Am Samstag wählt die CDU einen neuen Chef. Der Parteitag findet digital statt – Ihre Bewerbungsrede halten Sie also quasi ins Leere. Haben Sie schon geprobt?
Norbert Röttgen: Auch vor einem Parteitag mit Publikum würde ich mich vorbereiten. Aber natürlich werden die Emotionen und die Atmosphäre fehlen. Als Redner spricht man in eine dunkle Kamera hinein. Man spürt nicht, wie die Delegierten reagieren, kann nicht mit ihnen inter-agieren. So etwas lässt sich nicht üben. Auch deshalb wird der Parteitag so spannend.
Spannend bleibt auch, wer gewinnt. Normalerweise schlägt auf solchen Parteitagen die Stunde der Strippenzieher, Mehrheiten werden oft hinter den Kulissen organisiert. Wie wird es dieses Mal laufen?
Röttgen: Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Die Delegierten haben auch sonst keine große Lust, sich von ihrem Landes- oder Kreisvorsitzenden sagen zu lassen, wem sie ihre Stimme geben sollen. Aber es stimmt natürlich, dieses Mal wird das ganz anders. Wenn alle zu Hause im Wohnzimmer sitzen statt gemeinsam in einer großen Halle, dann muss jeder mit sich selber ausmachen, welchen Kandidaten er am überzeugendsten findet. Und wer weiß, vielleicht hören ja auch die Ehefrau und die Kinder zu und wollen auch noch ein Wort mitreden.
Wenn die Ehefrauen entscheiden, wäre das gut für Sie und schlecht für Friedrich Merz, oder? Die Frauen-Union hat sich zumindest gerade gegen ihn ausgesprochen.
Röttgen: Das war natürlich nur ein rein fiktives Beispiel...
Sie selbst kommen bei den Frauen in der CDU besser an. Auch, weil Sie sich für eine Frauenquote ausgesprochen und mit Ellen Demuth eine weibliche Generalsekretärin in Aussicht gestellt haben, sollten Sie Parteichef werden. Muss der aktuelle Generalsekretär Paul Ziemiak dann seine Koffer packen?
Röttgen: Ich will, dass die CDU die Gesellschaft abbildet, also dass gleich viele Frauen wie Männer Verantwortung tragen. Deshalb finde ich, wenn nun ein Mann an der Spitze der Partei stehen wird, dass eine Frau das zweitwichtigste Amt besetzen sollte. Aber durch die Verschiebungen des Parteitags befinden wir uns nun im Superwahljahr 2021. Es wäre nicht im Interesse der CDU, zu Beginn eines so wichtigen Jahres gleich beide Spitzenposten auf einmal auszutauschen.
Paul Ziemiak darf noch den Wahlkampf organisieren und geht dann?
Röttgen: Nein. Ich kenne Paul Ziemiak schon lange und schätze ihn und seine Arbeit als Generalsekretär sehr. Er genießt mein Vertrauen. Er wurde aus gutem Grund für dieses Amt gewählt, ihm steht die volle Amtszeit zu.
Der Dreikampf hat viel länger gedauert als erwartet. Die Noch-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat von einem ruinösen Wettbewerb für die CDU gesprochen. Wie sehen Sie das?
Röttgen: Nein, das kann ich nun wirklich nicht spüren. Wir sind absolut fair und respektvoll miteinander umgegangen. Aber natürlich wird es jetzt Zeit, dass der Prozess auch mal abgeschlossen wird.
Nach der Wahl ist aber vor der Kanzlerkandidatenfrage. Die lässt sich vom CDU-Vorsitz ja nicht trennen.
Röttgen: Ich vertrete in dieser Frage ein und dieselbe Ansicht wie zu Beginn des Wettstreits: Es ist das Selbstverständnis der CDU, dass ihr Vorsitzender das Kanzleramt ausführen will und es auch kann. Wir sollten nicht den Weg der SPD einschlagen und sagen: Wir haben zwar einen Parteichef, aber das Kanzleramt trauen wir dem nicht zu. Es ist trotzdem kein Automatismus, dass der CDU-Vorsitzende auch Kanzlerkandidat der Union wird. Es geht im Wahlkampf nicht um das eigene Ego, sondern um die bestmögliche Aufstellung.
Die höchsten Popularitätswerte hat CSU-Chef Markus Söder. Mit ihm müssten Sie sich einigen.
Röttgen: Wenn ich gewählt werde, werde ich mich sehr rasch mit Markus Söder besprechen. Wir kennen uns ja seit Jahrzehnten, waren beide Landesvorsitzende der Jungen Union, beide Umweltminister während der Atomkatastrophe von Fukushima. Ich werde ihn aufsuchen, denn ich bin ja dann der Neue im Amt.
Zum Frühstück, wie einst Angela Merkel und Edmund Stoiber in Wolfratshausen?
Röttgen: Um gleich gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, würde ich eine andere Tageszeit bevorzugen.
Markus Söder hat sich ein Image als Krisenmanager verschafft, obwohl die Corona-Lage in Bayern ja nicht besonders gut ist. Wie erklären Sie sich das?
Röttgen: Ich finde, was Markus Söder in dieser Krise auszeichnet, ist seine klare Kommunikation. Damit hat er Vertrauen geschaffen. Das ist eine große Leistung.
Fürchten Sie, dass die Wahl zum CDU-Vorsitzenden ähnlich knapp ausgeht wie das Rennen zwischen Kramp-Karrenbauer und Merz und der Sieger deshalb mit wenig Rückenwind ins Amt geht?
