oder Hofer

    Warum der Kommunalpolitiker den provokanten Vergleich inszeniert hat, sagt er nicht. Am Telefon verweist er auf den Sprecher der Landespartei. Der ruft aber nicht zurück. „Richter ist in der Versenkung verschwunden“, sagt Wegscheider. „Wir haben seinen Rücktritt gefordert, sogar die ÖVP war so mutig und hat uns unterstützt. Einen aufrechten Demokraten mit einem Massenmörder zu vergleichen, das ist schon ein starkes Stück.“

    Der Vorfall zeigt, wie brisant die Stimmung vor der Stichwahl am Sonntag ist. Österreich steht vor einer Richtungsentscheidung. Die Wahl hat Signalcharakter auch für die weitere Entwicklung des Rechtspopulismus in Europa. Umfragen deuten auf ein neuerliches Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Van der Bellen, 72, und FPÖ-Mann Norbert Hofer, 45, hin. Die erste Stichwahl im Mai, die später für ungültig erklärt wurde, hat der Grüne hauchdünn für sich entschieden, vor allem dank seiner Stärke in den Großstädten. Hofer punktete auf dem Land. Auch in Kapfenberg, wo er 60 Prozent holte.

    Wie kommt es, dass die Freiheitlichen hier so erfolgreich sind? Kann man die steirische Region mit dem amerikanischen Rust Belt vergleichen, der abgestürzten früheren Industrie-Hochburg, in der Donald Trump vor drei Wochen so viele Stimmen holte? „Uns geht es sehr gut“, sagt Bürgermeister Wegscheider. „Doch als im Herbst 2015 unkontrolliert die Ausländer über die offene Grenze gekommen sind, haben viele Angst davor bekommen, dass die, die noch weniger haben, ihnen etwas wegnehmen.“

    Die Obersteiermark ist auch eine alte Industrieregion. Das Stahlwerk Böhler war im Ersten und im Zweiten Weltkrieg Zentrum der Rüstungsindustrie in Österreich. Später wurde das Unternehmen verstaatlicht, erlebte in der Stahlkrise der achtziger Jahre seinen Niedergang und ist inzwischen an der Börse notiert. Viele Jobs gingen verloren, wenngleich die Arbeitslosigkeit in Kapfenberg insgesamt niedriger ist als andernorts in der Steiermark.

    Vor dem Werkstor bei Schichtwechsel sind die Flüchtlinge ebenso ständiges Thema wie im Wirtshaus. Dabei sind 2015 nur 56 Flüchtlinge nach Kapfenberg gekommen. Die nächste große Asylbewerber-Unterkunft steht im 15 Autominuten entfernten Leoben. „Auch nach den Balkankriegen haben wir Flüchtlinge aufgenommen. Aber einem Kroaten sehen Sie nicht an, dass er Ausländer ist“, sagt Wegscheider. „Die Ausländer, die jetzt gekommen sind, denen sieht man es an.“

    Gewinnt Van der Bellen, bliebe Österreich auf EU-Kurs

    Der Bürgermeister versucht, gegen die Vorbehalte anzukämpfen. Es gibt eine eigene Stadtpolizei mit 17 Beamten, die Präsenz zeigt. Wegscheider bemüht sich um Industrie-Ansiedlungen. „Das darf nicht durch die Blauen kaputtgemacht werden“, sagt er. Blau ist die Farbe der FPÖ. Deshalb bezieht er jetzt so deutlich Stellung gegen Richter, der übrigens in Kapfenberg ein privates Nachhilfeinstitut für Kinder leitet. „Ich will nicht seine Existenz zerstören. Aber Vizebürgermeister kann er nicht bleiben.“

    Richters Foto-Fehltritt passt eigentlich gar nicht in die Wahlkampfstrategie von Norbert Gerwald Hofer. Der Freiheitliche präsentiert sich betont als guter Demokrat und Saubermann. Dass er etliche Bücher mit rechtsextremen Inhalten herausgegeben hat, wischt er weg. Er habe sie ja nicht geschrieben, verteidigt er sich. Seine Mitarbeiter, die teilweise in rechtsextremen Kreisen verkehren, will er auch behalten, sollte er als Bundespräsident in die Wiener Hofburg einziehen. „Ich halte, was ich verspreche“, sagt er in seinen Wahlvideos. Qual der Wahl: Österreichs mühsame Suche nach dem Staatsoberhaupt

    Alexander Van der Bellen, der Wirtschaftsprofessor, hat nach fast einem Jahr Wahlkampf verstanden, wie er mit Hofer diskutieren muss. Er fällt nicht mehr auf dessen rhetorische Spielchen herein, sondern spricht sie direkt an. „Jetzt behaupten Sie wieder, ich sei vergesslich“, sagt er beispielsweise, als Hofer eine Anspielung auf sein Alter macht. Van der Bellen hat bei der zweiten Stichwahl sehr viel mehr Unterstützung als noch bei der ersten. So hat sich eine stark von konservativen ÖVP-Funktionären getragene Initiative mit 136 Bürgermeistern gebildet, die ihn unterstützt. Auch Manager und andere Wirtschaftsvertreter haben sich hinter ihn gestellt, vor allem, weil sie anti-europäische und damit wirtschaftsfeindliche Aktivitäten von Hofer befürchten. „100.000 Arbeitsplätze in Österreich hängen an der EU. Die dürfen wir nicht aufs Spiel setzen“, sagt Hans Peter Haselsteiner, Chef des Baukonzerns Strabag.

