SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hat die Union für mangelnde Fortschritte in der Bekämpfung der Armut in Deutschland verantwortlich gemacht. „Der neue Armuts- und Reichtumsbericht muss uns alle beschämen und aufrütteln“, sagte der SPD-Vorsitzende unserer Redaktion. „Eine der bitteren Erfahrungen mit der großen Koalition ist, dass wirksame Armutsbekämpfung immer nur gegen großen Widerstand der Parteien zu machen ist, die auf das C im Namen großen Wert legen“, kritisierte Walter-Borjans die Union.
„Bei Steuergeschenken für Reiche und das Offenhalten von Schlupflöchern für die eigene Klientel spielen die Kosten für die Allgemeinheit dagegen keine Rolle“, sagte er. „CDU und CSU stehen regelmäßig auf der Bremse, wenn es um mehr soziale Gerechtigkeit geht, sie gehören auf die Oppositionsbank“, betonte Walter-Borjans.
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans: Kluft zwischen arm und reich wird größer
„Millionen Bürgerinnen und Bürger müssen mitten in Deutschland mit weniger Geld auskommen als man zu einem würdigen Leben braucht“, kritisierte der SPD-Vorsitzende. „Der Kampf gegen Armut gehört höher auf die Tagesordnung“, betonte er. Sie SPD habe in der Koalition gleichwohl zahlreiche Armutsrisiken abmildern können, sagte Walter-Borjans. So habe die Kurzarbeit in der Coronakrise Millionen Jobs gesichert.
„Die Grundrente stockt Niedrigsteinkommen von mehr als einer Million Rentnerinnen und Rentner auf, und wir haben einen Mindestlohn durchsetzt – der allerdings dringend erhöht werden muss“, fügte der SPD-Chef hinzu. „Die Hilfen haben nicht verhindern können, dass die Kluft zwischen arm und reich größer wird“, räumte er jedoch ein.
SPD will Mindestlohn um 30 Prozent erhöhen
Walter-Borjans versprach bei einem Wahlsieg der SPD eine Erhöhung des Mindestlohns um 30 Prozent auf zwölf Euro. "Die SPD und unser Kanzlerkandidat Olaf Scholz haben mit dem Zukunftsprogramm einen klaren Plan, um Abhilfe zu schaffen", sagte er.“
Zuvor hatte das Bundeskabinett den Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt. Demnach hat sich die Armut in Deutschland h in den vergangenen Jahrzehnten verfestigt: Für Langzeitarbeitslose und Menschen in prekären Jobs gibt es immer weniger Aufstiegsmöglichkeiten. DDie Wahrscheinlichkeit, dass ein in Armut lebender Mensch fünf Jahre später noch immer arm ist, stieg demnach seit Ende der Achtzigerjahre von 40 auf 70 Prozent.
Sozialverbände fordern Kurswechsel
Zahlreiche Sozialverbände mahnten deshalb einen politischen Kurswechsel an. Auch die Linken-Vorsitzende Katja Kipping rief zu Konsequenzen auf: "Diese Ungleichheit ist ein Sprengsatz an den Grundpfeilern der Demokratie", warnte sie. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie forderte "eine Infrastruktur, die allen Menschen offensteht, damit sie nicht nur räumlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln von A nach B, sondern auch sozial von unten nach oben kommen können". Der Sozialverband VdK machte sich dafür stark, die Hartz-IV-Sätze und den gesetzlichen Mindestlohn zu erhöhen und die prekäre Beschäftigung einzudämmen.
Auch Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) räumte Handlungsbedarf ein: Die staatliche Grundsicherung müsse reformiert werden und der Mindestlohn auf 12 Euro pro Stunde steigen. Gleichzeitig hob Heil auch positive Entwicklungen hervor: Bei den Beschäftigten im untersten Einkommensbereich etwa seien die Löhne durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns überdurchschnittlich stark gestiegen. Zudem lebe der Großteil der Deutschen in stabilen sozialen Lagen: "Deutschland ist keine Abstiegsgesellschaft."
Geringverdiener und befristet Beschäftigte leiden am meisten
Der Armuts- und Reichtumsbericht wird alle vier Jahre erstellt und soll eine Bestandsaufnahme der sozialen Lage im Land liefern. Bei der sechsten Auflage spielten auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie eine zentrale Rolle. Von den wirtschaftlichen Auswirkungen seien vor allem Geringverdiener und befristet Beschäftigte betroffen. Der Bericht hebt aber auch hervor, dass staatliche Maßnahmen wie Hilfspakete und Kurzarbeitergeld die negativen Folgen abgemildert hätten: "Diese Hilfen haben (...) die wirtschaftlichen Härten besonders für die untere Einkommensmitte abgefedert."
Der Regierungsbericht zeigt ferner, wie ungleich der Reichtum in Deutschland verteilt ist: Die oberen zehn Prozent der Gesellschaft besitzen demnach fast 64 Prozent des Nettogesamtvermögens - noch mehr als bislang vermutet. Die Nationale Armutskonferenz - ein Bündnis von mehreren Organisationen und Initiativen - sieht dadurch den sozialen Frieden gefährdet und fordert "entschiedene Schritte zur Umverteilung". (mit dpa)
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