Röttgen: Nein, das fürchte ich nicht. Nach meinem Verständnis ist der Wettbewerb in der CDU mit dieser Wahl beendet – egal, wie die Entscheidung aussieht. Dann heißt es, geschlossen und gemeinsam am Erfolg der Partei arbeiten, um die Bundestagswahl zu gewinnen.
Sie würden also auch als Minister unter Friedrich Merz oder Armin Laschet zur Verfügung stehen? Oder umgekehrt: Sie würden Ihre Konkurrenten auch in Ihr Kabinett aufnehmen, sollten Sie Kanzler werden?
Röttgen: Da haben Sie jetzt ein paar Schritte übersprungen. Wir sollten nicht schon vor der Wahl über Ämter sprechen. Ich bin bereit, in einer Mannschaft für die CDU zu arbeiten, und es sollte auch von allen anderen zu erwarten sein, dass sie nicht nur auf eigene Rechnung arbeiten. Jetzt bewerbe ich mich erst mal um eine bestimmte Rolle – auch der Chef ist ja Teil der Mannschaft.
Welche Rolle würde Angela Merkel in Ihrem Bundestagswahlkampf spielen?
Röttgen: Eine große Rolle. Sie ist die Bundeskanzlerin und genießt hohes Vertrauen in der Bevölkerung. Dieses Kapital muss die CDU nutzen.
Wie viel Merkel steckt in den hohen Umfragewerten für die CDU? Wird die Union derzeit überschätzt?
Röttgen: Das glaube ich nicht. Wir haben ein Potenzial von rund 40 Prozent. Und wenn es darauf ankommt, wie jetzt in der Pandemie, wird das auch sichtbar.
In Ihrer Partei gibt es auch Stimmen, die warnen, Potenzial zu verschenken, weil Merkel die Union zu weit nach links geführt habe. Wie wollen Sie Wähler von der AfD zurückholen?
Röttgen: Wir beobachten: Am wirkungsvollsten halbiert sich die AfD selbst. Zum einen steckt sie in einer personellen und inhaltlichen Krise. Sie zieht ganz bewusst keine Trennlinie zum Rechtsextremismus und mindert damit ihre Akzeptanz. Zum anderen ist die Pandemie eine ernste Herausforderung, in der sich zeigt, dass Populismus keine Lösungen bietet. Die Menschen erkennen das. Darum geht der AfD die Luft aus. Sie wird einfach nicht gebraucht. Im Übrigen sind die Überschneidungen bei den Wechselwählern zwischen uns und den Grünen größer als mit der AfD. Hier lassen sich Mehrheiten gewinnen.
Werden Sie mit diesem Argument auch ins Duell mit Friedrich Merz gehen, der Wähler, die zwischen CDU und Grünen schwanken, abschrecken könnte?
Röttgen: Da muss ich Sie leider noch bis Samstag auf die Folter spannen.
Auch die FDP entdeckt nach dem Jamaika-Nein eine neue Lust aufs Regieren. Ein potenzieller Partner für Sie?
Röttgen: Kann ja sein, dass die FDP jetzt auf einmal wieder auf die Idee gekommen ist, dass der Sinn von Politik auch darin bestehen könnte, zu gestalten, zu entscheiden und zu regieren. Doch die FDP hat ein historisches Versagen zu verantworten, indem sie sich nach zwei Großen Koalitionen einem neuen Anfang und der Regierungsverantwortung verweigert hat. Das werden die Wähler nicht vergessen. Auf eine Partei, die mal Lust hat zu regieren und dann wieder nicht, kann man sich nicht verlassen. Das sind unsichere Kantonisten, auf die ich nicht setzen würde.
Die nächste Regierung muss ein Land zusammenführen, durch das Corona einen Riss gezogen hat. Söder hat sogar vor einer Corona-RAF gewarnt, also einer gewalttätigen Bewegung.
Röttgen: Ich komme zu einer deutlich freundlicheren Einschätzung unserer Gesellschaft. Von den Menschen wird seit Monaten außerordentlich viel abverlangt. Und trotz allem haben wir eine große Mehrheit, die vernünftig ist und einsieht, dass die Maßnahmen notwendig sind. Es gibt eine laute Minderheit, die sich radikalisiert. Diese sollte auch weiter im Blick behalten werden, aber bisher zeichnet sich da kein Terrorismus ab.
Wie wollen Sie die drohende Spaltung überwinden?
Röttgen: Wir müssen gemeinsam die Gefahren klar und verständlich beschreiben, die Maßnahmen nachvollziehbar erklären und nicht parteipolitisch taktieren. In der ersten Welle ist das sehr gut gelungen. Das sollte uns auch jetzt ein Vorbild sein.
Angesichts immer neuer Regeln wirken auch manche Regierende ermüdet. Zeit für Empathie nimmt sich kaum noch jemand. Sehen Sie das auch so?
Röttgen: Die Pandemie hat im Laufe der Zeit allen viel Kraft abverlangt, den Familien, die einen Angehörigen verloren haben, Unternehmern, die auf einmal in der Insolvenz stecken, Menschen, die schlicht überfordert oder ganz einsam sind. Aber auch die verantwortlichen Politiker hat es Kraft gekostet. Sie haben recht, bei allem Handlungsdruck dürfen wir die Empathie nicht vergessen.
Zur Person: Norbert Röttgen stammt aus Nordrhein-Westfalen. Der 55-Jährige war Bundesumweltminister und ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. 2012 wollte er Ministerpräsident in NRW werden, scheiterte allerdings. Am Samstag kandidiert er für das Amt des CDU-Vorsitzenden.
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