    Gewinnt Van der Bellen, bliebe Österreich auf EU-Kurs. Die rot-schwarze Regierungskoalition hätte Zeit gewonnen und die FPÖ es schwerer, den nächsten Kanzler zu stellen. Denn Van der Bellen will FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache selbst bei einem Sieg bei den nächsten Parlamentswahlen spätestens 2018 nicht mit der Regierungsbildung beauftragen.

    Gewinnt Hofer, droht zwar kein sofortiger Austritt aus der EU, aber eine fundamental europakritische Haltung im Land. Er will sich, anders als seine Vorgänger, in die Tagespolitik einmischen und der Regierung speziell in Fragen der Flüchtlingspolitik auf die Finger schauen. Obendrein wäre sein Sieg wohl nur eine Etappe auf dem Weg der FPÖ ins Kanzleramt.

    Kürzlich im noblen Kursalon Hübner im Zentrum Wiens. Hofer und Parteichef Strache haben den früheren tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus eingeladen. Auf goldfarbenen Stühlen mit Samtbezügen sitzen an die 500 Menschen mittleren Alters. Lautstark bejubeln sie die EU-kritischen und ausländerfeindlichen Reden. Kurz vorher gab es eine ähnliche Veranstaltung im Grand Hotel am Ring, bei der sich israelische Rechtspolitiker für einen Präsidenten Hofer und einen Kanzler Strache aussprachen, die den „Antisemitismus der Muslime“ in Österreich verhindern sollen.

    „Wenn Hofer gewählt wird, bleibt hier kein Stein auf dem anderen“, fürchtet Lotte, die in der Universitätsverwaltung in Wien arbeitet. „Dann wird die gesamte Wissenschaftspolitik blau werden.“ Lotte hat Angst davor, dass auf einen Bundespräsidenten Norbert Hofer ein Bundeskanzler Heinz-Christian Strache folgt. Dann würden alle wichtigen Positionen in der Universität – und nicht nur dort – neu besetzt. Die in der jahrzehntelangen Tradition einer Großen Koalition festgefahrenen Sozialdemokraten und Konservativen haben ihren Proporz so weit getrieben, dass Strukturen und Posten in öffentlichen Einrichtungen als unveränderbar gelten. Die FPÖ dürfte mit dieser Tradition Schluss machen. Österreich rutscht immer tiefer in eine Demokratie-Krise

    "Sicher ist, dass nach einem Jahr Wahlkampf alle erschöpft sind"

    „Hofer-Wähler wollen, dass sich endlich etwas ändert“, sagt der Bürgermeister von Kapfenberg. Auch wenn nur schwer zu erfahren ist, was genau sie geändert haben wollen. Dass Van der Bellen „ein Befehlsempfänger von Angela Merkel“ sei, wie es auf FPÖ-Plakaten heißt, kommt jedenfalls an. Ob der Grüne zu diesen Leuten durchdringt, wenn er sagt, dass solche Sprüche der österreichischen Wirtschaft und speziell dem Tourismus schaden – wer weiß das schon?

    Der Professor ist den Sommer über vor allem in kleinere Gemeinden gereist, ins Hofer-Gebiet sozusagen. Er ist dort gewandert, hat sich heimatverbunden gezeigt und am Schicksal der Landbevölkerung interessiert. Meinungsforscher sagen, seine Werte hätten sich auf dem Land etwas verbessert. Doch mit Prognosen für die Stichwahl halten sie sich vornehm zurück nach den Falschmeldungen im Mai.

    Sicher ist, dass nach einem Jahr Wahlkampf alle Beteiligten erschöpft sind. „Das 0:0 reicht beiden“, analysieren Politikberater die noch laufenden TV-Debatten. „Sie können nicht mehr und warten nur noch auf das Elfmeterschießen.“ Hofer verspricht, dass seine Partei das Ergebnis nicht noch einmal anfechten wird. Das wird wohl auch kaum nötig sein. Der Klebstoff an den Briefwahlunterlagen, der die Neuauflage der Stichwahl im Oktober verhindert hat, scheint diesmal zu halten. Die Wahlbehörden werden sich bemühen, keinen Fehler zu machen. 400 OSZE-Vertreter beobachten das Geschehen. Verhältnisse wie sonst in Kasachstan.

    Vieles hängt jetzt von der Wahlbeteiligung ab. Babsi in Kapfenberg, 19 Jahre alt, will ihre Stimme jedenfalls nicht abgeben. „Ich interessiere mich nicht für Politik“, sagt sie. „Es sind sowieso alle unterschiedlicher Meinung. Woher soll ich wissen, was richtig ist?“

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