Es könnte alles so schön sein. Wer sich das neue Hochschulzulassungssystem der Stiftung "hochschulstart.de" vorführen läßt, ist schnell begeistert. Mit ein paar Mausklicks via Internet hin zum Studienplatz in einem der begehrten numerus-clausus-Mangelfächer wie Psychologie, Biologie oder Jura. Schnell bewerben - dann ein wenig abwarten und gelegentlich ins Netz schauen. Denn auch die Zu- oder Absage der Uni soll ja wiederum auch online über das Internet erfolgen.
Studienplatzvergabe: Pilotprojekt zum Wintersemester
Doch bisher ist das alles nur graue Theorie. Mit dem "Dialogorientierten Serviceverfahren" (DoSV) und dem leistungsstarken Verbindungsrechner in der ehemaligen Dortmunder Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) verfügt Deutschland in der Tat zwar über das weltweit modernste Hochschul-Zulassungssystem. Doch der überwiegende Teil der 271 staatlichen Hochschulen in der Bundesrepublik kann mangels technischer Anbindung mit dem Wunderwerk gar nicht kommunizieren - zum Teil, weil die Software in den Hochschulverwaltungen völlig veraltet ist, zum Teil aber auch, weil einige Universitäten das System nicht wirklich wollen.
Mehrfach wurde seit 1999 der Start verschoben. Zum kommenden Wintersemester läuft jetzt erstmals ein Pilotbetrieb. 7 Universitäten und 10 Fachhochschulen machen mit. Angeboten werden die Studienplätze von lediglich 22 der insgesamt 3246 Bachelor-Studiengänge mit örtlichem NC. Kultusminister und Bundesbildungsministerium umschreiben in ihren internen Analysen die Situation vornehm als "unbefriedigend" und appellieren erneut an die Hochschulen, angesichts des hohen Bewerberandranges doch mitzumachen. 15 Millionen Euro hat der Bund in die Entwicklung investiert. Der SPD-Haushaltspolitiker Klaus Hagemann wirft Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) mangelnde politische Aufsicht vor.
Mit der Umstellung auf den Bachelor kam es zu Doppeleinschreibungen
Die Hochschulrektorenkonferenz war es, die in den vergangenen Jahren die technischen Anforderungen an das System und an die Dortmunder Zentrale immer wieder höher schraubte - ohne dabei die mangelhaften Voraussetzungen in den Uni-Verwaltungen vor Ort im Blick zu haben. Die Bildungsausschuss-Vorsitzende im Bundestag, Ulla Burchardt (SPD), und der Grünen Hochschulpolitiker Kai Gehring sprechen übereinstimmend von einem "System organisierter Verantwortungslosigkeit".
Mit der Umstellung auf die Bachelor- und Master-Studienstruktur waren ab 2002/2003 die Universitäten und Kultusminister dazu übergangen, immer mehr NC-Studiengänge aus dem alten ZVS-Vergabeverfahren heraus zu nehmen. Jede Uni wollte vor Ort selbst entscheiden, welche Bewerber sie aufnimmt. Doch viele Abiturienten bewarben sich gleich mehrfach an verschiedenen Hochschulorten. Es kam zu Doppel- und Dreifach-Einschreibungen - und damit zur Blockade der knappen NC-Studienplätze, weil ein zentrales Koordinierungssystems fehlte.
Numerus-clausus-Urteil fiel im Juli 1972
Rund 20.000 begehrte NC-Studienplätze blieben deshalb in den vergangen Jahren jeweils auch nach Abschluss aller Nachrückverfahren unbesetzt. Allein 13.096 Bachelor-Plätze waren es nach einer internen Zählung der Kultusminister im vergangenem Herbst. Damit die Zahl nicht so hoch erscheint, wurden diesmal die freien Master- und Diplomplätze erst gar nicht mitgezählt.
Vor 40 Jahren, am 18. Juli 1972, verkündete das Verfassungsgericht in Karlsruhe sein erstes Numerus-clausus-Urteil und zwang die Hochschulen zu einer "erschöpfenden Nutzung" ihrer Studienplatz-Kapazitäten. 21 Mal wurde dies seitdem in Folgeurteilen vom höchsten deutschen Gericht bestätigt. Das Urteil war damals der Auslöser für die Gründung der ZVS in Dortmund.
Urteil: Grundgesetzartikel 12 soll freien Zugang zum Beruf garantieren
Vergleicht man die heutige Situation mit der damaligen, so scheinen Politik wie Hochschulrektoren die Grundsätze dieses Urteils vergessen zu haben. Unter Hinweis auf den Grundgesetzartikel 12, dass den freien Zugang zum Beruf garantieren soll, machte das Gericht für die vorübergehende Verhängung eines Numerus clausus den Ländern wie den Hochschulen strengste Auflagen. So sollte die Studienplatzvergabe möglichst überregional nach einheitlichen Auswahlkriterien erfolgen. Diese müssten vom Gesetzgeber - und nicht von den betroffenen Hochschulen festgelegt werden. Karl-Heinz Reith, dpa